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Documenta: Provokation und Politik

Am 16. Juni startet die zwölfte Weltkunstschau in Kassel. Der Leiter Roger M. Buergel wünscht sich, dass die Ausstellung die Besucher aufwiegelt.

Der Leiter der zwölften Kasseler Weltkunstschau Documenta ist ein freundlicher Mensch. Roger M. Buergel lächelt oft und viel und spricht mit sanfter Stimme. Doch gleichzeitig liebt er die Provokation. Er will die Menschen aus der Reserve locken und freut sich, wenn sich Widerspruch regt. "Das ist wie beim Flugzeug: Man braucht Gegenwind, um abzuheben."

Am 16. Juni wird die Documenta 12 eröffnet. Ein Drittel der gut 400 Kunstwerke wird dann in einer eigens errichteten Ausstellungshalle in der Karlsaue zu sehen sein. Von Ferne aber wirkt es eher, als sollten hier künftig Tomaten gezüchtet werden: Der 9500 Quadratmeter große "Aue-Pavillon" besteht komplett aus Gewächshausteilen, wie sie in jedem Baumarkt zu haben sind. "Natürlich ist das eine unglaubliche Provokation", sagt Buergel. Die Wiese vor der Orangerie sei zweifellos Kassels schönster Platz. Darauf habe die Documenta nun einen Nutzbau gestellt, der das Klischee vom modernen Museum - außen hui, innen pfui" - kurzerhand umkehre: "Das ist eine starke Ansage, aber die Diskussion darüber finde ich sehr fruchtbar."


Die Besucher sollen an sich selbst arbeiten

Was für die Schauräume gilt, soll bei den ausgestellten Arbeiten nicht anders sein. Kunst solle beim Publikum etwas verändern, sagt Buergel. "In der Documenta 12 werden die Besucher angehalten, ihre eigenen Wahrnehmungsgewohnheiten zu betrachten und an sich selbst zu arbeiten", heißt es programmatisch im Werbeflyer der Weltkunstausstellung. "In jedem Fall ist die Documenta 12 ein Ort der Affekte, ein Ort, der hitzige Debatten ebenso provozieren will wie entrückte Kontemplation."

Was genau an den hundert Tagen bis zum 23. September in Kassel zu sehen sein wird, ist bislang noch ein Geheimnis - offiziell jedenfalls. Beharrlich wiederholt der künstlerische Leiter sein Mantra: Die Liste der teilnehmenden Künstler werde erst bei der Pressekonferenz drei Tage vor der Eröffnung bekannt gegeben. Doch ganz stimmt das nicht. Denn Buergel hält die Namen der Documenta-Künstler nicht krampfhaft geheim, sondern spart sich lediglich den Trubel einer öffentlichen Präsentation. Die Fixierung des Feuilletons auf Namen sei neurotisch und langweilig, meint er. Denn über die Ausstellung würden die bloßen Namen der Künstler nichts aussagen. "Das wäre so, als wenn ich Ihnen sagen würde, ich koche etwas mit Karotten und Tomaten."

Hälfte der Teilnehmer bekannt

Gleichwohl ist auf unterschiedlichen Wegen mittlerweile fast die Hälfte der rund 100 Documenta-Teilnehmer bekannt geworden. Einige von ihnen - wie die Fotografen David Goldblatt aus Südafrika und Allan Sekula aus den USA oder der deutsche Maler Gerhard Richter - sind schon alte Bekannte in Kassel. Viele andere aber sind neu zu entdecken, und sie kommen mit spektakulären Projekten: So besteht der Beitrag des chinesischen Künstlers Ai Weiwei darin, 1001 seiner Landsleute nach Kassel zu bringen. Und Sakarin Krue-On aus Thailand lässt an Schloss Wilhelmshöhe auf 7000 Quadratmetern Terrassen in den Hang planieren, um Reisfelder anzulegen.

Buergel versteht seine Documenta als politische Ausstellung. Das kann sich in den gezeigten Kunstwerken sehr direkt ausdrücken - wie bei dem Karussell von Andreas Siekmann aus Berlin, das bereits auf dem Friedrichsplatz aufgebaut steht: Rund um das Denkmal des hessischen Landgrafen Friedrich II. werden sich Polizisten und Demonstranten, Niedriglohn-Arbeiterinnen und Weltbank-Präsidenten - kurz - Mächtige und Ausgeschlossene im Kreis drehen. Doch eigentlich setzt der Documenta-Leiter nicht auf eine derart konkrete Auseinandersetzung: "Die Ausstellung soll die Leute aufwiegeln und dazu bringen, sich selber zu aktivieren und aus einer gewissen Grundlethargie herauszukommen", sagt er. Es gehe darum, "für die Welt, in der wir leben, aktiv Verantwortung zu übernehmen."

Neben dem neu errichteten Aue-Pavillon nutzt Buergel die Kunsthalle Fridericianum, die Neue Galerie, die Documenta-Halle sowie erstmals in der Documenta-Geschichte Schloss und Bergpark Wilhelmshöhe. Mit zum Teil aufwändigen Umbauten hat er die Räume für die Documenta umgestaltet. Ungewohnt leicht, luftig und bunt sollen sie sein, um den Ausstellungsbesuch so lustvoll wie möglich werden zu lassen. Der künstlerische Leiter will der "ungeheuren Öde", die sich bei der Präsentation zeitgenössischer Kunst eingeschlichen habe, etwas entgegensetzen. Denn von dem vorgeblich neutralen weißen Raum hält Buergel wenig. "Wir setzen den White Cube ein, wo wir ihn brauchen. Aber er ist für uns nicht normal."

Joachim F. Tornau[ddp]

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