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Kultur: Andere Zeiten, ferne Räume, nahe Seelen Norbert Hummelt bedichtet „Pans Stunde“

Es ist lange her, dass in der deutschsprachigen Lyrik mit so großer Emphase die Stunde des bocksfüßigen Hirtengotts Pan eingeläutet wurde. 1895 hatten Otto Julius Bierbaum und Richard Dehmel mit großem Aplomb die exklusive Literaturzeitschrift „Pan“ gegründet, das Zentralorgan des literarischen Jugendstils.

Es ist lange her, dass in der deutschsprachigen Lyrik mit so großer Emphase die Stunde des bocksfüßigen Hirtengotts Pan eingeläutet wurde. 1895 hatten Otto Julius Bierbaum und Richard Dehmel mit großem Aplomb die exklusive Literaturzeitschrift „Pan“ gegründet, das Zentralorgan des literarischen Jugendstils. Der junge Stefan George hatte für die Gründer der Zeitschrift damals nur Verachtung übrig, spielte gleichwohl mit dem Gedanken, in dieser einflussreichen Zeitschrift zu publizieren. Er blieb jedoch auf Abstand und legte kurz darauf mit seinem Band „Das Jahr der Seele“ den wirkungsmächtigsten Gedichtband der Jahrhundertwende vor.

Von dieser Konstellation kann nicht absehen, wer sich mit dem jüngsten Lyrikband des in Berlin lebenden Dichters Norbert Hummelt beschäftigt, der fast provokativ diese mythologische Gestalt des sich träumerisch dem Müßiggang hingebenden Hirtengotts ins Zentrum rückt: „Pans Stunde“. Eröffnungs- und Schlussgedicht des Bandes beschwören den Augenblick der schockhaften Selbstbegegnung, den epiphanischen Moment, in dem Selbsterkenntnis und Vergänglichkeitsgewissheit zusammenfallen. Für diese Szene steht der bocksfüßige Hirtengott in diesen Gedichten gleichsam Modell, zeigt uns Hummelt doch den Pan in einer Mußestunde, da die Zeit stillsteht, einem bedrohlichen Ausnahmezustand.

Bereits in der zweiten Zeile des Titelgedichts taucht eine Vokabel auf, die als ästhetische Maxime gelesen werden darf: das Wort „anmutig“. Es benennt die Intentionen des Autors, die zarte Gestik und das sanfte Fluktuieren seiner Langzeilen. Norbert Hummelt schreibt Gedichte, die ihren Stoff aus flüchtigen Alltagsmomenten gewinnen, aus dem Wechselspiel von Licht und Schatten, aus den hier animistisch verstandenen Zeichen der Natur und der Jahreszeiten. Es gehört zur Kühnheit dieses poetischen Ansatzes, dass der Autor mit starken Reminiszenzen an das Werk Stefan Georges arbeitet, dem er in den vergangenen Jahren einige substanzielle Essays gewidmet hat. Nicht zufällig finden wir in „Pans Stunde“ das Gedicht „das jahr der seele“, das in innigen melancholischen Sequenzen die Geschichte einer Trennung evoziert.

Bis zu seinem Gedichtband „Stille Quellen“ (2004) war für Hummelt das Werk Joseph von Eichendorffs die primäre Referenz. Für „Pans Stunde“ gilt nun eher das Vorwort, das George einst seinen „Büchern der Hirten- und Preisgedichte“ voranstellte. Seine Gedichte, so George, enthielten „die spiegelungen einer seele, die vorübergehend in andere zeiten und örtlichkeiten geflohen ist“. Einige dieser Örtlichkeiten kennt man aus früheren Bänden Hummelts: die Herkunftslandschaft des Niederrheins, die Eifel, die Lebenswelten in Köln und Berlin.

In vielen Gedichten sehen wir ein schlafloses Subjekt, das sich, geplagt von den Heimsuchungen des „Nachtmahrs“, in den Zonen des Dämmerns und der Trance bewegt und sich dabei „innerlich den hellen Bildern“ hingibt. Viel stärker als in früheren Bänden drängt vieles auf die Erfahrung der Sterblichkeit hin. Darunter findet sich ein ergreifendes Gedicht über die Todesahnung einer verzweifelten Frau, und die intensiven Vater-Gedichte, die als randscharfe Erinnerungs-Fotografien daherkommen.

„Pans Stunde“ ist ein elegisches Buch der Erinnerung: an das unwiederbringlich Verlorene. In der auf absolute Modernität gestimmten Lyrik-Community unserer Tage entwickelt es nachhaltige Irritationskraft. Michael Braun

Norbert Hummelt: Pans Stunde.

Gedichte.

Luchterhand Literaturverlag, München 2011.

96 Seiten, 16,99 €.

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