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Martin-Gropius-Bau: Kölner Archiv zu Gast in Berlin

Das Kölner Archiv zeigt in der Zerstörung, wie ungeheuer bedeutsam es ist - für Geschichte, Literatur, Musik, ja sogar neuere Medien. Von Sonnabend an gibt eine Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau berührende und ermutigende Einblicke.

1396 gab sich die Kölner Bürgerschaft eine Ratsverfassung, die 401 Jahre lang in Kraft blieb, bis zum Einmarsch der französischen Revolutionstruppen. Im "Verbundbrief" war die fein austarierte Machtverteilung geregelt. Köln als eine der bedeutendsten Städte des Mittelalters und der frühen Neuzeit weist eine Geschichte auf, in der sich die jahrhundertelange Emanzipation der Bürger von Kaiser und Kurie spiegelt. So ist der "Verbundbrief" ein Dokument von nationalem, wenn nicht europäischen Rang.

Am 3. März 2009 wurde das kostbare Schriftstück aus seinem sicheren Hort geschleudert, gingen die zahlreichen Siegel, die es beglaubigen, zu Bruch. Der Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln war eine Katastrophe, die ihresgleichen im deutschen Kulturleben der Nachkriegszeit nicht hat. Umso erstaunlicher, dass der "Verbundbrief" jetzt bereits wieder restauriert zu sehen ist.

Das ist ein ermutigendes Zeichen inmitten all der Zerstörung, die das Kölner Archiv einen Monat lang im Berliner Martin-Gropius-Bau vorführt. Von Sonnabend an sind die Fetzen und Klumpen, die Risse und Trümmer zu sehen, die der wohl durch Schlamperei beim U-Bahn-Bau verursachte Einsturz zur Folge hatte. Aber es sind auch Objekte zu sehen, Bücher und Dokumente, die das restauratorisch Mögliche bezeugen, die Ansporn geben, in der Anstrengung zur Rettung des unvorstellbare 30 Regalkilometer messenden Archivgutes nicht nachzulassen.

Mit mehr als 6000 Mannjahren Arbeitszeit ist zu rechnen, das sind 200 Restauratorenstellen auf dreißig Jahre. So lange wird es mindestens dauern, bis die Schäden repariert sein werden, ohne dass der frühere Zustand jemals zu erreichen wäre. Fehlstellen werden ersetzt, Risse geklebt, die Texte der Dokumente vor 1815 sind zudem auf Mikrofilm erfasst. Doch die Unversehrtheit der Objekte ist dahin. Im ersten Raum der Ausstellung sind in geballter Fülle kostbarste Kostbarkeiten ausgebreitet, Schriftstücke der deutschen Kaiser Heinrich I. und Friedrich Barbarossa, eine Landfriedensordnung von 1254 oder aber aus dergleichen Epoche ein Buchmanuskript des Universalgelehrten Albertus Magnus, dessen Werke zur Zeit neu ediert werden. Die "ganze Bandbreite der Zerstörung", so erläutert Archivmitarbeiter und Ausstellungskurator Max Plassmann, wird vorgeführt, "von unbeschädigt bis Totalverlust". Die Ausstellung ist chronologisch geordnet, von den Anfängen der Dokumentenbewahrung vor rund 1000 Jahren bis in die Gegenwart, wobei die Auswahl der Archivalien recht zufällig danach erfolgen musste, was greifbar ist, sind doch die geretteten Bestände auf 19 "Asylarchive" quer durch die Republik verteilt.

"Wir wollen die Ansicht, alles ist kaputt, hinter uns lassen und in die Zukunft blicken", sagt Plassmann, und ein Blick auf neue Dokumentenkästen mit den Namen derjenigen, die für die Restaurierung des jeweiligen Inhalts gespendet haben, weist die Richtung. Die Ausstellung will aufrütteln, will zu den bemerkenswert gut angelaufenen "Restaurierungspatenschaften" anspornen, will natürlich auch die Politik in die Pflicht nehmen. Am Mittwoch widmete sich der Kulturausschuss des Deutschen Bundestages dem tragischen Kölner Fall. Der Kulturdezernent der Domstadt, Georg Quander, kam "mit gutem Gefühl" aus der Sitzung, wie er dem Tagesspiegel erklärte. Bei den Abgeordneten habe er "die tiefe Erschütterung über das Ausmaß der Schädigung verspürt". Nun gelte es, die in Gründung befindliche "Stiftung Stadtgedächtnis" finanziell auszustatten: "Ich hoffe, auch der Bund beteiligt sich." Eine Million Euro ist für den Anfang im Gespräch, so viel, wie auch das Land Nordrhein-Westfalen beisteuern will. Die Hauptlast muss ohnedies der Kölner Haushalt tragen, in dem für die kommenden vier Jahre 63 Millionen Euro für die Restaurierung vorgesehen sind, bei insgesamt 153 Millionen Euro für den Archivbetrieb. Dazu kommt der bereits beschlossene Neubau an einem U-Bahn-freien und grundwassersicheren Standort, für den 95 Millionen Euro vorgesehen sind; der Architekturwettbewerb wird gerade vorbereitet.

Archive führen im öffentlichen Bewusstsein ein Schattendasein. "Die Ausstellung im Gropius-Bau soll bewirken", so Quander, "dass eine breite Öffentlichkeit die Schätze zur Kenntnis nimmt und erkennt, dass es eine nationale Aufgabe ist, diese Schätze zu restaurieren". Von Barbarossa bis Adenauer, von Albertus bis Böll, von Jacques Offenbach bis Hans Werner Henze: Das Kölner Archiv zeigt in der Zerstörung, wie ungeheuer bedeutsam es ist, für Geschichte, Literatur, Musik, ja sogar neuere Medien, für die ein am Ende des Rundgangs gezeigter Dokumentarfilm von 1951 einsteht. "Wie wichtig ist es", seufzt der Kulturdezernent, "dass man mit solchen Sachen sorgsam umgeht!" Man möchte die Papiertrümmer aus den Vitrinen herausnehmen, so sehr berührt ihr Schicksal, das in ganzen drei Minuten besiegelt war. Umso wichtiger, angesichts des staunenswerten Einsatzes der Archivmitarbeiter und 1800 freiwilligen Helfer die Zukunft anzuvisieren, die auf zwei Generationen hinaus von Reparatur gekennzeichnet sein wird. Immerhin - das Archiv nimmt bereits wieder neue Akten auf. Wie es eben sein Auftrag ist.

Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, 6. März bis 11. April. Begleitheft 9 €. - Restaurierungspatenschaften unter www.historischesarchivkoeln.de/patenschaft

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