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Für den Bericht, der Kriegsverbrechen australischer Soldaten öffentlich machte, wurden 20.000 Dokumente und 25.000 Bilder ausgewertet.

© dpa/Paul Miller/Pool

Einsatz in Afghanistan: Erstmals australischer Ex-Soldat wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen angeklagt

Der erste Fall schockierender Kriegsverbrechen australischer Spezialeinheiten in Afghanistan kommt vor Gericht: Ein ehemaliger Soldat wird wegen des mutmaßlichen Mordes angeklagt.

Die Australier waren entsetzt, als ein offizieller Bericht den Skandal 2020 öffentlich machte: Australische Elitesoldaten sollen zwischen 2005 und 2016 insgesamt 39 Zivilisten und Gefangene in Afghanistan ermordet haben.

Nun soll der erste Fall vor Gericht kommen: Am Montag wurde ein ehemaliger australischer Soldat, der mehrmals in Afghanistan gedient hatte, festgenommen. Dem 41-Jährigen werden Kriegsverbrechen vorgeworfen – er soll 2012 einen Zivilisten ermordet haben. Die Straftat könnte bei einer Verurteilung eine lebenslange Freiheitsstrafe nach sich ziehen.

Laut des staatlichen australischen Senders ABC handelt es sich bei dem Mann um denselben Soldaten, den ein Dokumentarfilm des Senders im März 2020 bei einem mutmaßlichen Kriegsverbrechen zeigte.

Historische Wende im Umgang mit Kriegsverbrechen

Der Sender veröffentlichte damals Filmmaterial, das einen australischen Soldaten zeigte, der in einem Weizenfeld in der Provinz Uruzgan im Süden Afghanistans auf einen jungen Afghanen schoss, der auf dem Boden lag und ganz offensichtlich keine Gefahr darstellte.

Ich vermute, dass dies ein wichtiger Präzedenzfall für die Briten, die Kanadier, die Neuseeländer und hoffentlich auch für andere Vertragsstaaten sein wird.

Tim McCormack, Rechtsprofessor an der University of Tasmania

Der Fall markiere in der Handhabung von Kriegsverbrecherprozessen eine historische Wende, sagte Tim McCormack der ABC. Der Rechtsprofessor an der University of Tasmania, der auch ein Sonderberater für Kriegsverbrechen für die Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag ist, sagte, dass es in der Vergangenheit noch nie eine Situation gegeben habe, in der ein Mitglied der australischen Truppe wegen eines Kriegsverbrechens angeklagt und vor ein Zivilgericht gebracht wurde.

„Ich vermute, dass dies ein wichtiger Präzedenzfall für die Briten, die Kanadier, die Neuseeländer und hoffentlich auch für andere Vertragsstaaten (des IStGH) sein wird.“

Der Bericht, der im November 2020 veröffentlicht wurde, schildert, wie australische Soldaten Kriegsverbrechen in Afghanistan begangen haben. Insgesamt hatte die Untersuchung mehr als vier Jahre gedauert, dafür wurden 20.000 Dokumente und 25.000 Bilder ausgewertet.

Bericht deckte schockierende Verbrechen auf

423 Zeugen sind dafür befragt worden. Heraus kam, dass australische Elitesoldaten zwischen 2005 und 2016 insgesamt 39 Zivilisten oder Gefangene in Afghanistan ermordet haben sollen.

Angus Campbell, Chef der australischen Verteidigungsstreitkräfte, stellte 2020 den Untersuchungsbericht über den Afghanistan-Einsatz vor.
Angus Campbell, Chef der australischen Verteidigungsstreitkräfte, stellte 2020 den Untersuchungsbericht über den Afghanistan-Einsatz vor.

© Mick Tsikas/dpa

Da es sich bei vielen der Getöteten um Gefangene handelte, war eindeutig, dass diese keine Waffe trugen und damit keine Gefahr für die Soldaten darstellten. Zudem wurden die Taten bewusst vertuscht. Diese Tatsachen machten die Vorfälle zu eindeutigen Kriegsverbrechen. Sie konnten somit nicht als Kampfhandlungen gewertet werden.

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Zivilisten und Gefangene sollen zwischen 2005 und 2016 von australischen Elitesoldaten in Afghanistan ermordet sein worden.

Einige Schilderungen des Berichts waren zutiefst schockierend. So sollen Soldaten Zivilisten die Kehle durchgeschnitten haben und jüngere Soldaten von ihren Vorgesetzten bewusst dazu angestachelt worden sein, Gefangene hinzurichten, ein Prozess, der als „Blooding“ bezeichnet wurde. Mit dem Begriff soll beschrieben werden, wie junge Soldaten zum ersten Mal Blut vergießen und einen Menschen töten.

Beschwerden von Einheimischen und Menschenrechtsgruppen wurden lange als „Taliban-Propaganda“ abgetan oder als Versuche der Bevölkerung, eine Entschädigung zu erhalten.

Generalmajor Paul Brereton, der die Untersuchung leitete, schilderte nach der Veröffentlichung im Jahr 2020, wie schwierig es war, wahrheitsgemäße Informationen herauszufinden, da Spezialeinheiten eine Gruppe mit großer Loyalität gegenüber den eigenen Kameraden, den unmittelbaren Vorgesetzten und der Einheit an sich sind. Brereton sagte damals, dass durch die Vorfälle das Image der gesamten australischen Streitkräfte befleckt worden sei.

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