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SPD-Parteichef Lars Klingbeil (l) und SPD-Bundestags-Fraktionschef Rolf Mützenich (M) kommen auf dem Bahnhof von Kiew an.

© dpa/Fionn Große

Sozialdemokraten suchen neue Ostpolitik: Wer hat noch Vertrauen in Deutschland?

Das Scheitern der Energie- und Russlandpolitik hat dem Ansehen der SPD bei den östlichen Nachbarn geschadet. Was die Partei tun muss, um den Glauben an deutsche Verlässlichkeit wiederzubeleben.

Das Vertrauen in Deutschland und speziell in die Kanzlerpartei SPD leidet unter der gescheiterten Energie- und Russlandpolitik. Trotz der Warnungen ihrer EU-Partner hatten wechselnde Bundesregierungen bis zum Kriegsbeginn an ihr festgehalten. Nun versucht die SPD, das Bild ihrer Ostpolitik zu reparieren.

Am Montag besuchten Parteichef Lars Klingbeil und Fraktionschef Rolf Mützenich Kiew. Am Dienstag und Mittwoch beraten sie in Warschau mit den Spitzen der sozialdemokratischen Parteien aus Finnland, Kroatien, Litauen, Polen, Schweden, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, der Ukraine und Ungarn über Konsequenzen aus einem Jahr Ukrainekrieg und der Zeitenwende.

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Drei Expertinnen und Experten analysieren die Lage.


Wie dramatisch ist der Vertrauensverlust?

Piotr Buras meint:
„Wenn in diesen Tagen in Polen Journalisten, Experten oder einfache Bürger über Deutschland sprechen, fühlen sich die meisten bestätigt in ihren Überzeugungen oder auch Vorurteilen. Mit ihren Warnungen vor Russland haben sie recht behalten.

Die Zögerlichkeit des Bundeskanzlers bei Waffenlieferungen und sein Unwille, der Ukraine einen Sieg zu wünschen, passen schlecht zur angekündigten Zeitenwende.

Sie werden als Kontinuität einer Haltung verstanden, die das deutsch-polnische Verhältnis seit Jahren belastet hat: das Prinzip „Russia-First“ der deutschen Ostpolitik; das Gefühl, von den Deutschen nicht ernst genommen zu werden; und die Skepsis über Deutschlands Zuverlässigkeit als Sicherheitspartner.

Die polnische Wahrnehmung Berlins ist so negativ wie selten zuvor – weit über die Kreise der üblichen Deutschlandskeptiker hinaus.

Piotr Buras, Leiter des Warschauer Büros des European Council on Foreign Relations.

Die Positionen Polens und Deutschlands zu Russland, zur Energiepolitik oder zu Militärausgaben mögen sich in den vergangenen Monaten angenähert haben. Aber die polnische Wahrnehmung Berlins ist so negativ wie selten zuvor – weit über die Kreise der üblichen Deutschlandskeptiker hinaus.“


Große mentale Entfernung

Gwendolyn Sasse sagt:
„Der Vertrauensverlust ist nicht erst das Resultat politischer Differenzen seit dem 24. Februar 2022. Aber die Regierungen der Nachbarländer benennen ihn nun klarer. Die Verschiebung liegt also darin, dass das fehlende Vertrauen in Deutschland nun stärker wahrgenommen wird.

Im deutschen Blick waren Mittel- und Osteuropa sowohl vor als auch nach 1989 ein diffuser Raum und nicht unterschiedliche Länder. Die mentale Entfernung ist bis heute größer als die nach Kilometern. Die deutsche Politik konzentrierte sich unter wechselnden Regierungen vor allem auf Russland. In der EU gestand sie den mittelosteuropäischen Mitgliedern nur eine untergeordnete Rolle zu.

Bei aller berechtigten Kritik an der deutschen Arroganz und Ignoranz gegenüber den Partnern im Osten gilt freilich auch: Umgekehrt nutzen rechtspopulistische Regierungen dort diese Kritik zu ihrer Legitimierung, zum Beispiel in Polen vor der Parlamentswahl 2023. Diese Rhetorik wird effektiver, weil sie auf reale Anknüpfungspunkte trifft.

Die Rhetorik bildet jedoch nicht das gesamte Beziehungsgeflecht ab. Die engen Wirtschaftsbeziehungen, die beiden Seiten nutzen, werden ausgeblendet.“


Massiver Vertrauensverlust

Jan Claas Behrends analysiert:
„Der Vertrauensverlust Deutschlands ist nach der Ära Schröder-Merkel vom Baltikum über Ostmitteleuropa bis in die Ukraine massiv. Dies liegt an der einseitigen Fixierung auf Moskau, an den Nord-Stream Pipelines, die man als anti-ukrainisches Projekt wahrnahm, an den Minsk-Abkommen und an der Weigerung der Regierung Merkel, der Ukraine militärisch zu helfen.

Zwischen 2014 und Februar 2022 unterstützte Berlin de facto Putins negative Ukrainepolitik. Die Kanzlerin wurde als Großmachtpolitikerin wahrgenommen, die sich nicht für die ostmitteleuropäischen Staaten interessierte und sich primär zwischen Washington, Paris und Moskau bewegte.

Zwischen 2014 und Februar 2022 unterstützte Berlin de facto Putins negative Ukrainepolitik.

Jan Claas Behrends, Osteuropahistoriker an der Viadrina-Universität Frankfurt (Oder)

Ferner sahen unsere östlichen Nachbarn, dass ihre Warnungen und Wünsche in Berlin ignoriert wurden. Tatsächlich ist das Wissen über Russland und das Verständnis des Putin-Regimes dort viel ausgeprägter, als es in deutschen Regierungskreisen je war.“


Was können Kanzler Scholz und Klingbeil tun, um den Glauben an Deutschlands Verlässlichkeit zu stärken?

Gwendolyn Sasse:
„Bereits die Besuche deutscher Spitzenpolitiker:innen in der Region senden ein wichtiges Signal. Sie sollten regelmäßiger werden. Das Bild der SPD dort ist von ihren gescheiterten Versuchen geprägt, eine neue Ostpolitik zu definieren, die auf Russland konzentriert blieb.

Die SPD muss verstehen, dass sich dieser historisch geprägte Begriff nicht für eine Politik eignet, die sich an heutigen Realitäten orientiert. Gebraucht wird weniger Ostpolitik und mehr gemeinsame Zeitenwende.“

Jan Claas Behrends:
„Zunächst geht es darum, wieder ins Gespräch zu kommen und unseren Nachbarn zu zeigen, dass wir sie und ihre Sorgen ernst nehmen. Solange das außenpolitische Profil der SPD von solchen Figuren wie Rolf Mützenich und Ralf Stegner geprägt bleibt, wird ein Neuanfang schwerfallen.

Ihre nationalpazifistischen Positionen lösen im besten Fall Kopfschütteln aus. Wichtig wird es sein, Fehler einzugestehen, in der Aufarbeitung der deutschen Russlandpolitik weiterzukommen und endlich zu den Bündnisverpflichtungen zu stehen.“

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