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Gruppenschau: Künstler als Geisterjäger

Acht Künstler demonstrieren den "Droste-Effekt" in der Galerie Esther Schipper.

Die Krankenschwester auf der „Droste“ Kakaopackung blickt ernst und stolz. Als wüsste sie um die philosophische Herausforderung, die ihr Abbild in sich trägt. Sie präsentiert eine Kakaoverpackung, auf der sie wiederum zu sehen ist mit einer Kakaoverpackung, auf der sie wiederum zu sehen ist. Und so weiter. Zu Ehren dieser hintergründigen Galionsfigur der holländischen Schokoladenmarke „Droste“ wird unendliche Selbstbezüglichkeit auch „Droste-Effekt“ genannt. Gegenstand der Mathematik, Systemtheorie oder Linguistik – und sicher auch einiger Frühstückstischgrübeleien.

In der Gruppenausstellung „Der Droste-Effekt“ in der Galerie Esther Schipper führen acht Künstler vor, dass Selbstbezüglichkeit und Wirklichkeitsvervielfältigung zur Kunst gehören wie der Kakao zur Schokolade. Insbesondere zeitgenössische Kunst verweist ständig auf sich selbst, auf ihren Abbildcharakter, auf die Kunstgeschichte. Die Kuratoren Henrikke Nielsen und Robert Meijer beobachten, dass Künstler in jüngster Zeit zunehmend den Eigenwert des Kunstwerkes als soziale, politische oder imaginäre Qualität reflektieren. Und so zwischen Kunst als Realität und Kunst als Verweis auf Realität in Endlosschleifen pendeln.

In der Linienstraße werden zum Glück keine verwirrenden Schokoladenmädchen, keine dekorativen Fraktale oder Kunststücke in M.-C.-Escher-Manier gezeigt. Die Arbeiten beziehen sich assoziativ auf das Thema. Dass die Ausstellung nicht zur hermetischen Zitatenhölle oder kunstphilosophischen Verrenkung gerät, liegt an der sinnlichen Präsenz der Stücke. Wenn der Schweizer Künstler Valentin Carron etwa das Negativ eines Werbedesigns aus den fünfziger Jahren auf Lkw-Plane kopiert, erinnert das plötzlich – wundersame Migration der Formen! – an Stammeskunst.

Der magische schwarze Spiegel, den der Däne Joachim Koester im Britischen Museum fand, wirkt in der fotografischen Reproduktion noch geheimnisvoller. Das Instrument des Totenkontakters John Dee aus dem 16. Jahrhundert gewinnt mit den weißen Kratzspuren auf dem Glas, auf die Koester fokussiert, eine stellare Dimension: Sie erinnern an Sterne vor einem Nachthimmel. Der Künstler wird selbst Geisterjäger. Vage schimmern Reflexionen der Museumsarchitektur auf der Oberfläche des Spiegels – ein schöner Kontrast zwischen Aufklärung und Okkultem.

Das Museum als Ort, in dem Objekte selbstreferenziell werden, stellen auch Rosalind Nashashibi und Lucy Skaer in den Mittelpunkt ihres wunderbaren 16-mm-Films „Flash in the Metropolitan“. Sie haben nachts Skulpturen und andere Ausstellungsstücke des New Yorker Museums mit stets nur kurz aufscheinenden Spotlights angestrahlt. Plötzlich erhalten die Masken, Fratzen, Gegenstände eine ganz unmuseale Wucht. Fort ist der Eindruck von Geschichte und Dauer, den Museen produzieren; die Exponate wirken ephemer und doch zeitenthoben. Auf der Netzhaut des Zuschauers leuchten die Dinge nach, wenn sie auf dem Filmmaterial schon erloschen sind.

Wolfgang Tillmans geht noch einen Schritt weiter und inszeniert in seiner „Paper Drop“-Serie ganz ohne Umwege den Bildträger selbst und wird so gleich im doppelten Sinne selbstbezüglich: Zum einen lichtet er auf Fotopapier Fotopapier ab, zum anderen stellt er mehrere Aufnahmen nebeneinander, die sich lediglich in der Tiefenschärfe unterscheiden. Wie ein Bilderrätsel hängen sie da und provozieren genaueres Hinsehen.

So befragen die ausstellenden Künstler nicht allein ihre Mittel, sondern fordern auch den Besucher heraus. Die Arbeiten schärfen die „Wahrnehmung der Wahrnehmung“, wie es Niklas Luhmann mit Blick auf den rekursiven Charakter von Kunstwerken spitzfindig ausdrückte. Doch der Schwindel beim Verlassen der Galerie ist nur leicht. Der Absturz in die unendlich tiefen Abgründe der Selbstbezüglichkeit ist ausgeblieben (Preise auf Anfrage). Daniel Völzke

Galerie Esther Schipper, Linienstr. 85, bis 15. Sept., Dienstag bis Sonnabend 11–18 Uhr

Daniel Völzke

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