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Gropius-Bau: Leser lieben Listen

Die Top Sixty der Bundesrepublik: eine Jubelausstellung im Gropius-Bau zelebriert erneut die Trennung zwischen Ost und West.

Verdutzt reibt sich der Besucher die Augen: Sollte das möglich sein? Ausgerechnet 20 Jahre nach dem Mauerfall und pünktlich zum 60. Jahrestag der Gründung der Bundesrepublik wird die Trennung zwischen Ost und West erneut zelebriert. Und das ausgerechnet mit einer Kunstausstellung, obwohl nicht zuletzt die Künstler die Grenze immer wieder zu überwinden versuchten.

Doch ins Konzept der fragwürdigen Jubelausstellung „60 Jahre – 60 Werke“ passt diese Tatsache nicht. Die „Bild“-Zeitung im Verein mit vornehmlich pensionierten westdeutschen Museums- und Feuilletongranden wollte ausschließlich die künstlerischen Errungenschaften auf der Basis des Paragrafen 5, Absatz 3 des Grundgesetzes feiern. Die darin garantierte Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre gab es in der DDR erwiesenermaßen nicht. Also haben auch Werke aus dem anderen Deutschland nichts in der Ausstellung zu suchen, so die Schlussfolgerung von Walter Smerling, dessen Bonner Stiftung Kunst und Kultur die Schau organisierte.

Eine solch bornierte Haltung mag im Rheinland durchgehen. Zu einem Ärgernis aber wird sie in Berlin, wo in den vergangenen beiden Jahrzehnten um die gegenseitige Anerkennung der Kunst gerungen wurde, bis hin zur umkämpften gemeinsamen Präsentation 1993 in der Neuen Nationalgalerie. Doch um Differenzierung ging es von Anfang an nicht. Kai Diekmann, „Bild“-Chefredakteur und Initiator der Ausstellung, folgt damit seiner publizistischen Leitlinie: Leser lieben Bestenlisten, deshalb die Top Sixty der Bundesrepublik. Der 102-jährige Rupprecht Geiger dankte denn auch dem „Bild“-Mann von Herzen, dass mit der parallelen Vorstellung seines ausgewählten Werks im Boulevardblatt mehr Menschen an einem Tag seine Arbeit kennenlernten als in seiner gesamten Ausstellungskarriere.

Äußerst befremdlich ist die offizielle Unterstützung, die das einseitige Unternehmen genießt: Das Innenministerium gab neben einem großen nordrhein-westfälischen Energieunternehmen Gelder, um die Miete im Martin-Gropius-Bau zu zahlen. Die Bundeskanzlerin, die selbst aus dem Osten Deutschlands kommt, hält an diesem Donnerstag die Eröffnungsrede der in Schwarz-Rot-Gold schwelgenden Revue. Das private Projekt erhält damit den Charakter einer offiziellen Jubiläumsausstellung.

All das lässt sich nicht ausblenden, wenn man durch die 18 Säle des MartinGropius-Baus geht. Der Parcours bewegt sich auf bekanntem Gelände: Abstraktion mit Schumacher, Uhlmann und Hartung zu Beginn der BRD, als man das Figurative mied, da es sich mit der Darstellung des einstigen Herrenmenschen verband. Mit Werner Heldt, Willy Baumeister, Karl Hofer kehrte die Gegenständlichkeit zurück, die in den Sechzigern durch Richter, Baselitz, Polke, Lüpertz endgültig ihren Durchbruch fand – übrigens ein Erbe aus dem Osten Deutschlands, aus dem diese Maler kamen. Gerade in den ersten Räumen gelingen der Ausstellung sehr schöne Passagen, denn hier wurde großzügig mit begleitenden Werken gehängt. Bis hin zu Beuys und Kiefer, denen ebenso wie Gerhard Richter eigene Räume gewidmet sind, wird jedoch nur der gängige Kanon wiederholt, wie er sich in den meisten westdeutschen Museen findet.

Mit den Achtzigern begibt sich die Ausstellung auf weniger gefestigtes Terrain. Fast erscheint es wie ein Rückzugsgefecht der rheinischen Brigaden, dass die Beispiele aus diesen Jahren fast ausschließlich aus dem Köln-Düsseldorfer Raum stammen: Walter Dahn & Jiri Dokoupil, Anna und Bernhard Blume, Rosemarie Trockel und Martin Kippenberger öffneten die Kunst hin zum Anarchischen. Wenig später wankte das gesamte System, auch wenn das bis heute mancher im westdeutschen Raum nicht wahrhaben will. Wie hilflos sich die Kuratoren gerade auf diesem Gebiet bewegen, zeigt sich an den Vor- und Rücksprüngen, der zerrissenen Hängung einzelner Werke, darunter nun auch die von Künstlern ostdeutscher Provenienz. Noch fehlt die Distanz zu den Neunzigern – und auch zum jüngsten Dezennium – um ausgeruht Bilanz zu ziehen. So dominieren die Boomgewinner Jonathan Meese, Neo Rauch und Daniel Richter mit Großformaten.

Dazwischen schieben sich auf den letzten Metern – als Reverenz an den wachsenden Erfolg von Frauen – Candida Höfers Fotografien, ein Gemälde von Corinne Wasmuht, ein Holzschnitt von Christiane Baumgartner. Und im allerletzten Moment geht allen nicht nur ein Licht auf, sondern ein ganzer Lampenladen an. Honecker hätte seine Freude an Tobias Rehbergers Installation aus mundgeblasenen Glaslampen gehabt. Man mag darin eine ungewollte Anspielung auf den Palast der Republik erkennen. Auch über ihn ging die bundesrepublikanische Geschichte hinweg, und doch spukt auch das Palastgespenst weiter.

Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, bis 14. Juni; täglich 10 –20 Uhr. Katalog (Wienand) 29,80 €.

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