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Lyonel Feininger: Den Harz im Herzen

Die Zeichnungen sind der Ursprung des Comicstrips: Feininger-Festspiele in Halle, Quedlinburg und der Berliner Galerie Moeller.

Als Marionetten hängen sie an seinen Händen: die drei kurios gekleideten deutschen Auswandererkids Daniel Webster, Strenuous Teddy und Piemouth, denen die hagere Tante permanent Lebertran einzuflößen sucht. Auch sie baumelt an einem Faden mit ihrem schwarzen Cape und der weißen Haube, daneben „Mysterious Pete“ in seine Decke gehüllt und der aufziehbare Japaner Japanski, der unentwegt lächelt. „Your Uncle Feininger“ – so hat sich der Puppenspieler selbst bezeichnet – führt hier Regie, doch nicht auf der Bühne, sondern auf Papier.

Ein halbes Jahr lang veröffentlichte dieser merkwürdige Zeichenonkel seine abstrusen Verfolgungsstorys in der Chicago Sunday Tribune unter dem Titel „The Kin-der-Kids“. Ende 1906 war Schluss damit, denn die Verkaufszahlen sanken, und andere Zeitschriften zeigten sich nicht interessiert. In der Geschichte des Comicstrips sollten sie jedoch Berühmtheit erlangen, denn sie gelten als die erste Fortsetzungsgeschichte. Noch berühmter aber wurde ihre Erschaffer, Lyonel Feininger (1871–1956), der erst im Jahr darauf Gemälde zu malen begann, die heute zu den bedeutendsten Werken der Moderne gehören.

Die Präsentation von Feiningers Comicstrips sind auch für die Erstpräsentation einer neuer Galerie keine schlechter Start. Moeller Fine Art Berlin wagt in diesen für das Kunstgeschäft so rauen Zeiten den Schritt. Im denkmalgeschützten Belle-Epoque-Palais Eger zeigt die Galerie eine Auswahl originaler Zeitungsseiten aus der Serie „The Kind-der-Kids“ und „Wee Willie Winkie’s World“ von 1906–07 (je 3500 Euro). Ergänzt wird diese Premiere mit Zeichnungen, in denen sich bereits das künftige Figureninventar des Malers formuliert, all die schrägen, windschiefen Typen, die in ihrer Silhouette sofort als klassische Feiningers zu erkennen sind. Hinzu kommt eine Gruppe mit 68 handgeschnitzten und bemalten Holzfiguren und Häusern, die der Maler seinen drei Söhnen und Freunden als kleine Geschenke fertigte. Das aus dem Besitz von Andreas Feininger stammende Ensemble ist das größte seiner Art. Der Preis bleibt ungenannt, denn der Verkauf an ein Museum ist anvisiert, wie er bereits 2002 mit einer kleineren Gruppe an das Hamburger Kunstgewerbemuseum zustande kam. Moeller Fine Art gelingt damit eine großartige Ouvertüre in Berlin, zumal als Amuse geule für künftige Ausstellungen in den Nebenräumen Werke von Klee, Duchamp, Picasso, Gonzalez, Gino Severini, Mark Tobey, Piero Dorazio, Pettibone zu sehen sind.

Hinter diesem formidablen Angebot steckt kein weiterer Onkel aus Amerika, sondern der Daddy der jungen Galeristin Stephanie Moeller, der in New York einen großen Kunsthandel unterhält und nun nach Europa seine Fühler wieder ausgestreckt hat, nachdem er Mitte der Achtziger von London in die USA gewechselt war. Auch dahinter verbirgt sich eine Vor- und Zurückgeschichte ähnlich wie bei Lyonel Feininger, dem deutschstämmigen Amerikaner, der über 40 Jahre im Land seiner Väter lebte und 1937 als verfemter Künstler in seine amerikanische Heimat zurückkehrte.

Wie bei den meisten Emigranten ist nicht nur sein Leben, sondern auch das Werk von Brüchen geprägt. Die Moritzburg in Halle versucht die losen Enden dieser Künstlerkarriere zusammenzufügen, indem sie das in den USA entstandene Spätwerk an jenem Ort zeigt, der für Feiningers große Zeit steht. Von 1929 bis 1931 diente ihm der Turm der Moritzburg als Atelier; hier entstand die berühmte Halle-Serie, die das Museum sogleich erwarb und im Zuge der NS-Aktion „Entartete Kunst“ verlor. Als restituierte Leihgabe der Ferdinand-Moeller-Stifter, die nichts mit dem gleichnamigen New Yorker Kunsthandel zu tun hat, hängt nun „Der Dom zu Halle“ wieder an seinem Platz. Die Sonderausstellung „Zurück in Amerika“ zeigt eindrucksvoll, wie sehr der Maler an den Motiven im fernen Deutschland hing. Die Marinethemen ließen sich von der Ostsee an den Atlantik transferieren, die spitzgiebeligen Häuser, die zum Himmel jagenden Turmspitzen Gelmerodas aber fanden sich nur schwer in die Straßenschluchten Manhattans ein. Zwei Jahre lang nahm Feininger den Pinsel nicht zur Hand. Dann gelang es ihm, seine Formensprache, die gestochenen Linien, getupften Farben noch feiner, wie gehaucht, auf den neuen Wohnort zu übertragen.

Den Sprung zurück in jene Zeit, als Feininger sich selbst erfand, macht aber die nach ihm benannte Quedlinburger Galerie. Gegenwärtig sind dort Holzschnitte von 1919 zu sehen, darunter seine „Kathedrale“, jenes „kristalline Sinnbild eines kommenden Glaubens“, wie Bauhaus-Gründer Walter Gropius es nannte, mit dem die Einheit von Architektur, Plastik, Malerei beschworen wurde. Feininger und Quedlinburg – auch das ist eine Geschichte des Hin und Her, denn die Schätze der städtischen Galerie gehen zurück auf die Sammlung Klumpp, einem Freund der Familie, bei dem der Künstler 1937 viele Werke zur Bewahrung ließ. Der Quedlinburger Wäschereibesitzer rettete sie durch Drittes Reich und DDR.

Drei Mal klopften die Eigentümer auf Rückgabe an: kurz nach dem Krieg, in den Siebzigern nach dem Tod der Feininger-Eltern und vor wenigen Jahren, als man mit einem Vergleich die schwelenden Auseinandersetzungen zum gütlichen Ende brachte. In den Achtzigern waren die Gemälde bereits in die USA gegangen, zuletzt erhielt der Nachlass 200 Papierarbeiten und sechs Aquarelle aus der Sammlung Klumpp zurück. Ein Zeichen der friedlichen Ko-Existenz beider Feininger-Horte mag es sein, dass ab Juni einst im Harz entstandene Zeichnungen in Quedlinburg zu sehen sind – als Leihgabe der Galerie Moeller Fine Art, die den Nachlass hütet. 2011 wird Feininger komplett im Whitney-Museum in New York gezeigt. Dort, wo alles begann.

Moeller Fine Art, Tempelhofer Ufer 11, bis 20. 6.; Tel. 25 29 40 83; Moritzburg, Halle, 17. 5. bis 23. 8.; Feininger-Galerie Quedlinburg, bis 1. 6..

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