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Antike: Das alte Europa

Anknüpfen an große Traditionen: Die Dresdner Antiken sind für eine Großausstellung nach Madrid gereist.

Der spanische König Juan Carlos nahm die Eröffnung der Ausstellung „Unter Göttern und Menschen“ vor – ohne Ansprachen, dafür aber mit einem ausführlichen Rundgang durch den Prado, das Schatzhaus seiner habsburgisch-bourbonischen Vorfahren. Eine Ehre, die – wie Madrilenen berichteten – nur wenigen Ausstellungen zuteil wird. Entsprechend war die Resonanz der Medien. Nun ist das Publikum gefordert: Denn die Antike, die Grundlage des gesamteuropäischen Selbstverständnisses, ist nicht mehr ohne weiteres gegenwärtig.

Im 18. Jahrhundert zählten Ausgrabungen zur Routine. Der Forscherdrang der Renaissance hatte der Kennerschaft des Barock den Boden bereitet. Antike Skulpturen zu besitzen, gehörte zum guten Ton. Die Nachfrage war groß. Neue oder im Rang erhöhte Höfe Europas drängten danach, es den großen Sammlungen Italiens gleichzutun, die noch in räumlicher Nachbarschaft zu den Fundorten entstanden waren. So förderte 1711 eine Grabungskampagne im Bereich des Theaters von Herculaneum bei Neapel eine Frauengestalt zutage, die zu den meistkopierten Vorlagen des Mittelmeerraumes zählt. Die fast zwei Meter „Große Göttin aus Herkulaneum“, deren Entstehung aufgrund des verheerenden Vesuv-Ausbruchs des Jahres 79 auf das erste nachchristliche Jahrhundert zu datieren ist und ihrerseits einer griechischen Schöpfung um 330 v. Chr. folgt, gelangte über Wien 1736 nach Dresden.

Der sächsische Hof unter den beiden Wahlkönigen Polens, August dem Starken und seinem Sohn, August III., war regelrecht kunstbesessen. Zunächst kam 1726 die Sammlung Giovanni Bellori nach Dresden, nur zwei Jahre später die Sammlungen Agostino Chigi und des Kardinals Albani. In kürzester Zeit trat Dresden als Standort der Antikenverehrung neben die hergebrachten Orte der Antikenkunde, darunter Madrid, die Hauptstadt eines Weltreiches. So unterschiedlich die Höfe von Madrid und Dresden in ihrer politischen Bedeutung auch waren, so sehr ähnelten sie einander bald im Rang ihrer Kunstbestände.

Zumal, was die Antike angeht. Die Jahreszahlen liegen dicht beieinander: So kam die Sammlung von Livio Odeschalchi 1725 aus Rom nach Spanien in den Besitz König Philipps V., dessen Nachfolger sie im Madrider Prado der Öffentlichkeit zugänglich machten. Philipps Sohn Karl wurde 1735 König in den beiden vormals habsburgischen Reichen Neapel und Sizilien, ehe er 1759 als Karl III. König von Spanien wurde – und seine Liebe zu Italien und zur Antike weiter pflegte.

Was als Facette der europäischen Geschichte kaum mehr geläufig ist, tritt in antikem Gewand glanzvoll vor Augen. Die Dresdner Sammlung ist mit ihrem Madrider Gegenstück in einer Ausstellung vereint. 40 Antiken aus dem Dresdner Albertinum, der wegen Totalumbaus bis 2010 geschlossenen Heimstatt der Skulpturensammlung, und 20 aus dem Bestand des Prado bilden für bemerkenswerte fünf Monate ein ideales Panorama antiker Skulptur. Nicht nur kleine Porträtköpfe für den antiken Hausgebrauch sind nach Spanien gebracht worden. Eine Vielzahl teils überlebensgroßer Marmorstatuen reiste nach Madrid, von wo aus die gesamte Ausstellung im kommenden Frühjahr an die Elbe kommen wird, um im Japanischen Palais an dessen Zeit als Standort der Antikensammlung ab 1786 anzuknüpfen – damals bereits, laut Widmungsinschrift, für den „öffentlichen Gebrauch“ bestimmt.

Die Statue der „Demeter von Eleusis“, geschaffen von einem Schüler des Phidias, bildet den Auftakt der großzügigen Aufstellung im Prado. Der Madrider Demeter folgt die „Athena Lemnia“ aus Dresden, auch sie von Phidias oder seinem Umfeld. Dann folgt eine kleinere Athena, nun wieder aus der Sammlung des Prado. Die beiden Sammlungen ergänzen einander perfekt.

Die drei Abteilungen der Ausstellung mit der klassischen Periode Athens, der hellenistischen Epoche des 3. bis 1. vorchristlichen Jahrhunderts sowie der Spätantike zeigen die ganze Entwicklung von der grandiosen Hochzeit des perikleischen Zeitalters bis zum Verschwinden des antiken Kultus, der zu römischer Zeit in Dionysos-Festen wie auch im Theater fortlebte. Der Madrider Rundaltar mit Reliefs eines Dionysos-Festes bildet den erzählerischen Rahmen für zahlreiche Masken. Großartig die Darstellungen des Weiblichen, vom Torso der Mediceischen Venus bis zur „Nachdenklichen Muse“ – beide aus Madrid – und dem „Kopf der aufgestützten Muse“ mit zum Pferdeschwanz gebundenem Haar.

Solch anmutiger Wirklichkeitssinn erreichte in der römischen Kaiserzeit einen Höhepunkt. Bezaubernd das pausbäckige „Sitzende Mädchen“ mit seitlich herabrutschendem Gewand aus der Zeit um 160, das in der Berliner Antikensammlung ein etwas herberes Pendant hat. Aus dieser und nachfolgender Zeit stammen mehrere Kaiserporträts, unter denen Konstantin ein bis heute bekanntes Gesicht hat. Mit ihm wurde das Christentum Staatsreligion. Mit und nach ihm endet die Antike.

Rätselhaft bleibt der qualitative Niedergang der antiken Kunst in den wenigen Jahrzehnten des weströmischen Spätreiches. Gewiss beschäftigt uns der Zerfall des römischen Imperiums heute bei Weitem nicht mehr so stark wie im 19. Jahrhundert. Doch stimmt auch die Madrider Ausstellung melancholisch. Dabei bildet ein einzigartiges Werk den Abschluss – eine Silberschale des Kaisers Theodosius aus dem Jahr 388, die bislang überhaupt nur ein einziges Mal ihren angestammten Platz in der Königlichen Akademie der Geschichte verlassen hat. Dieses „Missorium“ wurde erst 184 im Süden Spaniens entdeckt, wobei die genauen Umstände im Dunkeln liegen.

Damit sind der tiefere Sinn wie auch die Rechtfertigung eines so aufwendigen Unternehmens angesprochen. Die Madrider Ausstellung wird von einem monumentalen Katalog begleitet, der den Ertrag mehrjähriger Forschungen versammelt. Die deutsche Ausgabe soll zur Dresdner Präsentation vorliegen. Gegenüber der Bearbeitung des jeweils eigenen Bestandes hat der gemeinsame Katalog den Vorteil, Lücken sammlungsübergreifend füllen zu können. So wenig nahe sich Sachsen und Spanien geografisch liegen, so wenig sie politisch miteinander zu tun hatten – in ihren Sammlungen zeigen sie sich als Miterben jener großen, niemals auszuschöpfenden Hinterlassenschaft, die mit dem Wort Antike gemeint ist.

Madrid, Prado, bis 12. April 2009. Katalog 52 €. In Dresden Mai bis Sept. 2009

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