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Loriot

© SWR

Loriot: Zimmer frei zur Verwüstung

Chronist einer komischen Republik: die große Berliner Loriot-Ausstellung zum 85. Geburtstag.

Ein Mann, ein verknurpstes Wesen, hockt zusammengesunken auf einem Drahtstuhl, blickt an die Decke. Dort hängt, am Seil hochgezogen und korrekt beschriftet, was in der Wohnung stört: „Hut“, „Mantel“, „Mehl“ (im Sack), „Gäste“ (ein Knabe). Der Konstrukteur des Szenarios, ein Alter Ego des Zeichners, gehört dazu und beobachtet seine beengte Welt: wie Ordnungsprinzip und Funktionalität sich verselbstständigen. Entstanden ist dieses erste mit „Loriot“ signierte Blatt eines Hamburger Kunststudenten im Jahr 1949. Den Themen dieses Auftakts ist Vicco von Bülow, den das Film- und Fernsehmuseum der Deutschen Kinemathek ab heute mit einer Ausstellung feiert, treu geblieben, als Dokumentar-Humorist einer komischen Bundesrepublik. Drei Generationen haben gelernt, seinen kleinen Kosmos (griechisch für Ordnung) zwischen Pantoffelkino, Fernsehstudio und Einbauküche so zu sehen, wie er ihn sah.

Ein Klassiker wird besichtigt: „Loriot. Die Hommage zum 85. Geburtstag“ – am 12. November. Eine so breit angelegte Präsentation gab es bislang nicht; doch müssen die Kuratoren Peter Paul Kubitz und Gerlinde Waz unterschiedlichste Ansprüche bedienen. Einerseits ist Loriot dauerpräsent; „das ist wie Loriot“ gehört zu unserem Sprachgebrauch. Die Nudel, „ein Klavier! Ein Klavier“, das Frühstücksei, die Männerente im Bad und der Jodelunterricht behaupten ihren Platz im kollektiven Gedächtnis. Die Fallhöhe von Macho-Posen, inszeniertes Elend im Familienleben, Kommunikationsverschluss zwischen den Geschlechtern, Machtspiele zwischen Männern und Sandkastenspiele der Frauenemanzipation – deutscher Alltag findet in Sketchen und Cartoons seine grimmig-heiteren, wohl bekannten Bilder. Trotzdem muss die Ausstellung Déjà-vu-Bedürfnisse bedienen, nie Gezeigtes ausgraben, zugleich aber so umfassend wie möglich sein. 73 Stunden Loriot sind auf Monitoren oder Leinwänden anzuschauen, hereinspaziert!

Am wenigsten erhellend gelingt das im Bereich „Werkstatt“. Wer hofft, hinter den Kulissen einen peniblen Pointenbastler zu entdecken, wird enttäuscht. Die Entstehung zweier berühmter Sketche, „Zimmerverwüstung“ und „Lottogewinn“, wird bebildert nachinszeniert; außerdem ist ein Schneidetisch aus dem Trickstudio vorhanden, ein Panoramafoto von der Kulissenlandschaft einer Mops-Mondlandung samt Mondfähre „Wotan“ und eine Portraitübersicht zu zahlreichen Rollen des Mimen von Bülow, als Westernheld, MdB, Eduard Zimmermann, Sportmoderator, Peter Merseburger, Filmemacher, Werner Höfer, Herbert von Karajan. Die Knochenarbeit humoristischer Inszenierungen erscheint so kaum nachvollziehbar. Erschwerend kommt hinzu, dass Requisiten beim Fernsehen nicht archiviert werden. Da hat man nachgebastelt, authentischer Reliquienthrill entfällt. Nur der originale Vertreter-Mantel aus „Zimmerverwüstung“ wurde aufgefunden.

So wandert der Blick des Besuchers lieber zum Monitor, wo der fertige Sketch läuft. „Zimmerverwüstung“ variiert des Meisters Lieblingsobsession, Abgründe des Ordnungswahns als Slapstick: Aus der Bemühung, ein schiefes Bild zu richten, entsteht Chaos. Lustig ist die Geschichte erst aus der Distanz: in ihrer vollkommenen Form.

„Leben und Werk“ dagegen, die Vorführung der Schaffensphasen als Biographie, zeigt den Herrn der Möpse („Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos“) als Figur seines Jahrhunderts. Zeichnungen der frühen 1950er Jahre: ein Straßenbahnschild „Nicht mit dem Führer sprechen“, das einen Uniformierten im Lenkhaus mit Hakenkreuzbinde zeigt. Ein dreijähriger Russlandeinsatz des Offiziers von Bülow, der sich – wie er später sagte – von Verbrechern zur angeblichen Vaterlandsverteidigung missbrauchen ließ, lag da noch nicht lange zurück. Bald darauf geht der Evolution seiner berühmten Knollenmännchen „Reinhold, das Nashorn“ voraus; spitznasig wurden auch die Knollenmännchen einige Illustrierten-Ausgaben lang variiert – auf Wunsch eines Redakteurs, der sie gern liebenswürdiger gehabt hätte. Auf derartige Eingriffe, sagte Loriot später im Interview, habe er sich danach nie wieder eingelassen. Der Werbezeichner benutzt auch Reklamefloskeln: „Moderne Menschen richten sich zeitgemäß ein.“ In einem Nebenraum darf der Besucher vor einem Spiegel den Taktstock ergreifen und mit dem Strickjacken-Maestro um die Wette dirigieren.

Wer die Ausstellung betritt, begegnet im Eingangsraum einer Vitrine mit Loriot-Souvenirs und, in holzgerahmten Monitoren, den Klassikern des Klassikers: „Frühstücksei“, „Eheberatung“, „Kauf eines Anzugs“ – 15 komödiantische Fragmente, die als bürgerliche Milieu- und Menschenstudie kaum altern. Vicco von Bülow hatte als Vater einen Polizeioffizier, der auf Disziplin viel hielt, aber über eigene Missgeschicke unbändig lachen konnte. Dem Sohn blieben Disziplin und Gelächter erhalten.

Von 2006 bis 2008 hat der Künstler Buntstiftzeichnungen unter dem Titel „Nachtschattengewächse“ geschaffen, „Traummotive“ als „Paraphrasen auf sein Lebenswerk“ (so Loriot-Freund Peter Raue). In einer Nebenkammer fassen diese Miniaturen – als Verbeugungen vor Picasso – tatsächlich Motive und Stimmungen des Werks zusammen: die surreale Verdrehung des Zwangsjacken-Alltags, die lächerliche Liebenswürde seiner Protagonisten.

„Deutschland 2008“ zeigt eine Frau auf Rädern, mit Posaune und geschwenktem Fähnchen. Der „Pinguinmann mit Cello“ (und Nasenknolle) fiedelt melancholisch auf der Mini-Eisscholle. „Pendel“ ist eine Taschenuhr mit Menschenkinn, Mund und riesigem Perpendikel. Auf die Feststellung, Humor sei (laut Freud) ein Mittel, sich dem Leiden zu entziehen, hat Vicco von Bülow mal geantwortet: Möglicherweise treibe ihn mangelnde Leidensbereitschaft in den Humor; man wisse allerdings nicht, was zuerst gewesen sei, der Humor oder der Schmerz. Vielleicht: das Frühstücksei.

Deutsche Kinemathek, im Sony Center am Potsdamer Platz bis 29. März 2009, Di–So 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr. Katalog im Hatje Cantz Verlag 29,80 €

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