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KUNST Stücke: Drachenflug

Simone Reber erlebt wahre Tragödien zwischen Vater und Sohn.

Mythen, Monster, Mutationen sind rund um den Rosa-Luxemburg-Platz zu erleben. Schön schaurig geht es bei Lena Brüning zu. Die Tochter von Ulrike Schmela hat vor über vier Jahren ihre Galerie eröffnet. Gerade zeigt sie John von Bergens Studie zum Kannibalismus (Almstadtstraße 50, bis 5. Dezember). Der 37-jährige Amerikaner bezieht sich auf die Gestalt des Grafen Ugolino aus Dantes Göttlicher Komödie. 1289 wurde er als Verräter mit seinen Söhnen und Enkeln in den Hungerturm von Pisa geworfen. In seiner Verzweiflung soll Ugolino vom Fleisch seiner Kinder gegessen haben. Auguste Rodin hat sich von Dantes Darstellung zu einer Skulptur anregen lassen, der von Bergen auf Umwegen nahe kommt. Als Energiezentrum der Tragödie setzt er eine Tischsäge ein. Der Künstler hat ihre Einzelteile aus einem Gips-Kunststoffgemisch nachgebildet. Das Material lässt sich knautschen, kneten und knoten und trieft an einigen Stellen faserig herab (15 000 Euro). Der wahre Kern der Legende bleibt den Besuchern verborgen. Die echte Säge befindet sich unter den Falten eines weißen Lakens. „SOOTO hungry“ heißt die Ausstellung: something out of the ordinary – hungrig jenseits des Gewöhnlichen. Von Bergen reizt die Metamorphose. Alles ist Verwandlung, vom hybriden Material bis zu der sich auflösenden Menschlichkeit.

In der Galerie Kamm greift Pavel Pepperstein ein ähnlich tragisches Motiv vom Vater und seinen Söhnen auf: die Laokoon-Gruppe. In Peppersteins Aquarell fliegen Laokoon und seine Söhne wie bunte Drachen in der Luft (8000 Euro). In seiner vergnüglichen Serie „Suprematist Studies of Greek Myths“ erzählt Pepperstein die griechischen Sagen mit Hilfe geometrischer Zeichen (Rosa-Luxemburg-Straße 45, bis 19. Dezember). So lädt er das blutleere Dogma des Suprematismus mit griechischer Leidenschaft auf. Da steht Orpheus als rotes Dreieck in weiter Ferne an den Ufern des Styks, während der Schatten von Eurydike als graues Dreieck im schwarzen Hades erlischt (6000 Euro). Verblüffend einfach spitzt Pepperstein die komplexen Tragödien auf ihre Pointe hin zu. In ihrer gelassenen Heiterkeit arbeitet diese Fusion von Avantgarde und Antike auf die Versöhnung von Zeiten und Welten hin.

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