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berchem

© - Foto: Herzog Anton Museum, Braunschweig

"Im Lichte Italiens“: Wo die schöne Hirtin lagert

In Schwerin ist eine Ausstellung mit Bildern des Paradies-Malers Nicolaes Berchem zu sehen. Der holländische Künstler schuf im 17. Jahrhundert zahlreiche Werke in den lieblichen Landschaften Italiens.

Wo ist ein Ort der Stille und der inneren Einkehr? Die antiken Dichter Theokrit und Horaz haben ihn in Arkadien gefunden, in jener unberührten, von Hirten bevölkerten Naturlandschaft auf der griechischen Halbinsel Peloponnes. „Reiche Feldfrüchte und der Massicerwein des Bacchus füllen es, Ölbäume und üppig gedeihende Herden haben es inne“, schreibt auch Vergil und entwirft eine imaginäre Welt voll Schönheit und Melancholie, voll Frieden und Gelassenheit.

Die Sehnsucht nach einem solchen Ort hat Generationen von Dichtern und Musikern umgetrieben, Maler haben den Hort des Friedens in Bilder zu fassen gesucht. Der holländische Meister Nicolaes Berchem hat Arkadien in den lieblichen Landschaften Italiens gefunden. Schon seine Zeitgenossen in der Mitte des 17. Jahrhunderts liebten die in goldenes Licht getauchten Hirtenszenen und rissen sie ihm aus den Händen. Nach Berchems Tod erzielten seine Gemälde astronomische Preise. Auch heute zählen sie zu den Glanzstücken jeder bedeutenden Sammlung alter holländischer Meister.

Das Staatliche Museum Schwerin besitzt eine solche Sammlung und weiß mit diesem Pfund klug zu wuchern. Durch beispielhafte Ausstellungen zu den Werken von Rembrandt und Fabritius hat es seine Kompetenz auf dem Gebiet des „Goldenen Zeitalters“ bewiesen. Nun zeigt das Haus in Zusammenarbeit mit dem Frans-Hals-Museum Haarlem eine umfangreiche Einzelschau zu Berchems Lebenswerk. Die Ausstellung präsentiert vierzig Gemälde sowie zahlreiche Zeichnungen, Radierungen und Kupferstiche. Die ausgewählten Bilder kommen aus eigenem Beständen oder sind Leihgaben aus privaten Sammlungen und Museen wie dem Pariser Louvre, der Dresdner Sammlung Alter Meister, der Londoner National Gallery oder den Museen von Amsterdam, Den Haag, Stockholm, Antwerpen, Zürich und Houston. Diese Vielfalt ermöglicht es, Entwicklungen im Werk zu verfolgen und Einflüsse anderer Künstler zu entdecken.

Die undatierte „Italienische Berglandschaft“ aus der Schweriner Sammlung zeigt einen Hirten mit Hut und Stab an einen Baum gelehnt. Auf der Erde neben ihm sitzt eine üppige junge Magd in farbenprächtiger Tracht. Sie hat einen Brotkorb und eine bauchige Wasserflasche dabei, zwei Ziegen und zwei Kühe lagern um sie herum. Im Hintergrund grast eine Herde in abendlicher Berglandschaft. Die gesamte Szenerie ist in warmes, ockerfarbenes Licht getaucht. Ein ganz ähnliches Ensemble zeigt das frühe Hirtenbild „Landschaft mit Ziegenmelkerin“ (1646/48) aus dem Pariser Louvre. Im Vordergrund kniet eine melkende junge Hirtin, eine zweite steht daneben und gibt offenbar Ratschläge. Auch hier tragen die Frauen farbenfrohe Trachten, um sie herum liegen und stehen Schafe, Ziegen und Kühe. Der Himmel jedoch ist klar und blau. Licht durchstrahlt das feingliedrige Blattwerk der Bäume. Im Hintergrund öffnet sich eine weite, verklärte Berglandschaft. Das großformatige Gemälde „Landschaft mit Schloss Bentheim“ (1656) wiederum betont vor allem die enorme Weite des Naturpanoramas. Die Tiefenwirkung wird durch die fröhliche Hirtenschar sowie einige Bäume im Vordergrund gesteigert.

Obwohl sich die Motive ähneln, zeigen die Gemälde unterschiedliche Einflüsse. Das warme südländische Licht, das vielen Landschaften die italienische Stimmung und der Ausstellung ihren Titel „Im Lichte Italiens“ gibt, hat Berchem von Jan Asselijn und Jan Both übernommen. Beide waren in den 1640er Jahren von ausgedehnten Italienreisen in den Norden zurückgekehrt. Das fein ziselierte, lichtdurchlässige Busch- und Blattwerk sowie das Spiel von Licht und Schatten bei der „Ziegenmelkerin“ ist deutlich von Cornelius Vroom inspiriert. Die Anmutung der Hirten weist Ähnlichkeit mit denen von Pieter van Laer auf. Alle Elemente hat der Haarlemer Meister vielseitig abgewandelt und in eigenen Kompositionen variiert. Sie durchziehen sämtliche Schaffensperioden.

Neben den Landschaftsbildern mit Hirten und Herden gibt es Gemälde mit biblischen Motiven, lebensechte Tierporträts, bewegte Jagd- und Überfallszenen, Abend- und Nachtszenarien mit starken Hell-Dunkel-Kontrasten und Hafenansichten mit eleganten Edelleuten, deren opulente Kleidung aus glänzenden Stoffen und raffinierten Faltenwürfen später die französische Rokokomalerei geprägt hat. Viele Bilder beeindrucken durch eine aufwendige Staffage und anspielungsreiche Details wie turtelnde Vögel, spielende Hunde, saftige Früchte oder zarte Blüten. Berchems leichter, flüchtiger Pinselstrich lässt die Figuren natürlich und beweglich erscheinen.

Die chronologisch gehängte Ausstellung bildet zwar den enormen Facettenreichtum des Künstlers ab, verliert aber nie das Thema aus dem Blick, welches den Weltruhm Berchems begründet: jene italienischen Landschaften, deren idyllische Schönheit zu innerer Einkehr einlädt. Bei deren Betrachtung kann man kaum glauben, dass Berchem das warme Licht Italiens wahrscheinlich nie mit eigenen Augen gesehen hat.

Staatliches Museum Schwerin, bis 3. Dezember. Katalog 24,95 Euro.

Karin Erichsen

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