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Ausstellung im Gropius-Bau: Futurismus: Hauptsache dagegen

Die Jubiläumsausstellung „Sprachen des Futurismus“ im Martin-Gropius-Bau beleuchtet vorzüglich die vielfältigen Ambitionen des Futurismus. Zusätzliches Plus: der Bezug zu Berlin.

Die Bezeichnung „Futurismus“ gab es bereits, ehe auch nur ein einziges futuristisches Werk existierte. Die Kunstrichtung ist eine Kopfgeburt, erfunden von Filippo Tommaso Marinetti (1876 – 1944), einem wortmächtigen Dichter und begnadeten Organisator. Den 100. Jahrestag seines „Manifests des Futurismus“, geschickt lanciert in Paris, haben zu Beginn des Jahres mehrere Ausstellungen gefeiert, die mit den mittlerweile allzu bekannten Spitzenwerken aufwarten konnten. Als Nachzügler folgt nun die Ausstellung „Sprachen des Futurismus“ im Berliner Martin-Gropius-Bau. Was von hintergründigem Reiz ist, weil Marinetti einer der ersten war, der den Begriff der Avantgarde für sich reklamierte.

Nun also die Nachhut in Berlin. Das muss kein Nachteil sein. Die ab dem heutigen Freitag geöffnete Ausstellung zeigt, dass die kalendarische Passgenauigkeit gleichgültig ist, wenn nur das Konzept stimmt. Gabriella Belli, Kuratorin der Ausstellung und im Hauptberuf Direktorin des Museums MART im oberitalienischen Rovereto, hat aus den qualitativ vielleicht nicht immer erstrangigen, aber typischen Beständen ihres Hauses eine Auswahl getroffen, die die vielfältigen Ambitionen des Futurismus vorzüglich beleuchtet.

Spiel mit der Sprache

Die bildende Kunst war darunter nur eine. Überhaupt kommt der Futurismus von der Poesie her, vom Spiel mit der Sprache. „Zang Tumb Tumb“ – solche „Befreiten Worte“, Marinettis ureigene Leistung, führen in all ihrer lautmalerischen Kraft gleich im ersten Raum mitten in den Futurismus hinein. Er führte einen wütenden Kampf gegen die Vergangenheitsseligkeit Italiens, das Anfang des 20. Jahrhunderts ein beschauliches Agrarland war und mitnichten jener Hort von Technik und Maschinerie, den sich die Futuristen in ihren zahlreichen Manifesten erträumten. Sie bastelten im Zweifelsfall eigene Maschinen, etwa solche zur Geräuscherzeugung wie die „Intonarumori“, die „Geräuschtöner“ von Luigi Russolo, die im Gropius-Bau in Rekonstruktion zu sehen sind und seinerzeit so ungeheure Töne erzeugten wie „Brausen“, „Rascheln“, „Knistern“ oder „Quaken“.

Im Italienischen heißen die Maschinen, rührend-ungefüge Holzkästen mit Lautsprechertröte, „Rombatore“, „Frusciatore“, „Crepitatore“ und „Gracidatore“. In der Originalsprache klingen all diese Namen und Bildtitel – wie in der Ausstellung dankenswerterweise angezeigt – sehr viel reizvoller. Und so übersieht der Betrachter, fortgetragen vom mediterranen Schwung dieser ästhetischen Revolution, dass sie sich alsbald handfesten politischen Interessen anbequemte. Nicht nur, aber besonders Marinetti war ein glühender Nationalist, und die Futuristen zumindest die de „Zweiten Generation“ nach dem Ersten Weltkrieg, schwenkten schnellstens auf die Linie Mussolinis und seiner Schwarzhemden ein.

Auch gezeigt: die Wirkung auf den Alltag

Auch aus diesem Umstand heraus erklärt sich, warum Futurismus-Ausstellungen – wie zu Jahresbeginn die quasi offizielle im Pariser Centre Pompidou – meist mit dem Jahr 1916 enden, dem Todesjahr des genialen Umberto Boccioni. Gewiss, zu diesem Zeitpunkt sind die wesentlichen Inventionen des Futurismus geleistet. Aber was Kuratorin Belli zeigen will, ist die Wirkung des Futurismus in den Alltag hinein – bis 1944. Das kann sie mit ihrem Museumsbestand auch leisten, der sich rund um die enorme, der Stadt Rovereto vererbte Hinterlassenschaft des künstlerischen Tausendsassas Fortunato Depero gruppiert. Depero empfing erst 1915 die Weihen als Futurist und glich diesen Makel durch enorme Produktivität aus. Allerdings gerät die Berliner Ausstellung in eine Schieflage, insofern sie Deperos humoristisch-harmlosen, quietschbunten Bühnenspielereien bei weitem zu viel Raum gibt.

Härter, kontroverser wäre es da gewesen, einen der so heiter anzuschauenden Räume im Gropius-Bau nach Art der „Ausstellung der faschistischen Revolution“ von 1932 zu gestalten, mit der das Regime sein Zehnjähriges feierte. Nicht um den Futurismus zu denunzieren, mochte auch der allgegenwärtige Marinetti dabei gewesen sein; sondern um zu zeigen, wohin die „absolut antihistorische Vision“ (Gabriella Belli) sich wandte, um mehr zu sein als nur Anti.

Beziehung des Futurismus zu Berlin

Der Besucher mag es erahnen, wenn er als letztes Gemälde der Ausstellung, hoch auf die Wand montiert, Tullio Cralis „Sich in das Wohngebiet einschneisen“ von 1939 erblickt. Weniger verharmlosend wird das Gemälde meist unter dem Titel „Im Sturz auf die Stadt“ geführt: Es zeigt die Bombenwerfer-Perspektive eines Stuka-Fliegers.

Ausgerechnet in diesem letzten Raum wird die Beziehung des Futurismus zu Berlin beleuchtet. In Herwarth Waldens Galerie „Der Sturm“ wurden die Futuristen gleich zwei Mal gezeigt, 1912 und, mit der Kunst ganz Europas, 1913. Marinetti kam höchstpersönlich an die Spree – wie stets gutbürgerlich gekleidet, mit Hut und Krawatte. Dass der Ausstellung, zuvor in Rovereto gezeigt, dieses berlinische Kapitel hinzugefügt wurde, ist das zusätzliche Plus einer gelungenen Veranstaltung.

Kriegsteilnehmer Boccioni übrigens starb 1916 keinesfalls im Einsatz an der bereits maschinenbeherrschten Front, sondern in der Etappe, nach einem Sturz vom Pferd. Man kann es die tragische Ironie des Futurismus nennen.

- Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, bis 11. Januar. Mi–Mo 10-20 Uhr. Katalog im Jovis Verlag, 22 €, geb. 32 €.

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