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Justiz: „Ein Fall Dennis kann heute nicht mehr passieren“

Am Freitag beginnt die Neuauflage des Prozesses gegen die Cottbuser Eltern. Nach dem Tod des Jungen hat Brandenburg den Kinderschutz verbessert.

Von Sandra Dassler

Cottbus/Potsdam - Man sieht sie häufig mit ihren Rädern durch Cottbus fahren: Angelika und Falk B., im Februar 2006 verurteilt zu lebenslanger Haft wegen Mordes an ihrem Sohn Dennis, sind noch auf freiem Fuß. Seit der Bundesgerichtshof (BGH) im März 2007 das Urteil gegen sie aufgehoben hat, dürfen sie auch nicht mehr Mörder genannt werden.

Denn der BGH wertete die Umstände, die zum Tod des sechsjährigen Dennis führten, nicht als Mord. Das Mordmerkmal der Grausamkeit sei nicht gegeben, hieß es. Grund: Der kleine Junge sei am Ende so geschwächt gewesen, dass er das Verhungern nicht mehr bei vollem Bewusstsein erlebte beziehungsweise keine Nahrung mehr verlangte. Am Freitag also werden Angelika und Falk B. nun wegen Totschlags vor Gericht stehen. Statt „Lebenslänglich“ drohen ihnen nun noch zwischen 5 und 15 Jahren Haft.

Der Fall des kleinen Dennis, dessen Leiche im Juni 2004 in einer Tiefkühltruhe der elterlichen Wohnung entdeckt worden war, hat sowohl in Cottbus als auch in Brandenburg und Berlin vieles in Bewegung gebracht. Schließlich hätte der Junge bereits drei Jahre zuvor eingeschult werden müssen. Sein Name wurde sogar im Klassenbuch geführt, aber weder Schulleiterin noch Schulamt wurden misstrauisch, als Dennis’ Mutter Angelika B. immer neue Ausreden erfand, warum ihr Sohn nicht am Unterricht teilnahm.

„So etwas kann heute nicht mehr passieren“, sagt Reiner Walleser, Sprecher im Bildungsministerium Potsdam. „Wir haben im Jahr nach Bekanntwerden des Falls die Grundschulverordnung geändert. Jetzt ist festgelegt, dass schulpflichtige Kinder persönlich in der Schule vorzustellen sind.“ Außerdem müssen die Grundschulen zu jedem Schuljahresbeginn an die Schulämter melden, welche Kinder fehlen. „Das sind jedes Jahr einige“, sagt Walleser: „Aber bisher haben wir alle gefunden – ein Kind sogar in Afrika.“

Auch Berlin reagierte. Nachdem von den Behörden festgestellt worden war, dass auch hierzulande von 75 Berliner Kindern, die eigentlich die Schule hätten besuchen müssen, jede Spur fehlte, wies der damalige Bildungssenator Klaus Böger (SPD) die Bezirke an, allen Fällen nachzugehen. Am 15. September 2006 informierte die Senatsverwaltung für Bildung per Rundbrief über ein einheitliches Verfahren zur Überwachung der Schulpflicht.

Strittig war in Berlin stets die Frage, ob Kinder, deren Eltern nicht auf Zwangsmaßnahmen reagierten, auch von der Polizei zur Schule gebracht werden können. „In unserem Bezirk wird das längst erfolgreich praktiziert“, sagt der Bildungsstadtrat von Neukölln, Wolfgang Schimmang. „Aber in Steglitz-Zehlendorf gibt es damit auch heute noch Probleme.“

Brandenburg hat inzwischen eine Gesetzesnovelle beschlossen, die den polizeilichen Zugriff bei Schulschwänzern ausdrücklich als Ultima Ratio legitimiert.

Auch das Cottbuser Jugendamt hat aus dem „Fall Dennis“ gelernt. Seine Mutter hatte eine Mitarbeiterin des Jugendamtes, die jahrelang die Familie betreute, immer wieder über den Aufenthaltsort von Dennis getäuscht. So kam es, dass die Frau bei Hausbesuchen am Tisch neben der Kühltruhe saß, in der die Leiche des Jungen lag.

„Wir haben jetzt bei allen Kinderschutzfällen das Vier-Augen-Prinzip“, sagt Olaf Trümper vom Cottbuser Jugendamt: „Das heißt, dass immer zwei Fachkräfte gemeinsam in die Familien gehen und sich gegebenenfalls mit weiteren Experten austauschen.“ Außerdem sei ein Kinderschutzkonzept für Cottbus erarbeitet worden, das Behörden, Ärzte, Kindereinrichtungen und die Polizei einbezieht.

Für die praktische Arbeit sei die Änderung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes aus dem Jahr 2005 hilfreich, sagt Trümper. Danach können Kinder, bei denen der Verdacht auf Vernachlässigung oder Missbrauch besteht, jetzt auch ohne Einverständnis der Eltern dem Arzt vorgestellt werden. Dass die Zusammenarbeit des Jugendamtes mit allen am Kinderschutz Beteiligten effizienter geworden ist, bestätigt der Geschäftsführer des Cottbuser „Lebenshilfe“-Vereins Jörn Meyer. Allerdings befürchtet er, dass die derzeitigen Personalkürzungen im Cottbuser Rathaus zulasten der sozialen Dienste gehen. „Wenn eine Jugendamtsmitarbeiterin 90 statt 40 Fälle betreut, ist sie objektiv überfordert“, sagt Meyer.

Das Cottbuser Jugendamt kümmert sich auch um die vier minderjährigen Geschwister von Dennis. Obwohl Angelika und Falk B. nach dem Urteilsspruch vor eineinhalb Jahren auf freiem Fuß blieben, sind ihre Kinder im Heim untergebracht. Die Geschwister wachsen dort gemeinsam auf. Nach Aussagen von Erziehern und Lehrern entwickeln sie sich sehr gut.

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