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Ohrenbetäubendes Getose über dem Schlachtfeld: Szene aus dem Film „Im Westen nichts Neues“ von Edward Berger, 2022

© picture alliance / Everett Colle

Klänge des Schreckens: So traumatisierend sind Kriegsgeräusche

Krieg bricht mit höchster Brutalität in das Leben von Menschen ein – auch akustisch: Detonationen, Schreie und Sirenen graben sich oft tief ins Seelenleben ein.

Von Dennis Yücel

Das sogenannte Trommelfeuer gehörte zu den größten Schrecknissen des Ersten Weltkrieges. Artillerien beider Seiten feuerten ununterbrochen und ungezielt auf die Schützengräben des Gegners – manchmal tagelang. Hunderte Granaten gingen über kilometerweite Gebiete nieder. Einzelne Detonationen waren nicht mehr auszumachen. Stattdessen herrschte ein einziges ohrenbetäubendes Getose über dem Schlachtfeld. „Es gab lange Zeiträume höllischen Lärms, die immer wieder durch Perioden völliger Stille unterbrochen wurden“, sagt Gundula Gahlen. „Das Getose des Trommelfeuers machte Tausende Soldaten psychisch krank.“

Die Historikerin forscht und lehrt als Privatdozentin am Friedrich-Meinecke-Institut für Geschichtswissenschaft der Freien Universität. Sie ist Expertin für die Geschichte von Menschen, die einst als „Kriegsneurotiker“ bezeichnet wurden: Soldaten, die nervlich und psychisch schwer versehrt von den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges heimkehrten. „Viele dieser Patienten“, sagt die Wissenschaftlerin, „sahen im Lärm des industrialisierten Maschinenkrieges eine entscheidende Quelle für ihr Leiden.“

Auch über den Ersten Weltkrieg hinaus, sagt Gundula Gahlen, gelte es, die akustische Dimension in die Analyse von Kriegen einzubeziehen. „Kriegsgeräusche gehörten seit jeher zu den lautesten Geräuschen der Menschheitsgeschichte“, sagt sie. „Kriegerische Gewalthandlungen lassen sich nur verstehen, wenn man diesen Phänomenen Rechnung zollt.“

Kriegsszene aus dem Film „Im Westen nichts Neues“ von Edward Berger, 2022
Kriegsszene aus dem Film „Im Westen nichts Neues“ von Edward Berger, 2022

© picture alliance / Everett Colle

Für Gahlen sind zwei Leitfragen entscheidend: Wie und warum haben sich Kriegsgeräusche im Laufe der Geschichte gewandelt? Und: Wie wurden diese Geräusche von den Menschen verschiedener Epochen wahrgenommen, gedeutet und erinnert? „Zum Klang des Krieges gehören nicht nur die Geräusche von Waffen und Kriegsgerät“, sagt Gahlen. „Es geht auch um Bewegungsgeräusche von Menschen und Tieren, um Jubel- und Schmerzensschreie, um Signale und Kriegsgetrommel sowie Reden, Gespräche und Gebete im Vorfeld von Kampfhandlungen.“ Und auch um die Stille gehe es, die in der Geschichte des Krieges oftmals als besonders bedrohlich empfunden worden sei.

Menschen, die den Krieg gehört haben, werden unweigerlich zu Teilnehmern.

Martin Clauss, Mittelalterhistoriker

„Die Erforschung der Sinnesgeschichte, insbesondere der akustischen Phänomene, hat in den vergangenen Jahren einen regelrechten Boom erlebt“, sagt Gundula Gahlen. Wie die Erkenntnisse dieser „Sound Studies“ mit speziell militärgeschichtlichen Fragestellungen verknüpft werden können, war vor Kurzem Thema einer Konferenz an der Freien Universität. Organisiert hatte die Tagung „Der Sound des Krieges“ Gundula Gahlen gemeinsam mit dem Mittelalterhistoriker Martin Clauss von der Technischen Universität Chemnitz und Oliver Janz, Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität.

Bei der dreitägigen Veranstaltung spannte sich der Bogen von der Antike über den Zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart. Die Historiker Daniel R. Bonenkamp und Lukas Grawe beschäftigen sich etwa mit dem Geräusch und der Geschichte des berüchtigten Sturzkampfbombers Ju-82. Die „Stukas“ der Nationalsozialisten stürzten sich mit einem kreischenden Geheul auf ihre Ziele, das mit einem speziellen „Lärmgerät“ als Mittel der psychologischen Kriegsführung erzeugt wurde. Bis heute prägt das charakteristische Geräusch die kollektive Erinnerung an die Schrecknisse des Luftkrieges.  

Im Rahmen seines Forschungsprojekts „Der laute Krieg und die Laute des Krieges. Belliphonie im Mittelalter“ will Martin Clauss die Geräuschkulisse von mittelalterlichen Kriegen mithilfe textlicher Quellen rekonstruieren. „Uns geht es um den Kampflärm auf dem Schlachtfeld ebenso wie um die klangliche Gestaltung von Kriegserzählungen“, sagt der Historiker. „Auch die Materialität des Sounds steht im Vordergrund, etwa von mittelalterlichen Hörnern oder Glöckchen an mittelalterlichen Ritterrüstungen.“

Natürlich könne die Rekonstruktion kein vollständiges Bild davon liefern, wie der Krieg im Mittelalter geklungen hat. „Doch über die Literatur kommen wir zu einer Vorstellung davon, welche akustischen Phänomene des Krieges in Erinnerung blieben und wie sie eingesetzt wurden.“ Schon damals hätten die Menschen Ideen entwickelt, wie sich akustische Phänomene als Mittel der psychologischen Kriegsführung einsetzen lassen, etwa mit lauten Kriegsgesängen oder schellenden Glöckchen an den Rüstungen.

Schlachtfeld: Szene aus dem Film „Im Westen nichts Neues“  von Edward Berger, 2022
Schlachtfeld: Szene aus dem Film „Im Westen nichts Neues“ von Edward Berger, 2022

© picture alliance / Everett Colle

Über die Erforschung der klanglichen Dimension des Krieges, sagt Clauss, lasse sich der analytische Umgang mit bewaffneten Konflikten in Vergangenheit und Gegenwart schärfen. So ging es auf der Konferenz auch um die Geräuschkulisse des aktuellen Kriegs in der Ukraine.

Die ukrainische Historikerin Olga Radchenko erkundete auf Grundlage selbstgeführter Video-Interviews die Hörerfahrungen von Zivilisten. Dabei ging sie etwa der Frage nach, wie Kinder und Erwachsene auf die lebensbedrohlichen Geräusche von Panzern und Bombardierungen reagieren. Aber auch, wie durch akustische Auslöser Erinnerungen an die einstige NS-Besatzung der Ukraine geweckt werden. „Nach meiner Auffassung werden Menschen, die den Krieg gehört haben, unweigerlich zu Kriegsteilnehmern“, sagt Martin Clauss. „Krieg dringt über die Ohren in die Körper der Betroffenen ein – wer den Krieg hört, wird von ihm erfasst.“

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