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Brandenburg: Kontrolleure ohne Kopf

Experten halten führungslosen Rechnungshof für nicht verfassungsgemäß

Potsdam - Die Neubesetzung der vakanten Spitze des Brandenburger Landesrechnungshofs verzögert sich von Monat zu Monat. Noch immer gibt es keinen Termin, wann ein Nachfolger für die im November 2006 in den Berliner Senat gewechselte frühere Präsidentin Gisela von der Aue gewählt werden kann. Die lang andauernde Führungslosigkeit des Verfassungsorgans – Vizepräsident Arnulf Hülsmann ist wegen eines Betrugsstrafprozesses suspendiert – könnte mittlerweile sogar verfassungswidrig sein. Zu diesem Befund kommen zumindest die beiden Potsdamer Rechtswissenschaftler Dieter Umbach und Franz-Wilhelm Dollinger. Brandenburgs Rechnungshof sei „derzeit nicht als Verfassungsorgan einzuordnen“, heißt es in ihrem Buch „Zwischen Bestenauslese und Demokratieprinzip“. Dort haben die beiden Wissenschaftler anhand der Brandenburger Turbulenzen untersucht, auf welche Weise deutsche Rechnungshöfe regulär besetzt werden müssen.

Der Rechnungshof müsse „eine jederzeit funktionsfähige Institution“ sein, erklären Umbach und Dollinger. Ihr Fazit für Brandenburgs Kontrollorgan: „Damit liegt ein Befund vor, der sich – insbesondere angesichts des sich weiter ausdehnenden Vakanzenzeitraums – nicht mehr als verfassungsadäquat bezeichnen lässt.“ Die Mahnung: „Die zuständigen Institutionen sind danach landesverfassungsrechtlich dringend gehalten, diesen Zustand zügig zu beenden.“ Denn die „Pflicht zur Beseitigung des derzeitigen Zustandes“ könnte „ein Streitgegenstand vor dem Verfassungsgericht werden“.

Das Problem droht sich sogar zu verschärfen. Derzeit gibt es mit den Direktoren Klaus-Dieter Arlt und Sieglinde Reinhard nur zwei vom Landtag gewählte Mitglieder im fünfköpfigen Großen Kollegium. Und Arlt geht zum Jahresende in den Ruhestand. Doch Brandenburgs Parlament und die Parteien haben sich bislang schwer getan, einen geeigneten Kandidaten auszuwählen und zu küren. Die SPD hatte zunächst überstürzt die Landtagsabgeordnete Britta Stark nominiert, die nach massiver Kritik an Verfahren und Qualifikation bald das Handtuch warf.

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung mahnt der frühere Verfassungsgerichtspräsident Ernst Benda in einem Vorwort für das Buch daher, dass bei der Bestellung der Mitglieder von Rechnungshöfen besonders sorgfältig jeder Eindruck vermieden werden müsse, als „sollten Personen gesucht werden“, die Verfassungsorganen „nicht unabhängig“, sondern „in einer politischen Nähe gegenüberstehen“. Benda ist mit dem Fall vertraut. Zusammen mit Umbach hatte er im Zuge der Debatte um Stark ein Gutachten vorgelegt, wonach der künftige Präsident des Rechnungshofes angesichts der jetzigen Brandenburger Konstellation Volljurist sein muss. Auch im Buch wird klar jede „politische Vorauswahl“ von Kandidaten als rechtswidrig eingeschätzt.

Zurzeit liegt der Ball bei der Besetzung der Stelle beim Oberverwaltungsgericht. Der Haushaltskontrollausschuss des Landtages hatte aus 20 Bewerbern für den Präsidentenposten anonymisiert eine Vorauswahl getroffen und elf Kandidaten zu Anhörungen geladen. Nicht dabei war Ellen Chwolik-Lanfermann, Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht, die am Potsdamer Verwaltungsgericht Einspruch einlegte – und gewann. Der Haushaltskontrollausschuss ging in Berufung. Das Oberverwaltungsgericht hat mittlerweile einen Kompromiss angeregt, die Vorauswahl mit Blick auf die Qualifikationen von Chwolik-Lanfermann noch einmal zu überprüfen und sie doch anzuhören. Thorsten Metzner

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