zum Hauptinhalt

Manierismus: Eine neue Freiheit

Das Bucerius-Kunstforum Hamburg würdigt die Kunst des Manierismus in Europa. Hier wird der Maler zum Regisseur, der sein Erfindungstalent vorführen will.

Die Farben zugleich fahl und grell, die Körper verdreht, die Extremitäten überlängt: El Grecos „Verkündigung“ (um 1600) vereint in sich all das, was gemeinhin dem Manierismus zugutegehalten oder eben vorgeworfen wird. Mit großer Geste nähert sich der Engel der betenden Maria an, die sich ihm mit einer Wendung des Kopfes zudreht. Das knallige Rot ihres Kleides, das schrille Gelb vom Engelsgewand bilden mit dem wild bewegten Blau als Himmelshintergrund eine farbliche Gemengelage, die geradezu kreischend ist. Den Rest des visuellen Schleudergangs geben die sich bauschenden Gewänder, das bedrohlich ausgebreitete Flügelpaar mit seinem finsteren Gefieder.

Der heilige Moment ist nicht mehr stille Andacht, sondern ein einziges Drama. El Greco versetzt mit dieser Ekstase, der hemmungslosen Expressivität all seinen Vorläufern einen Schlag und wird damit zum frühen Held der Moderne. Er nahm sich einfach die Freiheit, anders zu sein.

Das Bucerius-Kunstforum in Hamburg fragt mit seiner Ausstellung „Sturz in die Welt. Die Kunst des Manierismus in Europa“ noch einmal genauer nach: Was machten jene Maler eigentlich anders, die einer Stilrichtung angehören, die trotz ihres anarchischen Potenzials von der Kunstgeschichte eher stiefmütterlich behandelt wird? Kein Wunder: Letztlich ist sie nur ein Zwischenglied von gerade einmal achtzig Jahren, von Tintorettos Tod 1520 bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts, ein Übergangsphänomen zwischen den wirklich großen Epochen Renaissance und Barock. Und doch haben die Manieristen der Kunst eine Freiheit beschert, die bis heute zu ihren wichtigsten Eigenschaften gehört: die Selbst thematisierung des Kunstwerks, die schöpferische Autonomie des Malers und die Subjektivität des Bildes.

Der Maler wird zum Regisseur

Das vor sechs Jahren eröffnete Ausstellungshaus, das mit seiner neuesten Schau im ersten Stock der ehemaligen Reichsbank weitere Räume hinzugewonnen hat, wagt sich mit diesem Projekt an eine gewaltige Aufgabe heran. Zumal man es in Hamburg an der großen Manie rismus-Ausstellung des langjährigen Kunsthallen-Direktors Werner Hofmann misst. Das Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit offenbart sich umso mehr, als die Erklärung des Phänomens ausschließlich mit den Beständen des Budapester Szépmüvészeti Múzeum geschieht. Das besitzt zwar eine große Manierismuskollektion, darunter Grafiken von Hendrik Goltzius, Zeichnungen von Parmigiano, aber die Gemälde – selbst solche von Maarten van Heemskerck, Giorgio Vasari, Hans Rottenhammer – besitzen eben doch nicht allererste Qualität.

Darüber setzen sich die Ausstellungsmacher jedoch nonchalant hinweg. Sie wollen dem vom Rathausplatz hereinspazierenden Besucher für ein Stündchen Erhellung bieten – mehr nicht. Aber das zumindest gelingt ihnen perfekt. Das mit der neuen Direktorin Ortrud Westheider geprägte Motto „Alte Meister neu gesehen“ muss sich schließlich nicht zwingend auf Meisterwerke beziehen. Und so flaniert es sich unbeschwert kapitelweise vom „Bild als Bühne“ über „Momente des Diesseits“ zur „Schaulust“. Vorhang auf für Potiphars Weib, die den fliehenden Joseph zu verführen sucht. Hans Rottenhammer inszeniert den Moment wie auf einer Bühne. Der schwere Baldachin vom Himmelbett ist die sich öffnende Gardine für den dramatischen Augenblick, in dem sich der keusche Joseph den Armen des lüsternen Weibes entwindet.

Der Maler wird hier zum Regisseur, der nicht nur eine Szene, sondern auch sein Erfindungstalent vorführen will. Häufig waren sie darin nicht zimperlich, wagten Tabubrüche, provozierten ihre Zeitgenossen – all das, was heute noch einem Künstler Aufmerksamkeit beschert, sei es ein diamantbesetzter Totenschädel von Damien Hirst oder die überdimensionalen Ballonfiguren eines Jeff Koons. Die Manieristen ignorierten erstmals das Kriterium des Schönen, das seitdem in der Beurteilung von Kunst keine übergeordnete Rolle mehr spielt. Der Einfall zählt, und darin waren die Manieristen höchst erfinderisch. Sie zoomten ihre Protagonisten ganz nah heran, so dass der Betrachter sich fast schon wie das Jesuskind auf dem Schoß der Muttergottes fühlen kann, etwa in Gierolamos Siciolantes „Heiliger Fa milie“ (um 1544). Oder sie lassen Licht und Farbe knallen wie in Ventura Salimbenis „Verkündigung“  (um 1602), in der der Herrgott aus dem Himmel ein grelles Spotlight auf die Jungfrau schickt und dabei die herbeiflatternden Putten in Marzipanrosa taucht.

Der Blick kreis permanent

Zur bekanntesten Methode der manieristischen Malerei aber gehört der Strudel, das wirbelnde Rund, in das sich das gesamte Geschehen hineinziehen lässt. Die Harmonien werden aufgegeben, Bewegung schießt in den Bildaufbau hinein. So kreist der Blick des Betrachters in Tintorettos Gemälde permanent. Es erzählt die Geschichte, wie Herkules in Frauenkleidern den begierigen Faun aus dem Bett der Omphale stößt. Frauenakte, Bedienstete umrahmen die Szene, in dessen Zentrum der überraschte Faun kopfüber aus dem Matratzenlager stürzt.

Der Tritt von Herkules trifft ihn am empfindlichsten Punkt, womit eine weitere manieristische Eigenheit ins Spiel kommt: die Freizügigkeit. Hielten sich zuvor die Göttinnen und Grazien bedeckt, so frönt der Manierismus einem neuen Voyeurismus. Geradezu schamlos wird dies bei den Susannen von Goltzius Geldorp und William Key eingesetzt: Der Betrachter stiert mit den beiden gierigen Alten auf den blanken Busen der standhaften Schönen. Für die Barbusigkeit von Bartholomäus Sprangers „Diana“ (um 1600) gibt es hingegen keinen tieferen Grund, zumal sie als Göttin eigentlich die Keuschheit und Tugend verteidigen soll.

Mit den Manieristen kehrt in die Kunst eine neue Diesseitigkeit ein, ein Gefühl für das Gegenwärtige, die Dinglichkeit. So kommt plötzlich Essen auf Tisch, wird Markttreiben gezeigt. Über die deftigen „Bohnenesser“ von Vincenzo Campi amüsierte sich damals zwar noch die elitäre Schicht der Kunstkäufer. Doch war es von dort aus nicht mehr weit zum Projekt „Kunst für alle“. Im Bucerius-Forum lacht der Betrachter heute zurück.

Bucerius-Kunstforum, Hamburg, Rathausmarkt 2, bis 11. Januar, täglich 11–19 Uhr, Do. bis 21 Uhr.  Katalog im Hirmer Verlag, München, 34,90 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false