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Kommentar: Unter Hochspannung

Der Energiekonzern Vattenfall plant eine 25 Kilometer lange Hochspannungsleitung mitten durch das größte zusammenhängende Waldgebiet Norddeutschlands. Brandenburgische Politiker haben dem schon zugestimmt. Claus-Dieter Steyer findet dies mehr als bedenklich.

Es klingt unglaublich. Aber in Brandenburg wird doch tatsächlich versucht, eine jahrhundertealte Binsenweisheit außer Kraft zu setzen: Niemand sägt an dem Ast, worauf er sitzt. Anders können die Pläne für den Bau einer großen Hochspannungstrasse durch die Schorfheide kaum verstanden werden. Denn der Energiekonzern Vattenfall besteht entgegen der Proteste von Naturschützern, einer örtlichen Bürgerinitiative und der Empfehlung des Landesumweltamtes auf einer 25 Kilometer langen Freileitung innerhalb dieses größten zusammenhangenden Waldgebietes Norddeutschlands. Ein Erdkabel, das die reiche Natur hier schonen würde, soll nicht in Frage kommen. Brandenburgische CDU-Bundestagsabgeordnete haben in den wichtigen Gremien dafür ihre Zustimmung erteilt.

Kurzsichtiger kann eine Entscheidung kaum ausfallen. Denn das große Glück, dem das Land Brandenburg in weiten Teilen eine so schöne Natur mit Wäldern, Seen, sanften Hügeln und lieblichen Wasserläufen verdankt, wird einfach mit Füßen getreten. Ohne Rücksicht auf die Vielfalt von Tieren und Pflanzen stimmen Politiker für die billigere, aber schädlichere Lösung einer Freileitung. Es klingt schon paradox, dass Rehe, Hirsche, Hasen und selbst Wölfe in der Schorfheide auf einer speziellen Wildbrücke die vor vielen Jahrzehnten gebaute Autobahn gefahrlos überqueren können, aber Adler, Kraniche oder Schwarzstörche nun an einer neuen Hochspannung den Tod finden sollen. Das von den Befürwortern ins Feld geführte Argument, dass ein Erdkabel einen viel größeren Eingriff in die Wälder bedeuten würde, schreit zum Himmel. Wie schnell sich eine aufgegrabene Landschaft wieder erholen kann, zeigen die vielen Truppenübungsplätze im Land. Hier heilt die Natur in kurzer Zeit alle Wunden. Eine Hochspannungsleitung aber bleibt immer ein Hindernis.

Über den Wert der Schorfheide gibt es keinen Zweifel, trägt sie doch als Biosphärenreservat den höchsten Schutzstatus der Unesco. Genau deswegen kommen so viele Touristen nach Brandenburg. Beim Radfahren, Wandern, Skaten, Bootfahren oder beim Picknick genießen sie diese Vorzüge. Doch das Land lässt es zu, dass an diesem Ast gesägt wird. Schon längst zeigen Ausflüge gerade in den Brandenburger Nordosten, wie leichtfertig der natürliche Reichtum aufs Spiel gesetzt wird. In der Uckermark hat die Zahl der Windräder längst das erträgliche Maß für viele Einwohner und Touristen überschritten. Man hat Mühe, den einst so gerühmten freien Blick in die Landschaft an irgendeiner Stelle überhaupt zu finden. Fast täglich kommen neue Riesenanlagen hinzu. Ganz bewusst trägt die im Kreistag sitzende Bürgerinitiative gegen zu viele Windräder den Namen "Rettet die Uckermark“. Nicht weniger einfallsreich waren die Protestierer gegen die Hochspannungsleitung. Sie kämpfen unter dem Titel "Biosphäre unter Strom“ um die Entscheidung für ein Erdkabel. Es ist ihnen Hochspannung zu wünschen.

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