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Skythen

© Deutsches Archäologisches Institut

Skythen-Ausstellung: Die Steppenreiter

Rundgang durch sechs Jahrhunderte: Die Skythen-Ausstellung im Berliner Gropius-Bau zeigt Schätze eines unbekannten Volkes.

Weit im Osten leben die Einäugigen. Herodot, der große griechische Geschichtsschreiber des fünften vorchristlichen Jahrhunderts, beschreibt die östlichsten Stämme der Skythen als Gold hortende Wunderwesen. Weil er im vierten Buch seiner Historien über die Skythen, das im sibirischen Steppengürtel nomadisierende Reitervolk, und ihre ähnlich gearteten Nachbarn, die Saken und Sauromaten, nur vom Hörensagen berichten kann, reichert er seine im Kern seriösen Nachrichten mit Gruselgeschichten an. Aus etlichen hundert Kilometern Distanz verlieren Barbaren (aus griechischer Sicht waren das alle Nicht-Griechen) schnell ihre menschlichen Züge.

Die Angst vor dem Osten ist so alt wie die westliche Kultur selbst. Nach Napoleons Scheitern vor Moskau 1812 und dem anschließenden Aufmarsch russischer Kosaken (als preußische Verbündete!) auf dem deutschen Kriegsschauplatz verfestigte sie sich zu einer der hartnäckigsten europäischen Zivilisationsneurosen – mit den bekannten katastrophalen Folgen im 20. Jahrhundert. Ganz überwunden ist sie bis heute nicht.

Man darf es als wohlüberlegte Provokation ansehen, wenn Hermann Parzinger, der Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) und designierter Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die große Skythen-Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau nun als Prozessionsweg von Ost nach West konzipiert hat. Die spektakulären Goldfunde aus den bis zu 20 Meter hoch aufgeschütteten skythischen Fürstengräbern, den Kurganen, stehen in Berlin für einen beispielhaften Kulturtransfer. Denn selbst wenn sich die Skythen-Forschung seit dem 18. Jahrhundert als Nebenprodukt der Erschließung Sibiriens in die entgegengesetzte Richtung von West nach Ost vorgetastet hat, ist die inszenierte Ausstellungslinie historisch-chronologisch korrekt.

Als "Volk der Mitternacht" geschmäht

Entstanden ist die skythisch geprägte Nomadenkultur an der Wende vom 9. zum 8. vorchristlichen Jahrhundert in der heutigen Mongolei und an den Grenzen Nordchinas. Von dort breitet sie sich, in Jahrhunderten und keinesfalls eine simple Ost-West-Wanderung, über Südsibirien, Kasachstan, den Ural, Südrussland, die nördliche Schwarzmeerregion bis ins Karpatenbecken, nach Siebenbürgen und an die mittlere Donau hin aus. Im 8. und 7. Jahrhundert drängen die gefürchteten Krieger vom Kaukasus aus nach Assyrien und weiter nach Palästina vor. Unter dem Eindruck von Angst und Schrecken schmäht der Prophet Jeremias sie als „Volk der Mitternacht“. Zu Beginn des 2. Jahrhunderts vor Christus verabschieden sich die Skythen, etwas rätselhaft, weitgehend aus der Geschichte. Man muss sich diesen Verdrängungsprozess ähnlich vorstellen wie die Umwälzungen der Völkerwanderungszeit.

Der Begriff Skythen, aus dem Griechischen abgeleitet, stellt nur eine magere historische Hilfskonstruktion dar. Ein einig Volk der Skythen hat es nie gegeben, sondern viele Stämme, die zwar alle der altiranischen Sprachfamilie angehörten, sich jedoch nur bedingt untereinander verständigen konnten. Die Ausstellung betont das Übereinstimmende: die nomadische Lebensweise, die kriegerische Mobilität, den hierarchischen Stammesaufbau, die Bestattungsriten und – am sinnfälligsten – die Verwendung von Tierformen für Schmuckwerk aller Art. Sie schmücken als winzige Goldblech-Widder oder -Panther die Umhänge von Fürsten und anderen Vornehmen und finden sich ebenso auf den spektakulären Kleidungsfragmenten und Tätowierungen der Eismumien aus dem sibirischen Altaj-Gebirge.

Für Herodot und seine Zeitgenossen waren die „Milchesser“ und „Stutenmelker“, auf die die Griechen an der Schwarzmeerküste trafen, an ihren eng anliegenden Hosen, den hohen Filzkappen und kriegerischen Umgangsformen als Ethnie erkennbar; im Katalog und den Ausstellungstexten spricht man vorsichtiger nicht mehr von „den“ Skythen, sondern lieber von „skythenzeitlichen Reiternomaden des eurasischen Steppengürtels“. Das ist ein weites Feld.

Die Ausstellung leistet mehr als bloße Schatzkammerpräsentation

Dass die vom DAI und dem Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen getragene Ausstellung diesen gewaltigen historischen und geografischen Bogen spannt, ist die eigentliche Sensation im Gropius-Bau. Zwar schwelgt schon das Ausstellungsplakat von „Im Zeichen des Goldenen Greifen – Königsgräber der Skythen“ in exquisitem antiken Goldschmuck. Doch geht es Parzinger und seinem Kuratorenteam um weit mehr als eine der üblichen Schatzkammerpräsentationen. Kontextualisierung ist das Zauberwort: Anhand teils neuester archäologischer Grabungsergebnisse, an denen neben Parzingers DAI-Eurasienabteilung die Russische Akademie der Wissenschaften maßgeblich beteiligt war, wird selbst für den flüchtigen Ausstellungsflaneur deutlich, wie die Skythen gelebt, gekämpft und ihre Toten bestattet haben – und zu welchen künstlerischen Leistungen sie fähig waren.

Erstmals gezeigt wird der Sensationsfund von Aržan 2 in Südsibirien, von Parzinger und seinem Team 2000 bis 2003 ergraben. Eigentlich wollten sie nur den komplizierten architektonischen Aufbau des durch Raubgrabungen bereits teilzerstörten Kurgans erkunden. Zufällig stießen sie neben den Überresten des mit ihrem Herrn Ende des 7. Jahrhunderts beigesetzten Gefolges einschließlich der Pferde auch auf die unzerstörten Grabkammern eines Fürsten und seiner Frau. Anders als üblich waren sie nicht geplündert worden, weil sie atypisch an der Peripherie unter der über 120 Meter breiten Aufschüttung lagen. Ihr nun in Berlin ausgebreiteter Goldschmuck, der anders als das Gold der Schwarzmeer-Skythen keine griechischen Formen zeigt, lässt ahnen, welchen Aufwand die Skythen zu Ehren ihrer vornehmen Toten trieben. Nur wie sie sich ihr Leben nach dem Tod vorgestellt haben, bleibt ihr Geheimnis.

Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. bis 1. Oktober, täglich 10-20 Uhr. Katalog (Prestel) 25 €, im Buchhandel 49,95 €.

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