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Brandenburg: Klammern an den letzten Strohhalm

ANGEMARKT Clausdieter Steyer über die wachsende Hoffnungslosigkeit im Land In seiner Verzweiflung griff der Mann zu einem Bettlaken und einem Topf schwarzer Farbe. „57 Prozent Arbeitslosigkeit!

ANGEMARKT

Clausdieter Steyer über die wachsende Hoffnungslosigkeit im Land

In seiner Verzweiflung griff der Mann zu einem Bettlaken und einem Topf schwarzer Farbe. „57 Prozent Arbeitslosigkeit! Was tun die Politiker?“, schrieb er in großen Buchstaben und Ziffern auf das weiße Laken und eilte mit seinem Werk auf die Straße. Dort sollte kurze Zeit später der Konvoi von Ministerpräsident Platzeck auf seiner Fahrt zu einem Außentermin vorbeirollen. Todesmutig trat der Mann im entscheidenden Moment auf die Fahrbahn und schwenkte das Laken, so dass die schwarze Limousine des Regierungschefs zwangsläufig stoppen musste.

Platzeck stieg sofort aus dem Wagen und sprach mit dem ungewöhnlichen Demonstranten und seinen Begleitern. Sie nutzten die Gelegenheit, um beim Ministerpräsidenten noch gegen die beabsichtigte Schließung eines Bahnübergangs zu protestieren. Die Szene vor einigen Tagen auf der Bundesstraße 1 – kurz vor dem Grenzübergang nach Küstrin in Ostbrandenburg – drückt in vielerlei Hinsicht die Lage und die Stimmung im Land Brandenburg aus.

Die Stimmung schwankt mehr und mehr zwischen Verzweiflung, Wut, Enttäuschung und dem Klammern an den letzten Strohhalm. Da verhindern Arbeiter in Premnitz den Abtransport von Spinnmaschinen nach Indien, um nicht ihren Job zu verlieren. Busfahrer in Eisenhüttenstadt verzichten freiwillig auf 10 Prozent ihres Einkommens, damit sie von Stadt und Landkreis nicht entlassen werden. Mediziner und Schwestern schicken ihre Kittel aus Protest gegen die Sparpolitik und den Ärztemangel auf dem Lande an die Ministerin. Und Handwerker tragen ihren Berufsstand mit spektakulären Auftritten buchstäblich zu Grabe.

Die Liste aus der jüngsten Zeit ist längst nicht vollständig. So unterschiedlich die Motive für die Proteste im einzelnen auch sein mögen – das Ergebnis ist doch überall fast gleich. Die Öffentlichkeit nimmt kurz Notiz davon, aber die Politik kann oder will nicht helfen. Gerade in Brandenburg, so signalisiert sie, müssen sich die Menschen umstellen, ihre Erwartungen zurückschrauben.

Die Ära Manfred Stolpes, der den Menschen zuhörte, deren Sorgen aufschreiben ließ, Hilfe versprach und tatsächlich dank der vor Jahren noch reichlich gefüllten Geldtöpfe des Bundes, des Partnerlandes Nordrhein-Westfalen und der EU viele Sorgen nehmen konnte, ist endgültig vorbei. Dass viele Projekte nur heiße Luft waren oder viel zu hohe Erwartungen auslösten, ist hinlänglich bekannt. Mit Platzecks Wechsel auf den Stuhl des Ministerpräsidenten im Mai vergangenen Jahres schien der Weg für einen neuen Aufbruch frei.

Doch inzwischen sind die vielen Vorschusslorbeeren, mit denen der Ex-Umweltminister und Ex-Oberbürgermeister ans Werk ging, verwelkt. Seine Signale an die Premnitzer Werkbesetzer zur vermeintlichen Rettung der 200 Jobs waren nicht nur vorschnell, sondern erinnerten vor allem an die Rolle des gütigen aber hilflosen Landesvaters. Die Sorgen auch in Brandenburg werden aber mit Sicherheit größer werden.

Noch fehlt das überzeugende Konzept, mit dem die Regierenden in Brandenburg auf solche Horrorzahlen wie der 57-prozentigen Arbeitslosigkeit im Oderraum oder den vielen anderen Problemen begegnen wollen.

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