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BIENNALE, DOCUMENTA, SKULPTUR PROJEKTE Es beginnt ein spektakulärer Kunstsommer – von Venedig bis Münster: Hin und weg

In den nächsten Wochen geht die Kunstwelt auf Reisen. Wir stellen die Künstler vor, die man kennen muss

MARK WALLINGER

Ob Film, Installation, Skulptur – der britische Konzeptkünstler bedient sich stets verschiedener Medien, zugleich bespielt er mehrere Ebenen. Sein „Zone“ betitelter Beitrag für die Skulpturprojekte Münster verbindet mittels Angelschnur 60 Gebäude miteinander und markiert einen Kreis um das Zentrum der Stadt. Der 48-Jährige bringt damit nicht nur Menschen überraschend ins Gespräch, er erinnert darüber hinaus mit seiner in 4,5 Meter Höhe angebrachten Linie sowohl an die „Pale“ genannten Sicherheitsgebiete im Großbritannien des 14. Jahrhunderts als auch an das Phänomen des Ghettos. Religion und Politik bilden die beiden großen Themen Wallingers. Dezidiert politisch ist auch sein Beitrag für den britischen Turner-Preis gemeint, bei dem er das ursprünglich auf dem Parliament Square aufgeschlagene Protestlager eines Irakkrieg-Gegners in der Tate Gallery rekonstruierte. Sein in der Berliner Galerie Carlier/Gebauer (Holzmarktstraße 15–18) zu sehender 35-mm-Film „The End“ wiederum zeigt die Namen der Protagonisten des Alten Testaments in der Reihenfolge ihres Auftretens, als wäre es ein typischer Filmabspann. Dazu spielt Strauss’ „Donauwalzer“. Und wieder eröffnet sich ein ganzer Kulturkosmos. NK

YEHUDIT SASPORTAS

Verloren im Märchenwald kommt man sich vor, in den Bildern von Yehudit Sasportas. Da wachsen Bäume von oben nach unten, Seen weiten sich zum Himmel. Landschaften der Verunsicherung hat die israelische Künstlerin geschaffen, und das in feinster, am Computer erarbeiteter Zeichenarbeit. Wären da nicht die wie Rastercodes wirkenden schwarzen Striche, die Visualisierungen von Tonsequenzen, man würde die Bilder als tonlos bezeichnen, in ihrer strengen Schwarz-Weiß-Ästhetik. Wer sie einmal gesehen hat, vergisst sie nicht.

Dass die Landschaften von Sasportas weniger mit romantischer Naturverzückung als vielmehr mit Zivilisations- und Politikkritik zu tun haben, ahnt man, wenn man ihre Biografie kennt. Geboren in Israel, lebt sie inzwischen in Berlin und Tel Aviv. Es ist nicht Nostalgie, vielmehr Kritik an Umweltzerstörung und Landnahme, die ihre Naturbilder prägt. Für den israelischen Pavillon auf der Biennale hat sie nun eine verwirrende Rauminstallation geschaffen: Gräser wuchern aus dem Boden, Wandsegmente spiegeln sich in Pfützen, und der Blick durch die bemalten Fenster erst gibt den verkehrten Märchenwald zu erkennen. Die Welt steht kopf, nicht nur bei Yehudit Sasportas. til

JÜRGEN STOLLHANS

Jürgen Stollhans spielt mit Lego, malt auf Schultafeln, bastelt Pappmodelle. Ein echter Junge, auch was die Themen anbelangt: Es gibt Panzer, Raketen, Echsen oder wirbellose Wasserwesen. Formal mögen die Arbeiten des Kölner Künstlers so wenig zusammenpassen wie manche seiner Objekte, die als Maschine beginnen und aus denen hinten künstliches Gras wächst. Inhaltlich aber bringt Stollhans zusammen, was ihn seit seinem Bildhauerstudium interessiert: der Kurzschluss zwischen Naturwissenschaft und Technik.

Das lebt von Behauptungen. Zum Beispiel, dass sein „Molch“, ein winziges Modell aus Lack und Karton, der „letzte gemeinsame Vorfahre von Mensch und Froschlurch“ ist. Oder dass sich der Berliner Bankenskandal mit Tafelkreide darstellen und berechnen lässt. Farbige Kreide nutzt er auch für seine Installation auf der Documenta. Auf 20 Tafeln erzählt er eine Geschichte, in der alles ineinandergreift: Politik, Biologie, Weltraumforschung, Fahrzeugtechnik. Ein mühsamer Prozess, denn jedes Motiv wird aus Kreidestrichen zusammengefügt. Und ein fragiles Ergebnis, denn die Kreide ist nicht fixiert. So wird die Arbeit zur Versuchsanordnung, weil sie ihre Beständigkeit unter Ausstellungsbedingungen untersucht. meix

ANDREAS SIEKMANN

Mit einem Mal waren sie da: grellbunte Bären, Kühe und Ratten, die sich seither in den Fußgängerzonen vermehren. Der in Berlin lebende Andreas Siekmann hat die Kunststofffiguren zum Ausgangspunkt seines Beitrags für die Skulptur Projekte genommen. Seine Recherche ergab, dass in Deutschland 650 Gemeinden bei dem Stadtmarketing mitmachen, in Berlin 2800 Buddy-Bären stehen und sich weltweit 6800 „Freundschaftsbären“ verteilen. Was er davon hält, macht Siekmann deutlich: Eine Auswahl der Kunststofftiere hat er mit Politikern und Vertretern der Wirtschaft bemalt, anschließend geschreddert und die Bruchstücke zu einem symbolischen Pferdeapfel zusammengefügt. Mit seinen politisch motivierten Installationen gelingt Siekmann als einem der wenigen das Doppel, also die Teilnahme an Documenta und Skulptur Projekte zugleich. Auch in Kassel behält er den Paradigmenwechsel von der sozialen Marktwirtschaft zum Neoliberalismus im Blick: Neben einem sich um das Denkmal Friedrichs II. drehenden Karussell vor dem Fridericianum plant er mit Alice Creischer eine Oper in einem Einkaufszentrum. Ob sich die marketingfreudigen Betreiber da mal nicht einen Bären haben aufbinden lassen. wit

PAWEL ALTHAMER

Und plötzlich geht es nicht mehr weiter. Der Besucher steht in einem Gerstenfeld und muss sich entscheiden: Geht er den Trampelpfad zurück über Wiesen zum Aasee, ruht er sich aus oder schlägt er sich pfad- und furchtlos weiter durch die Auen vor den Toren Münsters? Der 1967 in Warschau geborene Pawel Althamer, der diese Sackgasse als Beitrag für die Skulptur Projekte angelegt hat, wurde als einer der ersten polnischen Künstler seiner Generation international bekannt. Angefangen hat er mit Strohpuppen, die er gemeinsam mit seiner Frau bastelte und an Touristen verkaufte. Von polnischer Volkskunst waren auch seine ersten Skulpturen beeinflusst, lebensgroße Selbstbildnissen. Doch schon bald erweiterte er seine Arbeit: Er zertrümmerte Galerieräume, bat Schauspieler vor Einkaufszentren, Obdachlose und Liebespaare zu spielen oder lud ins Berliner Polnische Institut alle Deutschen mit dem Nachnamen Althamer ein. Immer geht es um Identität, und stets nähert Althamer sich diesen Fragen anders. Zur vierten Berlin-Biennale hat sich der Pole für die Aufenthaltsgenehmigung eines von Abschiebung bedrohten, kurdischen Jungen eingesetzt, der seit zehn Jahren in Deutschland wohnt. Kürzlich wurde entschieden: Der 18-Jährige darf dank Althamers Unterstützung bleiben. Nicht alle Wege, die der Künstler durchs Dickicht schlägt, sind Sackgassen. DV

MONIKA SOSNOWSKA

Die Sonne brannte über dem ostpolnischen Städtchen Zamosc. Die Linden am Rynek Wodny, dem historischen Wassermarkt, spendeten Schatten. Darunter plätscherte in einem unansehnlichen Becken aus Waschbeton ein Brunnen. Sein Wasser war – tiefschwarz. Der Brunnen mit der schwarzen Seele war der Beitrag von Monika Sosnowska zur Ausstellung „Ideal city – invisible cities“. Präziser konnte man die Melancholie des im 16. Jahrhundert nach einem Idealplan errichteten Miniaturstädtchens Zamosc und seine heutige Verwahrlosung nicht ausdrücken.

Die 1972 geborene, in Warschau lebende Monika Sosnowska gestaltet in diesem Sommer den Polnischen Pavillon in Venedig. Ihre Arbeit dort heißt „1:1“ und widmet sich der Architektur der Nachkriegsmoderne, die auch in Polen abgerissen oder durch gutgemeinte Sanierungen verschlimmbessert wird. Das Modell zeigt eine labyrinthisch verschachtelte Raumskulptur. In Potsdam, wo „Ideal city – invisible cities“ im letzten Herbst zu sehen war, funktionierte Sosnowskas Brunnen auch zwei Wochen nach Ausstellungsbeginn noch nicht. Glück und Scheitern liegen meist dicht beisammen. In Venedig ist alles möglich. Und die Sonne wird scheinen, ganz bestimmt. zaj

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