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Die Bundeswehr zieht sich zurück.

© dpa/Kay Nietfeld

Was geht uns der Krisenraum Sahel an?: Die Bundeswehr zieht ab, aber die Probleme bleiben

Die Sahelregion ist strategisch wichtig für Deutschland, Europa und den Rest von Afrika. Das liegt an den Dschihadisten, an Russland und den Flüchtlingsbewegungen. Ein Gastbeitrag.

Deutschland will den Mali-Einsatz der Bundeswehr bis Mai 2024 beenden. Die Entscheidung der Bundesregierung ist bedauerlich, ist aber nachvollziehbar angesichts der Probleme mit Malis Militärregierung, die voll auf eine Kooperation mit Russland setzt. Das kann sich auch wieder ändern, falls die russischen Söldner in der Ukraine gebraucht werden. Dann würde die malische Regierung wieder kooperativer, und es gibt vielleicht Spielraum für eine neue Zusammenarbeit.

In Mali und den anderen Ländern der Sahelzone Mauretanien, Burkina Faso, Niger und Tschad zeigen sich viele der Probleme Afrikas exemplarisch. Afrika hat eine stark wachsende Bevölkerung, die sich bis 2050 auf 2.5 Milliarden verdoppeln wird.

Die Bevölkerung im Sahel könnte sich nach Schätzungen bis 2050 auf fast 200 Millionen wachsen. Die Armut würde hier - wie auf dem Rest des Kontinents - drastisch zunehmen.

In vielen Ländern haben die meisten Jugendlichen keinen richtigen Job, wüten Konflikte, oder es fehlt politische Stabilität. ­Viele Menschen suchen ihr Heil in der Flucht, vor allem innerhalb Afrikas, aber nicht wenige zieht es Richtung Mittelmeerroute.

Die Sahelzone bilden das Scharnier zwischen dem reicheren Nordafrika und dem Rest des Kontinents.  Der Staat ist hier immer schwach gewesen. Die Grenzen von Mali, Mauretanien, Burkina Faso, Niger und Tschad wurden von den französischen Kolonialherren willkürlich geschaffen und zwingen verfeindete Volkgruppen zum Zusammenleben.

Erst waren sie Sklaven, dann regierten sie ehemaigen Sklavenhändler

In Mali zum Beispiel leben im Norden Tuareg und Araber, die mit Sklaven gehandelt haben, und nach der Unabhängigkeit wurden die Schwarzafrikaner, die ehemaligen Sklaven, die Regierenden. Das hat nicht funktioniert, und so kam das riesige Land – fast viermal so groß wie Deutschland – nie zur Ruhe.

Die libysche Revolution 2011 brachte dann das ganze Kartenhaus zum Einsturz. Der Westen und die Libyer waren froh, Muammar Gaddafi loszuwerden, doch für die Menschen im Sahelraum ging es seitdem bergab.

Tuareg-Kämpfer, die für Gaddafis Armee gearbeitet hatten, kehrten nach seinem Umsturz zurück nach Mali, wo sie mit Dschihadisten den Norden besetzten. Eine französische Militärintervention eroberte den Norden zurück, doch die Gewalttäter kamen schnell aus ihren Verstecken zurück.

Seitdem breiten sich Dschihadisten aus. Der Sahelraum könnte ganz Westafrika einschließlich des bevölkerungsreichsten Landes Nigeria mit 220 Millionen Einwohnern destabilisieren. Dschihadisten, die bereits Mali, Burkina Faso und Niger fast in die Knie gezwungen haben, dringen in die noch stabilen Küstenländer wie Elfenbeinküste vor.

1200
Soldatinnen und Soldaten waren als Teil einer Blauhelm-Truppe der Vereinten Nationen in Nord-Mali.

Die sind ein Anlaufpunkt für Millionen von Menschen aus den Sahelländern, die dort arbeiten – und ohne deren Überweisungen viele Familien zuhause nicht überleben würden. Darum droht ein Dominoeffekt, wenn die Küstenländer auch im Chaos versinken. In der Folge würde ganz Westafrika kollabieren.

Was sollte die Bundeswehr da bewirken? Rund 1200 Soldatinnen und Soldaten waren als Teil einer Blauhelm-Truppe der Vereinten Nationen in Nord-Mali. Weitere 200 Spezialkräfte bilden im Nachbarland Niger Elitetruppen aus.

Es ist der Versuch, den Zusammenbruch der Sahelregion zu verhindern.

Ulf Laessing, Leiter des Sahel-Programmes der Konrad-Adenauer-Stiftung in Mali

Die EU und die Bundeswehr unterstützen auch Burkina Faso, wo ebenfalls weite Teile des Landes außerhalb der Kontrolle der Regierung sind. Dazu kommen milliardenschwere Hilfsprogramme. Es ist der Versuch, den Zusammenbruch der Sahelregion zu verhindern.

Kritiker des Einsatzes haben schon lange angemerkt, dass der Bundeswehr-Einsatz nichts bringe, weil sich die Sicherheitslage stetig verschlechtert habe. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass es ohne Bundeswehr und Vereinten Nationen noch schlimmer aussähe.

Die Blauhelme und die Deutschen sind im Norden Mali fast der einzige Arbeitgeber – bei einem abrupten Abzug verlören über Nacht Tausende Menschen ihre Jobs. Arbeitslose haben dort in der Regel zwei Perspektiven: sich den Dschihadisten anzuschließen oder Kriminellen (die Übergänge sind hier fließend), was noch mehr Chaos bedeuten würde.

In Nord-Mali entsteht gerade eine neue Fluchtbewegung. Seit die französische Armee abgezogen ist, hat die Terrorgruppe Islamischer Staat Territorium gewonnen. Zehntausende Menschen sind in die Nachbarstaaten Niger und Algerien geflohen - und auch in die Großstadt Gao, wo die Bundeswehr und Vereinten Nationen stationiert sind. Sollten die Blauhelme dort abziehen, werden die Terroristen auch die großen Städte wie Gao ins Visier nehmen. Dann werden die Menschen weiterziehen.

Nach dem beschlossenen Abzug aus Mali will Deutschland sich nun mehr in Niger engagieren, um eine weitere Ausbreitung der Dschihadisten aus Mali zumindest einzudämmen. Es geht bei den Überlegungen, was man in Mali tun kann, schon lange nicht mehr um ein Land, es geht um ganz Westafrika.

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