zum Hauptinhalt
US-Präsident Joe Biden und der indische Premierminister Narendra Modi beim G20-Gipfel.

© REUTERS/Pool

Gegengewicht zu China: Washington setzt ganz auf die Großmacht Indien

US-Präsident Biden empfängt Indiens Premier mit allen Ehren. Die USA hoffen, das bevölkerungsreichste Land der Erde stärker an den Westen zu binden. Doch das birgt auch Risiken.

Wenn Indiens Regierungschef Narendra Modi an diesem Donnerstag seinen Staatsbesuch in Washington offiziell beginnt, soll alles demonstrieren, wie wichtig dieser Gast ist. Modi wird auf der South Lawn des Weißen Hauses feierlich empfangen, am Abend haben Präsident Joe Biden und First Lady Jill zum Staatsbankett geladen.

Und Modi wird bereits zum zweiten Mal vor einer gemeinsamen Sitzung beider Kammern des US-Kongresses eine Rede halten – eine seltene Ehre für einen Staatsgast.

Erwartet werden „wirklich große, historische“ Ankündigungen zur bilateralen Zusammenarbeit, heißt es, dies sei eine einmalige Gelegenheit für das Verhältnis der Supermacht USA zur „größten Demokratie“.

Hohe Erwartungen von allen Seiten

Der Besuch werde zu einem Sprungbrett für die amerikanisch-indischen Beziehungen, erklärte Ely Ratner, der im Pentagon die Indopazifik-Politik verantwortet, vor wenigen Tagen in Washington. Bemerkenswert ist, dass diese Erwartungen auf beiden Seiten des politischen Spektrums in Washington geteilt werden.

Annäherung: Im vergangenen Jahr diskutierten US-Präsident Biden, US-Außenminister Blinken und der indische Außenminister Jaishankar in einer Videokonferenz mit dem indischen Premier Modi, über den Krieg Russlands mit der Ukraine.
Annäherung: Im vergangenen Jahr diskutierten US-Präsident Biden, US-Außenminister Blinken und der indische Außenminister Jaishankar in einer Videokonferenz mit dem indischen Premier Modi, über den Krieg Russlands mit der Ukraine.

© REUTERS/KEVIN LAMARQUE

Auch Republikaner wie der Abgeordnete Michael Waltz aus Florida, der Vorsitzende des Indien-Ausschusses im US-Repräsentantenhaus, sagte, die Beziehungen zu Indien seien die wichtigsten im weiteren Verlauf des 21. Jahrhunderts. Das gelte besonders, wenn es um die Aggressionen der Kommunistischen Partei Chinas gehe.

Angesichts des zunehmend angespannten Verhältnisses zu Peking soll Neu-Delhi entscheidend dabei helfen, Chinas globalen Einfluss zurückzudrängen. Die Wirtschaft des seit ein paar Wochen bevölkerungsreichsten Landes der Erde (1,4 Milliarden Einwohner) wächst rasant und ist inzwischen die fünftgrößte der Welt. Indien hat sich zudem längst zu einem Innovationsknotenpunkt entwickelt.

Bei dem Besuch steht aber vor allem die militärische Kooperation im Vordergrund. So soll der US-Konzern General Electric künftig Triebwerke für Kampfjets gemeinsam mit einem indischen Unternehmen produzieren. Ähnliches wird bei Militärfahrzeugen und Artillerie diskutiert. Indien will zudem 31 amerikanische Kampfdrohnen erwerben – es wäre der erste Verkauf bewaffneter Drohnen der USA an ein Land, das kein Nato-Mitglied ist.

Für Washington soll die engere Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich dabei helfen, Russland weiter zu isolieren. Der Moment ist günstig, da sich Neu-Delhi zunehmend Sorgen macht, dass die Waffenlieferungen des russischen Verbündeten zunehmend weniger werden könnten, je länger der Krieg andauert. 

Bei Russland werden die USA und Indien wahrscheinlich auch weiterhin unterschiedlicher Meinung sein.

Sameer Lalwani, Experte für Südostasien beim U.S. Institute of Peace.

Russland ist indes einer der Knackpunkte in den amerikanisch-indischen Beziehungen. Dass Indien die russische Invasion in der Ukraine partout nicht verurteilen will, ärgert die Amerikaner. Auch weigert sich Neu-Delhi, sich den vom Westen verhängten Sanktionen anzuschließen und importiert stattdessen deutlich mehr Öl aus Russland.

Hauptsache unabhängiger von China

Die Biden-Regierung ist zudem besorgt über Modis hartes Vorgehen gegen Kritiker im eigenen Land sowie den wachsenden Hindu-Nationalismus des Premierministers. Aber am Ende scheint die Überzeugung zu überwiegen, dass der 72-Jährige zu wichtig für das nationale Sicherheitsinteresse der Amerikaner ist.

„Bei Russland werden die USA und Indien wahrscheinlich auch weiterhin unterschiedlicher Meinung sein. Aber Indien könnte zu einer Lösung des Konflikts beitragen, da es über Kommunikationskanäle mit Russland und dem globalen Süden verfügt, die eine wichtige Rolle spielen könnten“, sagt Sameer Lalwani, Experte für Südostasien beim U.S. Institute of Peace.

„Bei allen Meinungsverschiedenheiten über Russland ist die größere Herausforderung für das internationale System ohnehin der Aufstieg Chinas“, sagt Lalwani. Washington setze darauf, dass ein mächtigeres Indien gut für die Stabilität in Asien sei.

Indiens Grenzstreit mit der Volksrepublik macht es zu einem idealen Partner der Vereinigten Staaten.

Manoj Joshi, Experte für Sicherheitsfragen beim indischen Forschungsinstitut ORF

„Die USA betrachten Indien als Anker ihrer Politik im Indopazifik, die darauf abzielt, Chinas Einfluss einzudämmen. Indiens Grenzstreit mit der Volksrepublik macht es zu einem idealen Partner der Vereinigten Staaten“, sagt auch Manoj Joshi, Experte für Sicherheitsfragen beim indischen Forschungsinstitut ORF. „Außerdem bietet Indien eine Alternative als Markt und für widerstandsfähige Lieferketten, die die USA aufbauen wollen, um China zu umgehen.“

Indien wolle selbstverständlich nicht von den USA, dass sie seine Kriege gegen China führten, sagt Joshi. „Aber es erwartet von den Amerikanern die Bereitstellung von Technologie und nachrichtendienstlicher Informationen, die den Prozess unterstützen werden.“ Die USA wiederum wünschten sich, dass Indien sich ihrer globalen Koalition anschließt, wüssten aber auch, dass die Kooperation ihre Grenzen hat.

Die Gefahr bewaffneter Konflikte zwischen Indien und China wächst.
Die Gefahr bewaffneter Konflikte zwischen Indien und China wächst.

© afp/Handout

Diese Grenzen zeigt der Indien-Experte Ashley Tellis im Magazin „Foreign Affairs“ auf. Die Amerikaner müssten verstehen, dass Indien letztlich kein Partner sei, schreibt Tellis. Die Beziehungen seien fundamental anders als die zu den Nato-Partnern. Indiens Wunsch, enger mit den USA zusammenzuarbeiten, sei durch die Umstände gewachsen, „nicht aus Überzeugung“ – und könne schnell wieder verschwinden.

Biden setzt aber wie seine Vorgänger darauf, dass die Beziehungen zu Neu-Delhi und Modi immer besser werden. Der US-Präsident lud Modi zu beiden Demokratiegipfeln ein, die er in Washington ausrichtete. Und bei einem Treffen im Mai 2022 erklärte er, dass die Kooperation zwischen Indien und den USA auf dem gemeinsamen Einsatz für demokratische Werte beruhe.

Auch sein Sicherheitsberater Jake Sullivan war bemüht, vorab Bedenken zu zerstreuen: Die Menschen in Indien und den USA würden einander als natürliche Partner sehen – das helfe, sämtliche Barrieren zu überbrücken.

Kritik an innenpolitischem Vorgehen Modis werde von den Amerikanern aller Voraussicht nach angesprochen, ist Experte Lalwan überzeugt. „Aber wohl nicht beim öffentlichen Teil der Reise.“ Der Besuch soll ja ein Erfolg werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false