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Der gewaltsame Machtkampf im Sudan zwingt immer mehr Menschen zur Flucht.

© REUTERS/ZOHRA BENSEMRA

Verfolgt, verjagt, vertrieben: 110 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht

Es ist eine Rekordzahl: Fast 110 Millionen Frauen, Kinder und Männer waren im vergangenen Jahr auf der Flucht. Das sind die wichtigsten Fakten einer globalen Krise.

Es ist erst acht Jahre her, da meldeten die Vereinten Nationen, dass ein trauriger Rekord eingestellt worden sei, der immerhin 60 Jahre galt: Ende 2015 zählte UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UN), 65,3 Millionen Flüchtlinge weltweit – am Ende des Weltkriegs in Europa waren es 60 Millionen.

Es hat nun lediglich weitere sieben Jahre gebraucht, um diese Zahl nicht nur erheblich zu steigern, sondern nahezu zu verdoppeln. Im neuesten Bericht (Global Trends in Forced Displacement 2022 ) zählt UNHCR weltweit 110 Millionen Menschen, die 2022 auf der Flucht waren.

Vertrieben wurden sie durch Klimakatastrophen, aber vor allem durch gewaltsame Konflikte, die ihnen das Leben an ihren Heimatorten unmöglich machen. Gerade die Kriege in der Ukraine und die Kämpfe in Afghanistan trieben nach Angaben der Weltorganisation die Zahl erneut in die Höhe; auch die Gefechte im Sudan trugen erheblich dazu bei. 

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Bloß weg hier!

Syrien, Ukraine, Afghanistan, Venezuela und Südsudan: Wer hier lebt, denkt vermutlich sehr oft daran, seine Heimat zu verlassen. Allein aus diesen fünf Staaten stammten 2022 mehr als 25 Millionen Flüchtlinge. Sie wurden zu Heimatlosen, die alles verloren haben.

Viele irren schutzlos innerhalb der Landesgrenzen umher, andere haben Zuflucht in Nachbarländern gefunden. Abertausende versuchen sogar, in weit entfernte Ländern zu gelangen, oft unter lebensbedrohlichen Bedingungen. In der Hoffnung, dort ein besseres Leben zu finden.


Alle nach Europa? Von wegen

In Europa ist die Zahl der Geflüchteten zwar seit Beginn des Ukraine-Kriegs deutlich gestiegen. Dennoch: Der Kontinent nimmt nur einen Bruchteil der weltweit Schutzbedürftigen auf. Der größte Teil flieht innerhalb des eigenen Landes oder bleibt in der Nähe, zumeist in Nachbarländern.

Millionen Ukrainer haben ihre Heimat aufgrund des russischen Angriffskriegs verlassen müssen. Hauptsächlich sind es Frauen, Kinder und ältere Menschen.
Millionen Ukrainer haben ihre Heimat aufgrund des russischen Angriffskriegs verlassen müssen. Hauptsächlich sind es Frauen, Kinder und ältere Menschen.

© picture alliance/dpa/SOPA Images via ZUMA Press Wire/Andriy Andriyenko

Nach UN-Angaben beherbergen die 42 ärmsten Länder der Erde, die über wenig mehr als ein Prozent des weltweiten Reichtums verfügen, 20 Prozent aller Geflüchteten.

Die Migrationsforschung weiß auch, warum das so ist: Die allerwenigsten Bedürftigen haben die Mittel, um sich in den wohlhabenden Norden der Welt aufzumachen, wenn der steigende Meeresspiegel ihre Äcker versalzen lässt oder sie vor gewalttätigen Machthabern und Milizen fliehen müssen.

Für die Ärmsten der Armen, Menschen, die hungern, ist Migration über weite Strecken kein Thema.

Thomas Liebig, Forscher in der Migrationsabteilung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Den allermeisten fehlt das Geld dafür, aber auch oft die Kraft. Oder sind für die Strapazen nicht mehr jung genug.  „Für die Ärmsten der Armen, Menschen, die hungern, ist Migration über weite Strecken kein Thema“, sagt Thomas Liebig, leitender Ökonom und Forscher in der Migrationsabteilung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris.


Vertrieben schon im Kindesalter

Mädchen und Jungen machen weltweit zwar nur 30 Prozent der Bevölkerungen aus, sind aber überproportional oft Flüchtlinge. Im vergangenen Jahr waren 40 Prozent aller Geflüchteten Kinder. Das sind zwar weniger als jene 45 Prozent im Jahr zuvor – wofür die Zusammensetzung der fast sechs Millionen ukrainischen Vertriebenen verantwortlich ist, unter denen es mehr Frauen und Alte gibt.

In der Türkei leben weit mehr als drei Millionen Syrer.
In der Türkei leben weit mehr als drei Millionen Syrer.

© AFP/Can Erok

In Afghanistan, Burkina Faso, Niger, Somalia und Sudan sind den UN zufolge allerdings jeweils mehr als die Hälfte der Flüchtlinge im Kindesalter. Nach vorsichtigen Schätzungen der Weltorganisation wurden zwischen 2018 und 2022 jährlich 385.000 Kinder auf der Flucht geboren. 


Heimatlos im eigenen Land

Sie stellen die größte Gruppe dar, die wegen Gewalt, Konflikten, Kriegen, Menschenrechtsverletzungen oder der Klimakrise gezwungenermaßen ihr Zuhause aufgeben musste – die sogenannten Binnenflüchtlinge.

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Da sind alle jene Menschen, die als Vertriebene in ihrer eigenen Heimat Schutz suchen. Oft fehlen ihnen Mittel und Möglichkeiten, in Nachbarstaaten oder gar in noch weiter entfernt liegende Länder zu fliehen. Oder sie wollen – trotz Not und Leids – nicht woanders leben.

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© Rita Boettcher

Mehr als 60 Millionen binnenvertriebene Kinder, Frauen und Männer wurden Ende 2022 von UNHCR betreut. Das bedeutet ein Anstieg um zwölf Prozent gegenüber 2021. Fast 80 Prozent aller Binnenflüchtlinge leben in nur zehn Staaten. In Syrien und Kolumbien ist deren Zahl mit 6,8 und 6,7 Millionen besonders hoch.

Aber auch Russlands Angriffskrieg hat dramatische Folgen: Fast sechs Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer waren gezwungen, ihre Häuser und Wohnungen aufzugeben. Ende 2021 waren es lediglich gut 27.000. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat es keinen derart drastischen Anstieg der Geflüchtetenzahl gegeben.

In Afrika weist die Demokratische Republik Kongo mit 5,5 Millionen eine ähnlich hohe Zahl auf. Kaum besser sieht es im Jemen (4,5 Millionen und Sudan (3,6 Millionen) aus.


Zuflucht gesucht – und gefunden

Immer mehr Staaten schotten sich gegen Flüchtlinge ab, auch in Europa. Es werden Zäune hochgezogen, Schiffe zurück aufs Meer getrieben und Aufnahmevoraussetzungen drastisch verschärft.

Doch es gibt nach wie vor Staaten, die Schutzsuchende aufnehmen oder diesen seit vielen Jahren eine Zuflucht bieten. Ganz vorne dabei ist immer noch die Türkei. Gut 3,6 Millionen Menschen leben dort, fast alle sind aus Syrien geflohen. Allerdings nehmen die Anfeindungen zu.

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Im Präsidentschaftswahlkampf waren die „Brüder und Schwestern“ aus dem Nachbarland ein zentrales Thema – selbst Kemal Kilicdaroglu als moderat geltender Rivale von Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan versprach, alle Syrer „nach Hause“ zu schicken

Auch im Iran leben mehr als drei Millionen Schutzsuchende. Es sind überwiegend Afghanen. Deren Zahl hat sich, verglichen mit 2021, vervierfacht. Dabei dürfte es den Menschen vorwiegend darum gehen, der Not in ihrer Heimat zu entkommen. Nach der Machtübernahme durch die Taliban nimmt die Armut in Afghanistan immer weiter zu.

Viele hoffen, im Iran Geld verdienen zu können, um so ihre Familien zu ernähren. Das ist schon seit Jahren gängige Praxis. Aber auch der Iran steckt in einer schweren Wirtschaftskrise. Jobs sind Mangelware. Der Arbeitsmarkt ist hart umkämpft. Afghanen sind deshalb nicht unbedingt willkommen.

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Zu den großen Aufnahmestaaten gehört neben Kolumbien – dort haben vor allem Venezolaner Zuflucht gefunden – auch Deutschland. Dem UNHRC-Report zufolge sind es 2022 etwas mehr als zwei Millionen Menschen gewesen.

Ein sehr großer Teil kam aus der Ukraine. Von dort Geflüchtete müssen in der EU keinen Asylantrag stellen. Sie bekommen einen sogenannten vorübergehenden Schutz. Rund 860.000 Menschen haben diesen in Deutschland erhalten beziehungsweise beantragt.

Die Menschen auf der ganzen Welt zeigen weiterhin eine außergewöhnliche Gastfreundschaft gegenüber Flüchtlingen, indem sie den Bedürftigen Schutz und Hilfe gewähren. Aber wir brauchen viel mehr internationale Unterstützung.

Filippo Grandi, Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen

„Die Menschen auf der ganzen Welt zeigen weiterhin eine außergewöhnliche Gastfreundschaft gegenüber Flüchtlingen, indem sie den Bedürftigen Schutz und Hilfe gewähren“, sagt Filippo Grandi, der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen. „Aber wir brauchen viel mehr internationale Unterstützung und eine gerechtere Aufteilung der Verantwortung.“


Geflohen und zurückgekehrt

Man mag es kaum glauben, aber es gibt auch positive Entwicklungen in der Flüchtlingskrise. Im vergangenen Jahr kehrten fast sechs Millionen Flüchtlinge in ihre Herkunftsorte zurück.

Es waren überwiegend Binnenvertriebene aus Ländern südlich der Sahara. Mit fast zwei Millionen war die Zahl der Äthiopier besonders hoch. Ermöglicht wurde die Rückkehr durch ein Ende 2022 geschlossenes Friedensabkommen, das den Krieg um die Region Tigray beendete.

Für die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer ist der Weg zurück in die Heimat dagegen versperrt. Der russische Angriffskrieg macht es ihnen unmöglich, gefahrlos nach Hause zurückzukehren.

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