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Franz Ackermann: Eine Sehnsucht, ganz egal wonach

Der Berliner Franz Ackermann erhöht im Kunstmusem Bonn die Betriebstemperatur.

Mitten im Winter gedeiht ein tropisches Paradies. Auch wenn die Palmen ein paar ihrer Wedel abgeworfen haben und das Blau an den Wänden ebenso künstlich ist, wie es die beiden Gewächse sind: Am Eindruck von Ferne, Exotik und einer farbgewaltigen Reise ohne konkretes Ziel ändert das erst einmal nichts.

Franz Ackermann, einer der arriviertesten Künstler Berlins mit relativ unstetem Wohnsitz, dehnt diesen Trip im Obergeschoss des Bonner Kunstmuseums auf alle sechs Räume für Wechselausstellungen aus. Ein Ackermann-Universum ist dort entstanden, in dem alles auftaucht, was die Arbeit des 1963 Geborenen prägt. Wandgemälde, in denen die Farbe Netze oder strahlenförmige Gebilde spinnt und architektonische Fragmente oder gleich ganze Kontinente wie Puzzelteile einfängt, die sonst unverankert im Bildraum treiben würden. Kleine, kraftvolle Zeichnungen, die als „mental maps“ in Ackermanns Werk eine zentrale Rolle spielen. Das All-over der Malerei, die über Wand und Decke reicht und den Betrachter in ihre eigene Wirklichkeit saugt. Schließlich Versatzstücke der Realität, zu denen bunte T-Shirts, schwarzweiße Fotos, Magazine, Möbel und ein Ensemble alter Radkappen gehören, die ordentlich wie eine Sammlung wertvoller Dinge aufgereiht sind. Sie alle signalisieren, dass ein Bild kein Ort für sich ist, sondern den gesamten Raum erfasst.

Bewegung ist das andere Thema. Über zwei Jahrzehnte hat sich Ackermann das Reisen zum Prinzip gemacht, um herauszufinden, was zu den Konstanten seiner Wahrnehmung gehört. Wie man das Fremde erfasst und auf das Vertraute blickt, wenn die nötige Distanz gegeben ist. Dass sich die globalisierte Welt in dieser Zeit rasant verändert hat, es noch immer tut und deshalb nie Gewissheiten vermittelt, sondern ihre Komplexität bloß ahnen lässt, mag für die Vergeblichkeit der Unternehmung sprechen. Den Künstler ficht das nicht an, im Gegenteil: Ackermann macht diese Einsicht zum Impuls seiner Arbeit. Nie kann er schnell genug und überall zugleich sein. Seine Erkenntnisse resultieren aus Bruchstücken, die er sammelt, ordnet und in immer neuen Kontexten arrangiert. Mit aquarellierten Impressionen und echten Souvenirs wie Knüpfteppichen in einem Raum. Oder dem stilisierten Gefängnis nebenan, das die unsichtbaren, dafür jedoch zunehmend spürbaren Grenzen für jene Menschen symbolisiert, die nicht dank ihres Geldes reisen, sondern stattdessen auf der Suche nach einem Einkommen sind.

Ein anderer Raum konzentriert sich auf den vermeintlichen Überblick, den Google Earth seinen Nutzern noch am kleinsten Schreibtisch verschafft. Netzwerke, neuronale Systeme, Strukturen: Alles hängt ineinander, und Ackermann ist gewiss keiner, der nun Klarheit schafft. Anders als die Reisenden, die den Kontinent vor Jahrhunderten zu systematisieren und damit zu verstehen suchten, sieht sich der Künstler im Strom. Sensibler vielleicht als manch anderer Tourist, aber doch einer von ihnen.

Hier trifft er sich mit Julian Rosefeldt, der nebenan in einem Raum der Dauerausstellung als Rucksackreisender auftritt. Als Protagonist seines eigenen Films „Lonely Planet“ (2006), in dem der Künstler nach Goa aufbricht und Bollywood findet. Immer wieder fällt Rosefeldt aus der Rolle – was wörtlich zu nehmen ist, weil sich die eben noch leere Wüste plötzlich als Filmset entpuppt und überall Tänzer herumspringen. Projektionen gibt es hier wie da: Indien ist ein Sehnsuchtsort, doch nicht jeder versteht dasselbe darunter.

Weit mehr Überschneidungen weisen da die Arbeiten von Ackermann und Rosefeldt auf. Obgleich der eine sich mit der traditionellen Malerei und ihrer Überwindung beschäftigt, während der andere das Medium Film diversen Experimenten unterzieht. Mit beiden Positionen aber weist Stephan Berg nun als junger Direktor des Kunstmuseums den künftigen Weg seiner Institution. Nachdem der ehemalige Leiter des Kunstvereins Hannover das Haus vor gut einem Jahr übernommen hat, galt seine Aufmerksamkeit erst den Beständen. „Sammlung Reloaded“ ist das Ergebnis, eine Neupräsentation der stark vertretenen Künstler wie Sigmar Polke, Blinky Palermo oder Joseph Beuys. Hinzugekommen sind Leihgaben aus privaten Sammlungen, die die Strömungen der sechziger bis achtziger Jahre in einen internationalen Zusammenhang stellen.

„Deutsche Kunst nach 1945, und hier vor allem Malerei“, das sei, meint Berg, „die Grundachse des Hauses“. Ein Profil, das er schärfen und um aktuelle Positionen erweitern will, die nicht allein die Kunst „befragen“, sondern dazu soziale Bedingungen reflektieren. Wie jene beiden Künstler aus Berlin, von denen sich der Hausherr „eine Änderung der Betriebstemperatur“ verspricht.

Eine leichte Erhöhung kann Berg schon jetzt verzeichnen: „Die Zahl der Museumsbesucher hat sich 2009 um fast ein Drittel verbessert.“ Obwohl er an Traditionen festhält und weiter jene in Bonn gehegten „Künstlerräume“ erhält, in denen nicht das ganze Spektrum des Museums vorgeführt, sondern einzelne Maler in ihrer Bandbreite gezeigt werden. „Die Frage der Identität und des Profils ist für uns existenziell“, sagt Berg. Schließlich sei Nordrhein-Westfalen mit über 100 Museen geradezu überversorgt. Reisenden muss man einen Anlass geben; diese zwei Ausstellungen sind Grund genug.

Kunstmuseum Bonn, bis 21. Februar (Ackermann) bzw. 17. Januar (Rosefeldt)

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