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Brandenburg: Kick-Projekte: "Es muss jetzt etwas geschehen" (Interview)

ACHIM LAZAI (62), nach 42 Dienstjahren pensionierter Kriminalhauptkommissar, organisiert und betreut sozialpädagogische Projekte für gefährdete Jugendliche. Die (Sport-)Projekte, die unter dem Namen "Kick" laufen, entstanden als Modellversuche in Kreuzberg; inzwischen arbeiten "Kick"-Projekte auch in Eberswalde und Cottbus, weitere sind in Finsterwalde und Rathenow in Vorbereitung.

ACHIM LAZAI (62), nach 42 Dienstjahren pensionierter Kriminalhauptkommissar, organisiert und betreut sozialpädagogische Projekte für gefährdete Jugendliche. Die (Sport-)Projekte, die unter dem Namen "Kick" laufen, entstanden als Modellversuche in Kreuzberg; inzwischen arbeiten "Kick"-Projekte auch in Eberswalde und Cottbus, weitere sind in Finsterwalde und Rathenow in Vorbereitung. Die wesentlichen Methoden der Sozial- und Sportpädagogen sind dabei Beratung, Betreuung und Vermittlung.

Seit Jahren werden - besonders deutlich - in den ostdeutschen Bundesländern, rechtsradikale Pöbeleien und handfeste Übergriffe registriert. Welche und wessen Versäumnisse sehen Sie mit Blick auf Brandenburg?

Leider gibt es dieses Erscheinungsbild in ganz Deutschland. Das Land Brandenburg tritt aber besonders hervor. Dafür gibt es mehrere Gründe. Es gibt aber niemals ein Recht, Straftaten zu begehen - und es sind ja Straftaten, um die es hier vor allem geht.

Auf welchen Nenner würden Sie Brandenburgs Politik gegen Rechtsradikalismus bringen?

Zur Zeit sind alle sehr aufgeschreckt, in Brandenburg insbesondere. Es stimmt mich nachdenklich, wenn Ministerpräsident Manfred Stolpe hier von Unterschätzung gesprochen hat. Das ist mir unverständlich, denn es gibt seit Jahren Berichte über rechtsradikale Übergriffe.

Dann gibt es also doch Versäumnisse.

Von einer laxen Haltung würde ich nicht sprechen. Ich habe seit eineinhalb Jahren einen ganz guten Einblick in die Präventionsarbeit im Land Brandenburg, weil ich dort das Projekt "Kick" bei der Umsetzung unterstütze. Ich kann schon bestätigen, dass sehr große Anstrengungen unternommen werden. Die brandenburgische Sportjugend etwa - Trägerin unseres Projektes - ist sehr engagiert.

Engagement alleine reicht offenbar nicht.

Das stimmt.

Dann muss man sich mit dem derzeitigen Zustand also abfinden.

Um Gottes Willen! Aber zum Engagement einzelner muss vieles hinzukommen. Die Politik ist stark gefordert. Im Moment denkt man unter dem Eindruck des Geschehens nur noch in der Dimension der Repressalien. Dabei ist es extrem wichtig, dass man die Prävention richtig ausbaut. So, wie es bisher nicht der Fall ist! Denn die jungen Menschen werden nachrücken. Wenn sie erst in das rechte Lager hinüber gewechselt sind, dann ist es zu spät. Mir ist nicht bekannt, dass es gelungen ist, junge Leute aus diesen Strukturen herauszulösen. Aber man kann verhindern, dass sie hineingeraten.

Sie empfehlen also die Behandlung beeinflussbarer Jugendlicher mit präventiven Maßnahmen. Für die anderen blieben dann die repressiven Maßnahmen.

Nein, so darf man das nicht sehen. Es geht hier um Menschen, und da muss man den Einzelfall sehen. Prävention kann wirken bei jüngeren und älteren Jugendlichen. Aber es ist richtig, dass sich der Erfolg präventiver Arbeit nach der Formel "je jünger, je eher" bemisst.

Der Landesjugendring Brandenburgs forderte am Dienstag mehr Sozialarbeiter für Jugendclubs zum Kampf gegen den Rechtsextremismus. Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, um junge und ältere Rechtsradikale "in den Griff" zu bekommen?

Es muss jetzt etwas geschehen - mit Blick auf die Zukunft! Welches Ergebnis Versäumnisse hinterlassen, das sehen wir jetzt. Ich habe an der Basis miterlebt, wie sich die Rohheitsdelikte entwickelt haben. Schon Mitte der achtziger Jahre habe ich bei meiner kriminalpolizeilichen Arbeit festgestellt, dass sie eine andere Qualität annehmen. Es muss also gelingen, die jungen Menschen so zu führen, dass sie nicht gewaltbereit werden. Gewaltbereit wird ja keiner geboren.

Was müsste denn vermittelt werden?

In unserer Gesellschaft sind Tugenden wie Rücksicht abhanden gekommen. Zunächst einmal geht es darum, dass man diese Tugenden wieder vermittelt. Aber es gibt einen großen Mangel an Ansprechpartnern. Aus Erfahrung weiß ich, dass zum Beispiel das Wort eines Lehrers in einer bestimmten Entwicklungsphase einen höheren Stellenwert als das Wort der Eltern haben kann. Auch heute ist es wichtig, dass junge Menschen einen Ansprechpartner haben. Der ihnen auch sagt, was richtig, was falsch ist.

Sie propagieren also die Rückkehr zu den alten Sekundärtugenden.

Daran liegt mir nicht. Wir sind immer im Wandel. Ich kann heute Jugendlichen nicht mehr die Zehn Gebote vorhalten. Bei der Präventionsarbeit muss man am Menschen, mit dem Menschen arbeiten. Man muss sich auf ihn einstellen.

69 Prozent der Deutschen haben kein Vorbild mehr. Das ergab eine Forsa-Umfrage im Juli. Sind Vorbilder heute überhaupt noch wichtig?

Sie sind in einem bestimmten Alter von Bedeutung. Spieler von Alba Berlin zum Beispiel sind in, in Kreuzberger Schulen zumindest. Und wenn ich an Brandenburg denke: Cottbus ist eine hervorragende Sportstadt ...

Im Innenministerium Brandenburgs wird gebetsmühlenartig wiederholt, die Zahl der Straftaten aus rechtsradikalem Umfeld sei zurückgegangen.

Das sind Zahlen, das ist Statistik. Daran will ich mich nicht festmachen. Mich schockiert die Qualität der Taten. Es gibt da eine enorme Gleichgültigkeit - es ist egal, ob du auf der Strecke bleibst. Es interessiert nicht, in welcher Form du verletzt wirst. Die fest rechts organisierten Leute werden einen Kampf herausfordern.

Also bleiben doch nur repressive Maßnahmen?

In diesem Falle ja, aber es kommt darauf an, dass wir irgendwann einen Schnitt hinbekommen und dass wir das rechtsradikale Klientel nicht noch vergrößern. Es ist nicht erklärlich, dass Projekte wie "Kick" für ein Jahr bewilligt werden und dann auslaufen. Da gibt es doch gar keine Planungssicherheit. Ich zweifle deshalb an der Ernsthaftigkeit der Politiker. Wenn Prävention so wichtig ist, wie die Politiker hervorheben, dann müssen sie auch die Rahmenbedingungen schaffen.

Also gibt es derzeit große Politikerworte, während eine große Kasse geöffnet werden müsste.

Die große Kasse fehlt, ja. Vor allem im Verhältnis zu dem, was durch Kriminalität angerichtet wird. Die Portobeträge, um die es hier geht, müssen uns präventive Arbeit wert sein.

Ihnen sind die gängigen Polizeigesetze geläufig. Warum wurde und wird - aus Ihrer Kenntnis - das repressive Instrumentarium des Staates offenbar nicht voll eingesetzt?

Oft frage ich mich das auch. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Justiz auf eine positive Veränderung der Gesellschaft hofft. Doch da muss ich die Justiz enttäuschen.

Was halten Sie von einem Verbot der NPD?

Die Demokratie muss so stark sein, dass sie eine solche Partei an den Rand drückt.

Seit Jahren werden - besonders deutlich - in den o

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