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Galerie Eigen und Art: Im Versteck der Geister

Neo Rauch überrascht in der Berliner Galerie Eigen und Art mit nie gezeigten Zeichnungen - und lässt sich in die Gedanken-Werkstatt sehen.

Ein Neo-Rauch-Bild, wie man es kennt: geheimnisumwittert, düstere Farben, kryptisches Personal. Dem finsteren Schilf entsteigt eine nackte Frau, die sich die Unterschenkel mit einem Tuch trocknet. Rechts steht ein Mann mit Koffer, der einen Lichtstrahl ausspeit, links ein weiterer Kerl mit Schultertasche, der auf einem kleinen Block skizziert, vielleicht die in den Hintergrund gerückte Szene mit den drei Fischern und ihrem Fang. Körper, Seele, Geist stellt das Trio dar, verrät der Künstler. Der Zeichner repräsentiert den Körper, der Akt ist Anima, der Kofferträger gibt den Geist.

„Schilfland“ hat Neo Rauch das Großformat (420 000 Euro) genannt und auch erklärt warum: „Weil ein Schilfland die verschwimmende Region markiert zwischen Wasser und Land, zwischen dem festen Tritt und dem Absinken, zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten, das ist auch die Region, in der Sumpfgase aufsteigen und Irrlichter ihr Wesen treiben.“ Schilfland ist also bestes Neo-Rauch-Land. Das wird es noch ein bisschen mehr, wenn man weiß, dass die Erhebung im Hintergrund des Bildes den Brocken darstellt, jenen Berg, in dessen Nähe der Künstler bis zum 16. Lebensjahr bei seinen Großeltern aufwuchs.

Nun, da der Künstler im nächsten Jahr fünfzig wird, scheint die Zeit für Bekenntnisse reif. Auch wenn sie einem Zufall geschuldet sind. Das große Gemälde gibt zwar den Titel für die Ausstellung bei Eigen und Art vor; die eigentlichen Offenbarungen kommen jedoch im Kleinformat daher. Rauch präsentiert sich hier zum ersten Mal als Zeichner, was ihn offenkundig selbst überrascht. Seine Gemälde entstehen ausschließlich auf der Leinwand, Entwürfe lehnt er ab. Er habe Angst, so sagt er, „mir das Abenteuer zu verderben, wenn ich die Figur schon handhabbar gemacht habe, bevor ich sie erkämpfte. Und der Kampf beginnt erst auf der großen Fläche. Dann ist die Ausführung nur noch lahmer Trott. Kein aufregendes Ringen mehr.“

Trotzdem hat der Maler schon immer nebenher gezeichnet, unabhängig von der Arbeit an der Staffelei. Für ihn selbst wurde das erst vor zwei Jahren bei einem Atelierumzug im ganzen Ausmaß offenbar, als er die Schubladen seiner Studioschränke leeren musste und ein bemerkenswertes zeichnerisches Werk zutage trat. Die Blätter wurden sogleich fotografiert, und beim Prestel Verlag erschien ein Buch, in dem Rauch in einem höchst lesenswerten Interview so manches über sein Arbeiten im Atelier verrät – warum er etwa rundum Spiegel braucht (um seine Malerei mit anderen Augen zu sehen).

Erst danach kam die Idee für eine Ausstellung auf, und in einem weiteren Schritt entstand das titelgebende große Bild. Ursprünglich war von der Galerie für diesen Herbst eine große Rauch- Show geplant, wie stets bislang mit mächtigen Gemälden. Doch dann wurde es Künstler und Galerist bang, denn im nächsten Frühjahr findet in Leipzig und München eine Doppelausstellung statt, der man dadurch den Wind aus den Segeln genommen hätte. So rückten die Zeichnungen (je 12 000 Euro) auf den Plan, die wohl zu den schönsten Überraschungen des Berliner Galerieherbstes gehören.

Neo Rauch lässt sich hier in die Gedanken-Werkstatt sehen, wie Bildideen entstehen, wie plötzlich Figuren seine Blätter bevölkern, von denen er selbst bislang nicht ahnte, dass sie in seinem Innersten existieren. So taucht ein Trommler immer wieder auf, von dem der Künstler laut Selbstauskunft nur vermuten kann, dass er Mitglied eines Traditionsvereins zur Leipziger Völkerschlacht sein könnte. Auch dem Betrachter kommt es vor, als habe er die ein oder andere Figur schon einmal bei Rauch gesehen, etwa den Behuften oder die Männer mit den turmartigen Frisuren. Wie üblich sind sie einander in rätselhaften Tätigkeiten zugewandt, doch in den Zeichnungen schweben sie frei im Raum, keine Malerei nimmt sie mehr fest an die Hand und erdet sie. Auf einmal haftet der kummerschweren Rauch-Welt etwas Leichtes an. Dem Schilfland können eben auch ephemere Wesen entsteigen, Szenen, die sich im Moment ihres Entstehens schon wieder verflüchtigen.

Und doch führen diese Zeichnungen kein losgelöstes Leben. Die frühen Blätter entstanden absichtslos, während die Arbeiten seit 2007 zu differenzierten Kompositionen werden. Das Wissen um das Buchprojekt für die Zeichnungen stand im Raum und schlug sich sogleich nieder. Trotzdem bleiben die Papierarbeiten spielerisch. Durch den Einsatz von Filzstiften entzieht sich der Maler der Ernsthaftigkeit. Türkis paart sich mit Fleischfarbe, Violett und Orange. Was auf der Leinwand melodramatisch erscheint, erhält durch die Kindlichkeit des Mediums eine komische Note, etwa wenn über den Köpfen von drei bärtigen Herren in Sprechblasen die Buchstaben „M-E-T-A“ erscheinen.

Durch das konzentrierte Zeichnen im Format von 29,7 mal 21 Zentimetern setzte Rauch auch für die Malerei Neues frei. Der Künstler, der sich bislang nur auf metergroßen Leinwänden wohl zu fühlen schien, malt plötzlich auch kleine Bilder, die sowohl preislich wie von ihrer malerischen Wucht weniger einschüchternd wirken (70 000 Euro). Mag sein, dass sich dahinter die neue Bescheidenheit verbirgt, nachdem sich der Markt in den letzten Monaten nach unten korrigierte. Für Neo Rauch ist es dennoch ein Gewinn. Er hat die verborgenen Verstecke seiner Geister aufgespürt, vermag sie mit schnellem Strich zu ködern. Sind sie einmal auf Papier gebannt, schafft es so mancher von ihnen auch hinüber auf die Leinwand, in die große Welt.

Galerie Eigen und Art, Auguststr. 26; bis 31. 10., Di-Sa 11-18 Uhr. Neo Rauch: Schilfland. Works on Paper. Prestel Verlag 2009, 320 S., 300 Farbabb., 39,95 €

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