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Ausstellungen: Im Zweifel für den Staatsanwalt

Thomas Rentmeister in der Galerie Scheibler.

Der Verdächtige hat den Tatort verlassen. Ein rohes Holzgerüst mit Signalband versperrt den Eingang der Galerie ScheiblerMitte, als sei die Spurensicherung noch in vollem Gang. Doch alle Indizien weisen auf Thomas R. als mutmaßlichen Täter hin. Der Staatsanwalt dürfte es leicht haben, gegen den Künstler zu ermitteln. Delikt: Regelverstoß auf der ganzen Linie.

An der hinteren Galeriewand duftet es nach Schokolade. Thomas Rentmeister hat Styroporquader zu einer Mauer aufgeschichtet und mit Nutella verklebt. Das Werk wird zu einem Spottpreis von 300 Euro pro Quadratmeter angeboten – Aufbau inklusive. Die Käufer müssen sich allerdings über das anarchische Potenzial im Klaren sein, das die Arbeit zu Hause entfalten kann. In einem Familienhaushalt dürfte die Mauer pädagogische Prinzipien aushebeln. Wer keine Kinder hat, muss sich selbst im Zaum halten. Denn Rentmeisters Maßlosigkeit wirkt ansteckend. Er schöpft Nutella aus der Tonne, gießt es zu Bergen und baut haushohe Wände damit.

Braun und weiß, das sind Rentmeisters Grundfarben, seine Palette bewegt sich absichtsvoll zwischen anal und aseptisch. In einer seiner frühesten Arbeiten versuchte er, die Grenzen fließend zu gestalten. 1985 stellte er Kaffeetassen in Reih und Glied auf den Galerieboden und fügte von Tasse zu Tasse mehr Kondensmilch hinzu. So entstand eine Farbtonreihe von dunkelmocca bis cremeweiß. Die Idee war genial, die Arbeit unverkäuflich.

Rentmeisters Werk teilt sich in zwei Extreme. Da sind zunächst die schmeichelnden, hochglänzenden Polyesterobjekte, die sich am Markt zu Selbstläufern entwickelt haben.Eines davon wird in der Ausstellung präsentiert, ein blütenweißes Kissen mit der Erotik eines Heckspoilers (38 000 Euro). Zehn Jahre lang waren diese gerundeten Formen Rentmeisters Markenzeichen. Dann wurden sie ihm selbst zu viel. Von der Anziehungskraft schwenkte er um auf Abstoßungseffekte.

Für „Whiteware“ im Hamburger Bahnhof baute er 2002 zur Verleihung des Piepenbrock-Preises ausrangierte Kühlschränke zu einem Turm auf und verspachtelte die Fugen mit Penatencreme. Die zähe Zinksalbe bleibt an der Haut haften und hinterlässt überall Spuren. Rentmeister benutzt die Schmierstoffe der Kindheit – ihren Geruch, ihre Konsistenz – als Lockmittel, dann aber schlägt er einen Haken und entzieht seine Kunst dem puren Genuss. Ein bisschen Ekel muss sein.

Für die Holzkästen in der Ausstellung der Galerie ScheiblerMitte nutzt der Künstler Tampons, Tempos, Wattestäbchen – das ganze Intimpflegesortiment im Drogeriemarkt. Die weißen Hygieneartikel verklebt er für seine Diagramme mit eitergelbem Pattex (18 000 Euro). Betrachter stehen vor mehreren Möglichkeiten. Sie können die Materialien wörtlich lesen und die ganze Assoziationskette abspulen, all die Körperflüssigkeiten imaginieren, die von der Watte aufgesogen werden. Sie können aber auch abstrahieren und sehen verspielte Kompositionen, federleicht, mit viel Gefühl für Spannung arrangiert. Die Diagramme treiben die inflationäre Veröffentlichung der Intimität auf die Spitze. Im Dauergebrauch reißen die Tampons allerdings an den Nerven. Wenn auch beim Tabubruch die Maßlosigkeit regiert, wird er anstrengend.

Auftritt: der Staatsanwalt. Weil seine Studenten gezündelt hatten, musste Thomas Rentmeister, Professor an derKunsthochschule in Braunschweig, die juristische Verantwortung übernehmen. Der Titel der Ausstellung „Der Staatsanwalt“ verdankt sich dieser Episode, zumal Rentmeister ihm ein Denkmal gesetzt hat. Ein Fundstück, einen Schirmständer, ließ er fast drei Meter hoch nachbilden. An den Speichen hängen überdimensionierte Tampons wie Troddeln; die Mutter des Künstlers hat die weißen Hüllen in Mausezahnmuster gehäkelt. Ein alerter Buckler, so stellt man sich diesen Staatsanwalt vor (62 000 Euro). Das kleine Modell für die Plastik verrät gleichzeitg viel über Rentmeisters Geschick, alltägliche Dinge zum Schweben zu bringen. Das Tischformat erinnert eher an Pan Tau, den lautlosen Magier aus der tschechischen Fernsehserie.

Die Kunst des Fliegens, hin und wieder schimmert sie auf. Beim Aufbau lässt sich Rentmeisters fast lehrbuchmäßiger Umgang mit Gegensätzen erkennen, sein Geschick, zwischen trivialem und edlem Material zu vermitteln. Der Bildhauer arbeitet nach allen Regeln der Kunst. Freispruch also für Thomas R. – auch wenn er vielleicht lieber schuldig wäre.

ScheiblerMitte, Charlottenstr. 2; bis 1.4., Di-Sa 11-18 Uhr.

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