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Ausstellung: Marwan: 99 Kopfgeburten

Von Syrien nach Berlin: Der Maler Marwan zeigt Selbstporträts im Museum für Islamische Kunst

Er enthüllt sich und verbirgt sich, offenbart sich und verschleiert sich. Wie eine Retrospektive im Kabinettformat wirkt die Grafikserie „99 Antlitze“, die das Museum für Islamische Kunst zum 75. Geburtstag des in Syrien geborenen Malers Marwan zeigt. Sein Leben lang hat sich der Künstler mit einem Thema auseinandergesetzt hat: mit dem Kopf. „Einen inneren Monolog“ nennt er diese Variationen, die vordergründig figurativ erscheinen, aber durch die Schule des Informel gegangen sind.

Der Zyklus aus den neunziger Jahren greift zurück auf die frühen Gesichter, Selbstporträts eines feminin wirkenden jungen Mannes mit langem Haar. Die überspannten Züge sind verzerrt, als würde die Introspektion jede Befindlichkeit lupenartig vergrößern. Diese befremdlich gewölbten Gesichter erzählen von existenzieller Verletzlichkeit, vom Schwinden der Liebe und verblassenden Kindheitserinnerungen. Marwan Kassab-Bachi wuchs als Sohn eines wohlhabenden Getreidehändlers in der Altstadt von Damaskus auf. 1957 nahm er das Schiff „Michelangelo“ von Beirut nach Genua, sein Traumziel war Paris, sein Held Cézanne. Stattdessen aber verschlug es ihn nach Berlin, er studierte bei Hann Trier. Ab 1980 unterrichtete er selbst als Pro fessor an der Berliner Hochschule der Künste. „Schicksal“ – das Wort gebraucht der Künstler häufig und unterstreicht es mit einer Geste, als würde seine Hand etwas über die Stirn streuen. Die Finger empfinden auch die sinnliche Lust am Handwerk der Radierung nach, die Gier des Papiers nach Farbe, die intuitive Musikalität beim Zeichnen der Linien.

Die „99 Antlitze“ setzen Marwans inneren Monolog fort. Wie meteorologische Protokolle halten sie die Gemütsverfassung fest: sonnig oder bewölkt. Formal offener als die frühen Gesichter wirken sie durch Harmonie oder Dissonanz der Linien, durch Sanftmut oder Aggressivität der Künstlerhand. Der grüne Jüngling von einst ist spröder geworden. Zorn, Leidenschaft, Ernst, Ungeduld und Eifersucht durchzucken ihn. Manchmal doppelt sich ein solches Selbstporträt in der Ambivalenz des Gefühls und erlaubt dem Betrachter, sich in diesem Fluss kühler Erkenntnis zu spiegeln: die Quadratur des Kopfes.

Ein Feld bleibt leer zwischen den 99 eng gehängten Blättern, Raum für die Projektion des Publikums, Raum für das nicht darstellbare Antlitz Gottes. Auch wenn der Künstler den religiösen Zusammenhang von sich weist, den das Museum für Islamische Kunst herstellt. Die spirituelle Überhöhung hebt sein Werk über das reine Befindlichkeitsprotokoll hinaus. Das leere Feld behauptet, dass der Mensch in allem nur eines sieht: das Spiegelbild seiner selbst. Simone Reber

Pergamonmuseum – Museum für Islamische Kunst, Museumsinsel, Bodestr. 1–3, bis 15. März, tgl. 10–18 Uhr, Do bis 22 Uhr.

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