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Belzig: Tränen als Folge der Einheit

"Vox Populi": Wie sich die Stadt Belzig in einem Kunstprojekt mit den Folgen der Einheit befasst.

Erich Honecker sprudeln die Tränen in Sturzbächen aus den Augen. Für seine Arbeit „Zum Heulen“ hat der Künstler Via Lewandowsky ein Konterfei des einstigen Staatsratsvorsitzenden in einen Zimmerspringbrunnen verwandelt. Bissiger Kommentar auf die Tränen, die der untergegangenen DDR nachgeweint werden. Bei Lewandowsky landen sie im Putzeimer.

Der weinende Honecker empfängt die Besucher der Belziger Burg Eisenhardt zu der Ausstellung „Vox Populi“. Wie jeden Sommer lädt der Verein Kunstpflug zu einer Gruppenausstellung in den Hohen Fläming ein. Seit 1995 kultiviert die Berliner Künstlerin Susken Rosenthal das Land rund um ihren Wohnort Baitz. Ihre Ausstellungen öffnen regelmäßig die Augen für die Verwerfungen des Umbruchs. In diesem Jahr beackert der Kunstpflug das Grenzland zwischen Kunst und Volkes Stimme: „Vox Populi“.

Die Schweizer Künstlerin Barbara Caveng glaubt an eine Symbiose zwischen Kunst und Publikum. Für ihr „Belziger Volksparkett“ hat sie Anwohner um Sachspenden gebeten. Aus unterschiedlichen Holzstäben setzt sich ihr Fischgratparkett im Turmzimmer der Burg zusammen. Freudig haben sich die Belziger an der Patchworkarbeit beteiligt.

Mit dem provozierendsten Projekt verlässt die Ausstellung den Schutz der trutzigen Festung. Schüler der 11. Klasse des Belziger Gymnasiums haben den Fragenkatalog der amerikanischen Künstlerin Nathalie Latham aufgegriffen. „Wählen Sie?“ oder „Wie schätzen Sie die Folgen der Wiedervereinigung ein?“ Die Antworten hängen in einem Ladenfenster in der Straße der Einheit. Auffällig viele Bewohner wollten sich nur anonym äußern. So wirkt die Aktion wie ein Barometer für die gefühlte Meinungsfreiheit.

Die Stadt Belzig befindet sich im Übergangszustand. Neben schmucken Fassaden stehen marode Häuser zur Zwangsversteigerung. Auch der Verein Kunstpflug wird die Burg Eisenhardt verlassen müssen, weil ein Investor das Hotel mit allen aufgelaufenen Schulden übernimmt.

Der Übergang, die Zwischenzeit interessierte die Künstlerin Sibylle Hofter. Für ihr Projekt „Erkundungen in der Hauslosigkeit“ bat sie Asylbewerber aus dem Belziger Übergangswohnheim, Fotos von ihrer Welt aufzunehmen. Diese Bilder voller Sehnsucht hängen nun im schlichten Innenraum der Belziger Marienkirche. Aus der Distanz der Außenseiter schauen die jungen Männer aus Algerien, Liberia oder dem Irak auf Hochzeitspaare in Kutschen oder rotem BMW. Die Heirat wäre für sie der Königsweg, um bleiben zu können. In der Regel aber sind sie für die Jahre des Asylverfahrens zum Nichtstun verurteilt. Ihre Fotos stammen aus den Warteräumen des Lebens, zeigen die roten Bushaltestellen, die grasüberwachsenen Stufen der Unterkunft, die gebohnerten Flure. Glasglockenbilder.

So ergänzen sich die Ausstellungen, indem sie an den Wundrändern der Region schürfen. Sie bringen Hoffnung und Angst zum Vorschein, Zuversicht und Enttäuschung. Schmerz scheint da unter dünner Kruste zu schwelen. Simone Reber

„Vox Populi“, bis 20. Sept. auf Burg Eisenhardt und im Stadtraum von Belzig: „Erkundungen in der Hauslosigkeit“, bis 11. Okt. in der Marienkirche Belzig.

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