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Passanten gehen vor dem Sitz des Europäischen Parlaments entlang.

© dpa/Michael Kappeler

Skandal um EU-Luxus: Doppelte und dreifache Pensionen auf Kosten der Steuerzahler

Hunderte EU-Parlamentarier und Kommissare profitieren von hohen Sonderzahlungen. Darunter auch deutsche Politiker. Jetzt soll der halb-private Fonds mit Steuergeld gerettet werden.

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Nigel Farage, langjähriger Anführer der britischen „Independence Party“ und Architekt des Brexit, hat Zeit seines Politikerlebens die europäischen Institutionen mit aller Härte bekämpft. „Ich liebe Europa, aber ich verachte die Europäischen Union“ lautet sein Motto bis heute.

Doch der Furor des britischen Antieuropäers hat einen blinden Fleck: Er erhebt auf Kosten der EU-Steuerzahler Anspruch auf eine Luxusrente, von der die meisten Wähler nur träumen können.

In sechs Jahren, nach seinem 65. Geburtstag, wird er für seine 21 Jahre als EU-Parlamentarier nicht nur die reguläre Pension von monatlich rund 6866 Euro plus Inflationsausgleich beziehen. Darüber hinaus kann Farage auch monatliche Zahlungen von weiteren 3567 Euro beanspruchen – und erhält damit für den Rest seines Lebens eine Pension von 121 Prozent seines Salärs als Abgeordneter.

Nigel Farage, Antieuropäer und Brexit-Vorkämpfer, im Jahr 2016.
Nigel Farage, Antieuropäer und Brexit-Vorkämpfer, im Jahr 2016.

© Reuters/Vincent Kessler/Archiv

Und das gilt nicht nur für Farage. Vergleichbare Luxuspensionen stehen auch der französischen Rechtspopulistin und Verächterin des „Diktats aus Brüssel“ Marine Le Pen in Aussicht, oder dem früheren polnischen EU-Parlamentarier der rechtsnationalen PiS-Partei und heutigen EU-Kommissar Janusz Wojciechowski.

Unter den Begünstigten sind zudem 905 weitere frühere und amtierende EU-Abgeordnete sowie deren Witwen und Waisen; darunter auch 15 deutsche Ex-EU-Abgeordnete wie der Liberale Alexander Graf Lambsdorf, der demnächst Botschafter in Moskau werden soll.

Sie alle eint, dass sie in den Jahren von 1990 bis 2009 Mitglied einer umstrittenen Vereinigung wurden, die bis heute unter dem Namen „Freiwilliger Pensionsfonds des Europäischen Parlaments“ firmiert. Diese private Gesellschaft nach luxemburgischen Recht sollte in den frühen Jahren des EU-Parlaments eigentlich dazu dienen, den bis dahin zum Teil wenig abgesicherten Parlamentariern eine faire Rente zu sichern.

Doch verborgen vor den Wählern „wurde mit geradezu krimineller Energie ein System geschaffen, das von Anfang an zum Scheitern verurteilt war“, meint heute der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund, der im Ausschuss für Haushaltskontrolle mit dem Fonds befasst ist. 

Ganz ähnlich sieht das Inge Gräßle, bis 2019 Vorsitzende des Ausschusses und heute CDU-Bundestagsabgeordnete: „Diese Rentenzahlungen aus dem Extra-Fonds sind wirklich skandalös.“

Dem Fonds droht nun ein Defizit von mehr als 300 Millionen Euro an Pensionsansprüchen, das mit Steuergeld gedeckt werden soll. Schon Ende nächsten Jahres könne dem Fonds das Geld ausgehen, heißt es in einem Memorandum des Generalsekretärs Alessandro Chiocchetti, das dem Journalistenteam Investigate Europe zuging.

Ein Thema im Europawahlkampf

Unvermeidlich müssen die Abgeordneten nun darum streiten, ob und mit wie viel Geld aus dem Parlamentshaushalt die Luxusrenten der Begünstigten gerettet werden sollen. Das droht im aufziehenden Europawahlkampf die Reputation des Parlaments noch weiter zu beschädigen, die nach dem Skandal um die Bestechungszahlungen aus Qatar ohnehin angeschlagen ist.

Ex-EU-Parlamentspräsidentin Eva Kaili soll Bestechungsgelder aus Qatar angenommen haben.
Ex-EU-Parlamentspräsidentin Eva Kaili soll Bestechungsgelder aus Qatar angenommen haben.

© dpa/Panama Pictures/Christoph Hardt

Die Entscheidung liegt bisher bei dem 20-köpfigen Präsidium des Parlaments. Dort haben allerdings auch drei der Begünstigten Sitz und Stimme: Dimitrios Papadimoulis, von der griechischen radikalen Linken, der litauische Nationalkonservative Roberts Zile und der österreichische Konservative Othmar Karas. Er und Zile sitzen sogar im Vorstand des privaten Pensionsfonds.

Haushaltsexperte Freund hält das für inakzeptabel. „Es kann nicht sein, dass die drei Abgeordneten jetzt über ihre eigene Zusatzrente entscheiden. Sie sollten sich zumindest nicht an den Debatten und Abstimmungen darüber beteiligen“, fordert er.

Keine Antworten der Betroffenen

Die drei Betroffenen und Parlamentspräsidentin Roberta Metsola wollten Fragen von Investigate Europe zu diesem Interessenkonflikt nicht beantworten.* Der CDU-Abgeordnete Rainer Wieland, der die konservative EPP-Fraktion im Präsidium vertritt, erklärte, er tue sich zwar „schwer, da eine Verpflichtung auszusprechen. Aber ich fände es richtig, wenn die betroffenen Kollegen sich nur an der Orientierungsdebatte beteiligen und sich dann heraushalten.“

Schuld an dem Debakel sind die Parlamentarier von einst, die sich selbst eine abenteuerliche Konstruktion bescherten. Da durften sie ihre Beiträge zum „Fonds“ einfach aus ihrer üppigen Bürokostenpauschale bestreiten, und für jeden Euro zahlte das Parlament noch einmal zwei Steuereuro aus dem Haushalt obendrauf. Schon das kostete die Steuerzahler mehr als 100 Millionen Euro. Dafür bekamen die Abgeordneten völlig überhöhte Pensionszusagen.

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Auf Zahlungen über nur zwei Jahre garantierte das Parlament bereits eine Zusatzrente auf Lebenszeit, mit der die Beiträge schon binnen vier Jahren zurückgezahlt waren. Einzahlungen von lediglich 231 bis 359 Euro im Monat führten nach 10 Jahren zum Anspruch auf eine lebenslange Pension, die heute bei 3567 Euro liegt.

Die Rechnung konnte gar nicht aufgehen

Das konnte gar nicht aufgehen. Schon 2004 schlug die Parlamentsverwaltung darum Alarm, als absehbar war, dass der Fonds versicherungsmathematisch in die Pleite fuhr. Das Präsidium beschloss daraufhin, die Beiträge zu verdreifachen, erneut zu zwei Dritteln auf Kosten der Steuerzahler.

Wäre es dabei geblieben, hätten die Zusatzzahlungen über die Jahrzehnte das drohende Defizit in einen Überschuss verwandelt, berichtet einer der Beteiligten, der nicht genannt werden möchte. Doch parallel dazu genehmigten sich die Parlamentarier mit Unterstützung aller nationalen Regierungen ab 2009 ein neues Parlamentsstatut, das ihnen eine normale Beamtenpension für ihre Parlamentsjahre sicherte.

Gleichzeitig schlossen sie den alten Fonds für weitere Mitglieder – und für alle Beitragszahlungen. So flossen die verdreifachten Beiträge nur knapp fünf Jahre, viel zu kurz, um die versprochenen Pensionszusagen zu decken. Trotzdem beschlossen die Parlamentarier aber, dass die bis dahin „erworbenen Rechte in vollem Umfang aufrechterhalten werden“.

Von den 20 Präsidiumsmitgliedern, die damals an der Abstimmung teilnahmen, waren 15 Begünstigte des Fonds. Dem Sitzungsprotokoll zufolge hat sich niemand wegen des Interessenkonflikts der Stimme enthalten. Nur ein Präsidiumsmitglied stimmte gegen die Maßnahmen, der damalige niederländische liberale Europaabgeordnete Jan Mulder.

Claudia Roth und Cem Özdemir verzichteten auf ihre Ansprüche

Der Vorgang schlug schon damals hohe Wellen. Zahlreiche Abgeordnete schieden freiwillig aus dem Fonds aus und verzichteten damit auf ihre Ansprüche, darunter auch die heutigen grünen Bundesminister Claudia Roth und Cem Özdemir. Aber mehr als 900 scherten sich nicht um die Kritik und blieben dabei.

Die Mitglieder dieses Fonds hatten immer überall ihre Truppen, darum haben wir uns nicht so durchsetzen können, wie ich es mir gewünscht hätte.

Inge Gräßle (CDU), bis 2019 Vorsitzende des Ausschusses für Haushaltskontrolle

Darum mobilisierte Mulder gemeinsam mit dem niederländischen Grünen Bart Staes und der deutschen CDU-Abgeordneten Gräßle jahrelang gegen drohende Nachzahlungen aus der Steuerkasse. Auf ihren Druck hin stimmte die Mehrheit seit 2011 bei den jährlichen Haushaltsdebatten immer wieder für „die Auffassung, dass dieses Defizit nicht mit Steuergeldern, sondern durch den Fonds selbst bezahlt werden sollte“, wie es in den Entschließungen stets hieß.

„Aber wir haben es nie geschafft, die Führung des Parlaments zum Zuhören zu zwingen“, bedauert Staes. „Die Mitglieder dieses Fonds hatten immer überall ihre Truppen, darum haben wir uns nicht so durchsetzen können, wie ich es mir gewünscht hätte“, berichtet auch Gräßle.

Vier EU-Kommissare profitieren

Und obwohl es um viele hundert Millionen Euro öffentlicher Gelder geht, wahrt die Führung des Parlaments maximale Intransparenz. Selbst die Anfrage zu den Namen der Begünstigten wies die Verwaltung unter Verweis auf den Datenschutz zurück.

Dabei kennen sich die Verantwortlichen offenbar selbst mit dem Rechtsstatus ihres halb privaten, halb staatlichen Fonds nicht aus. Im Luxemburger Unternehmensregister ist seit März eine Liste mit den Namen von immerhin 660 Mitgliedern des Fonds hinterlegt, die Investigate Europe vorliegt. Interne Dokumente der Fondsverwaltung zeigen zwar, dass es insgesamt 908 Begünstigte gibt, und niemand mochte erklären, warum im Register 248 Namen fehlen.

21
amtierende EU-Parlamentarier haben bis heute Anspruch aus dem längst geschlossenem Fonds.

Die Liste belegt gleichwohl, dass nicht nur ehemalige, sondern auch 21 amtierende EU-Parlamentarier bis heute Anspruch auf die Luxusrente haben. Aber alle von ihnen, darunter auch der hessische CDU-Politiker Michael Gahler, blieben auf die Frage, ob sie angesichts des Defizits bereit wären auf die Zusatzpension zu verzichten oder Kürzungen hinzunehmen, eine Antwort schuldig.

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Genauso halten es drei der vier amtierenden EU-Kommissare auf der Liste: Neben dem Polen Janus Wojciechowski sind das die portugiesische Sozialistin und Kommissarin für Regionalpolitik, Elisa Ferreira, die konservative irische Finanzkommissarin Mairead McGuinness und der spanische Vizepräsident der EU-Kommission und Außenbeauftragte Josep Borell.

McGuiness erklärte auf Anfrage, sie habe den Fonds schon 2009 verlassen, blieb aber eine Erklärung schuldig, warum die Verwaltung sie immer noch auf ihrer offiziellen Liste führt. Die übrigen drei Kommissare antworteten nicht auf Fragen zu ihrer Zusatzrente. Der 75-jährige spanische Sozialdemokrat Borell hatte allerdings zuvor schon gegenüber dem EUObserver eingeräumt, dass er schon lange Zahlungen aus dem Extrafonds erhält, zusätzlich zu seinem monatlichen Gehalt von mehr als 20.000 Euro.

Doppelte und dreifache Pensionen auf Kosten der Steuerzahler

Die fehlende Scham bei der Anhäufung von Pensions- und Gehaltszahlungen ist es, die Inge Gräßle, die langjährige CDU-Abgeordnete besonders empört. „Fast alle dieser Leute schustern sich da doppelte oder sogar dreifache Pensionen zusammen, darunter ja auch frühere und amtierende Kommissare und Mitglieder des Rechnungshofes“, sagt sie.

Trotzdem ist nicht erkennbar, ob die EU-Parlamentarier ihre Wähler vor weiteren Zahlungen für die Luxusrenten bewahren wollen. Als die 20 Mitglieder des Präsidiums am 17. April mit jahrzehntelanger Verspätung über den drohenden Freikauf für den Extrafonds berieten, stellte Generalsekretär Chiocchetti ausweislich eines Memos zwei Optionen zur Diskussion: Zum einen könnte man den Begünstigten anbieten, das verbliebene Vermögen des Fonds für eine einmalige Abschlusszahlung an alle auszuschütten und sie zum Verzicht auf weitere Ansprüche drängen.

Klagewelle befürchtet

Käme es dazu, würden aber vermutlich viele Pensionäre Klage erheben. Schon als die Verwaltung ab 2018 eine Gebühr von fünf Prozent erhob, waren fünf Ex-Abgeordnete wegen des Abzugs von 200 bis 300 Euro von ihren üppigen Doppelrenten vor den Europäischen Gerichtshof gezogen, wenngleich erfolglos.

Das gleiche Risiko droht jedoch auch bei der anderen Option, welche die Parlamentsführer nun prüfen lassen, wie ein Zeuge der Beratung berichtet. Demnach sollen die Zahlungen reduziert, der Inflationsausgleich gestrichen und das Eintrittsalter erhöht werden, um den Schaden für den Haushalt zumindest zu verkleinern.

Ob Präsidentin Metsola und ihre Kollegen damit durchkommen, ist jedoch ungewiss. Wegen der Fehler ihrer Vorgänger sind sich nicht mal die Juristen innerhalb der Parlamentsverwaltung über die Rechtslage einig.

Die CSU-Abgeordnete Monika Hohlmeier, Vorsitzende im Ausschuss für Haushaltskontrolle, hat darum keine Hoffnung auf eine schnelles Ende der Affäre. „Nur der Europäische Gerichtshof kann für Klarheit sorgen“, erklärt sie. Die Aufräumarbeit bleibt wohl bei den Richtern in Luxemburg hängen.

Diesen Artikel hat das Journalistenteam Investigate Europe erstellt, in dem Journalist*innen aus elf europäischen Ländern Themen recherchieren, die europaweit von politischer oder gesellschaftlicher Relevanz sind.

*Anmerkung der Redaktion: Dimitrios Papadimoulis, Vizepräsident des Europa-Parlaments, erklärte nachträglich am Dienstag, 2. Mai, dass er auf seine Ansprüche aus dem Fonds verzichten werde.

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