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Medienkunst

© Tsp

Medienkunst: Kuppelblick statt Glotze

„Vom Funken zum Pixel“: Um elektronischen Unterhaltungs-Schnickschnack geht es Kurator Richard Castelli nicht. Mit hervorragender digitaler Medienkunst bespielt er den ersten Stock des Berliner Martin-Gropius-Baus.

Die sogenannte Medienkunst steckte noch in den Kinderschuhen, als Nam June Paik 1974 eine brennende Kerze in einen entkernten Fernsehapparat stellte. „Candle TV“ provoziert noch heute die Frage, ob sich moderne Fernsehshows und traditionelle Schattenspiele eigentlich substanziell voneinander unterscheiden. Hat die Generation Glotze wirklich so viel an Weitblick gewonnen? Und wie sieht es mit dem künstlerischen „Fortschritt“ der letzten Jahrzehnte aus? Wird man den (noch) brandneuen, kompliziert verkabelten, verführerisch flimmenden Medienarbeiten im Martin-Gropius-Bau in dreißig Jahren jene Paiksche Skepsis und Gedankenfrische auch attestieren können? Abwarten.

Um den neuesten unterhaltungstechnologischen Schnickschnack geht es Kurator Richard Castelli jedenfalls nicht, der mit elektronischer und digitaler Medienkunst den ersten Stock des Gropiusbaus bespielt. 20 von 25 Kunstwerken sind zwar Ausstellungspremieren, aber neben Paiks Kerzencoup finden sich auch noch andere Gegenakzente, Lowtech-Positionen. Dazu gehört die kompakte Guckkastenbühne des Berliner Künstlers KAI, in der ein winziger Blechdrachen Gasflammen spuckt: Mysterienspiel gegen Megapixel.

„Kunst war seit Urzeiten mit Feuer, Energie oder Magnetismus verbunden“, sagt der Pariser Neue-Medien-Spezialist Castelli und setzt sich damit gezielt von den Propheten seiner Zunft ab, die mit jedem Technologieschub die Neuerfindung der Kunst ausrufen. Als ironischer Kommentar zu künstlerischer Hybris ist auch Brad Hwangs Zeitmaschinenschlitten zu verstehen. Rudernd setzt der Benutzer einen funkensprühenden Mechanismus in Gang – auf der Raumzeitschiene aber bewegt sich gar nichts.

Wer abheben will, legt sich unter die große Leinwandkuppel im Lichthof, in die Ulf Langheinrich abstrakte Videos hineinprojiziert. Man blickt in einen rauschenden, flimmernden, oszillierenden Lichthimmel, bald schwindet der technische Horizont, und das Kino macht sich im Kopf breit wie eine sanfte Droge. Daneben ist eine zweite Riesenhalbkugel platziert. In ihr lädt Jeffrey Shaw andere Künstler ein, seinen „EveDome“ mit Videoarbeiten zu bespielen. Jean Michel Bruyère wirft ein 360-Grad-Fresko auf die Kuppelwand, das von einem griechischen Mythos inspiriert ist.

Der Betrachter aktiviert mit seinem Headset je nach Kopfdrehung immer nur einen kleinen Bildausschnitt vom Ganzen – wie ein Fackelträger, der sukzessive die Höhlenmalereien von Lascaux betrachtet. Für Kurator Castelli stellt dieses Zurück-in-die-Zukunft-Kino ein perfektes Beispiel für die vielbeschworene Interaktivität der Medienkunst dar. Wenn man freilich bedenkt, dass sich der Inhalt von herkömmlichen Büchern, Bildern oder Rauminstallationen ohne (Blick-)Bewegungen und geistige Aktivität ebensowenig entfaltet, wirkt Shaws „ko-kreatives Modell des Zuschauerengagements“ eher überzogen. Auch Erwin Redls Leuchtdiodenfirmament im abgedunkelten Lichthof kommt über bloße Dekorativität nicht hinaus.

Dagegen ist die horizontal im Raum rotierende Spindel „Visp“ von Christian Partos, bestückt mit wechselnd ein- und ausgeschalteten Leuchtdioden, nicht nur ästhetisch fesselnd, sondern erinnert auch an die uralte Faszination am Naturschauspiel, an Wetterleuchten und Funkenflug, die uns auch am modernen Medium anzieht. Mal zeichnet Partos’ raumgreifende Bild-„Röhre“ Blitze in die Luft, mal glimmt eine längliche, flimmernde Teilchenwolke im Dämmerlicht.

Die perfekte Synästhesie aus skulpturalen, visuellen und akustischen Elementen des Kanadiers Thomas McIntosh wirkt ebenfalls aus dem Dunkel heraus: Lautsprecherklänge erzeugen Muster auf einer milchigweißen Wasseroberfläche, farbige, auf den Wasserspiegel gerichtete Scheinwerfer „malen“ Projektionsbilder an die Wand. „Filme“ ohne Kamera stellen auch die rotierenden Skulpturen des US-Amerikaners Gregory Barsamian dar, der die historische Technik des Praxinoskops weiterentwickelt hat. Dank Stroboskopbeleuchtung und der Trägheit des Betrachterauges spielen Gespensterhände mit Knitterpapier, werden Münder zu irrealen Fratzen aufgerissen („The Scream“, 1998). Es muss wirklich nicht immer der letzte Schrei aus dem Softwarelabor sein.

Martin-Gropius-Bau, bis 14. Januar; Mi-Mo 10-20 Uhr Katalog (Nicolai-Verlag) 22 Euro

Jens Hinrichsen

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