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Friss und stirb: Bestialische Allegorien: Walton Ford im Hamburger Bahnhof

"Wer in der Nähe von Tigern lebt, der hat schon ein bisschen Probleme damit, sie zu lieben", sagt Walton Ford. Und er zeigt auch gleich, was Menschen in solchen Momenten tun: Sie schlachten ab, was ihnen gefährlich werden könnte.

Und auch, was sie lecker finden oder einfach begehrenswert. Weil sich das Geweih auf dem Kopf des Tieres gut an der Wand machen würde.

Den Jäger sieht man nicht auf Fords Bildern, die nun im Hamburger Bahnhof hängen. Umso besser aber lässt sich auf den 25 gigantischen und dennoch bis ins Detail präzisen Aquarellen erkennen, was sein Instrumentarium angerichtet hat. „Lost Trophy“ (2005) zeigt auf über drei Metern eine angeschossene Antilope. In „Madagascar“ (2002) ist ein Riesenvogel als lebender Vorrat an Bein und Schnabel derart gefesselt, dass er sich nicht mehr bewegen kann. Der Kampf eines Löwen, der zwischen die Fänge zweier Tiger geraten ist und sich in „Royal Menagerie at the Tower Delirium“ (2004) zu Tode beißen lassen muss, beruht dagegen auf einem Missverständnis: Im Dezember 1830 zog ein Tierpfleger im Londoner Zoo versehentlich ein Gatter hoch. Die Tiere standen sich plötzlich gegenüber und zeigten „lebhafteste Bekundungen von Furcht oder Wut“.

So steht es auf Texttafeln neben den Bildern, und genau wie die akribische Malweise des 1960 in New York geborenen Ford sorgen solche Zitate aus dem naturkundlichen Fundus für ein kurzes Missverständnis. Man glaubt sich in der Ausstellung „Bestiarium“, die ab heute zu sehen ist, zurück in koloniale Zeiten versetzt – und das in einem Museum für die Kunst der Gegenwart. Doch Walton Ford ist weder von gestern noch ein Liebhaber altertümlicher Themen. Je länger man vor den farbenprächtigen Aquarellen verharrt, desto mehr schärft sich der Blick für die Absurdität der Szenen. Doch erst die zugehörigen Texte machen klar, was für eine höllische Welt der Zeichner erstehen lässt. Von „Schädlingen“ ist dort die Rede, die es „auszumerzen“ gilt. Die „Bestie“ in Gestalt eines Elchs bekommt von einer „frommen Alten einen mit Nadeln gespickten Apfel“, damit sich das Tier endlich davonmacht. Und Stare muss man nicht bloß für ihr „aggressives Gehabe“ hassen, sondern ebenso für ihre „ungehemmte Fruchtbarkeit“.

Was Wunder, wenn Ford diesen Text aus dem 19. Jahrhundert in einen Vogel von monströser Größe übersetzt. Die beschriebenen Tiere sind reine Kopfgeburten, Bestien mit Eigenschaften, die sie zu Feinden einer vermeintlich zivilisierten Gesellschaft machen. Das Fazit: So etwas gehört ausradiert.

Tatsächlich reflektiert der Künstler die verzerrte Wahrnehmung der Fauna durch die Geschichte. Wie der Mensch sich die Tierwelt in kompletter Verkennung ihrer komplexen Systeme angeeignet und untertan gemacht hat. Trotz ihrer Schönheit gefrieren die Szenerien zu grausamen Tableaus, deren Figuren wiederum verblüffend menschlich agieren. So schlägt Walton Ford einen großen Bogen: Seine Figuren sind Allegorien, und was sie sich gegenseitig antun, das findet sehr wohl bis in die Gegenwart statt.

Der Künstler als Kämpfer. Ford tritt als eloquenter Eigenbrötler auf, den im vergangenen Jahrzehnt vor allem eines geschmerzt hat: dass er im Diskurs der Kunst nicht vorgekommen ist. Obwohl er derselben New Yorker Szene wie Keith Haring oder Basquiat entsprungen ist. In den USA wird Ford seit einiger Zeit verstärkt wahrgenommen, viele der in Berlin gezeigten Arbeiten gehören privaten Sammlern. Und auch die erste europäische Museumsausstellung, die anschließend in die Albertina nach Wien wandert, garantiert Aufmerksamkeit. Geredet wird ohnehin, denn die schillernden Themen und Motive fordern zur Diskussion heraus. Sex, Gewalt und reichlich surrealistische Ideen liefern den Stoff. Ob es allerdings gelingt, eingefahrene Erwartungshaltungen zu hinterfragen oder sogar das „Regelwerk zeitgenössischer Ästhetik“ durcheinanderzubringen, wie es Udo Kittelmann als Direktor des Hamburger Bahnhofs hofft? Die Maschine ist gut geölt und läuft seit Jahrzehnten reibungslos. Aber einen Stein ins Getriebe wirft Walton Ford doch.

Hamburger Bahnhof; bis 24.5. Ein Katalog ist im Taschen Verlag erschienen

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