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© Alex MacLean für die Akademie der Künste

Städtebau: Zukunft, verbaut

Raubbau an der Natur: Die Ausstellung "Wiederkehr der Landschaft" in der Akademie der Künste fordert ein radikales Umdenken in der Stadtplanung.

Der Wal ist tot. Über 20 Meter lang, geformt aus über drei Tonnen märkischem Sand, liegt der gestrandete Riese mit offenem Maul im Buchengarten der Berliner Akademie der Künste (AdK) am Hanseatenweg. Die Skulptur des argentinischen Künstlers Adrián Villa Rojas ist ein Symbol für die Zerstörung der Natur, für Schmerz, für Verlust. Und bringt so den Ansatzpunkt der neu eröffneten, interdisziplinären Ausstellung auf den Punkt.

„Wiederkehr der Landschaft“ heißt die 2000-Quadratmeter-Schau, die von einem umfangreichen Rahmenprogramm aus Kunst, Filmen, Diskussionen und Workshops begleitet wird. Zwei Jahre hat Kuratorin Donata Valentien, Direktorin der Sektion Baukunst, gemeinsam mit der Architektin Anna Viader Soler an dem Projekt gearbeitet. Das Ergebnis hat man sich buchstäblich auf die Fahnen geschrieben. Auf weiß-blauen Stoffbahnen flattern zwei Thesen. Erstens: „Die Stadt des 20. Jahrhunderts wurde gegen die Landschaft gebaut. Die ökologischen Folgen heißen Klimawandel, Wasserknappheit, Artenschwund.“ Zweitens die Forderung: „Die Stadt des 21. Jahrhunderts ist aus der Landschaft zu entwickeln. Nötig sind kreative und nachhaltige Lösungen – und eine emotionale Annäherung.“

Diese Thesen sind über 50 Jahre alt. Schon Werkbund-Mitglied Walter Rossow prangerte 1959 „die große Landvernichtung“ durch falschen Städtebau an und forderte: „Die Landschaft muss Gesetz werden.“ Genützt hat’s nichts. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt heute in Städten, erklärt Kuratorin Valentien. Von ihnen gehen 80 Prozent aller Umweltbelastungen aus. Doch auf welchem Weg erreicht man die Menschen so, dass sie ihr Verhalten ändern?

Die Ausstellung versucht es zunächst über den Geist. Im ersten Raum hängt ein Labyrinth aus Texttafeln auf Augenhöhe, Zitate aus der Literaturgeschichte, die klarmachen: Landschaft ist Kulturlandschaft. Wildnis und Paradies, Heimat und Wirtschaftszone: Realer und imaginierter Ort beeinflussen sich gegenseitig.

Verdeutlicht wird das im nächsten Raum am Beispiel von Venedig und Las Vegas, den beiden künstlichsten Städten der Welt. Die eine der Lagune abgerungen, die andere in die Wüste gebaut. Auf große Leinwände werden Fotos des Künstlers und Piloten Alex MacLean projiziert. Im Auftrag der AdK hat der 1947 geborene Amerikaner die beiden Städte aus der Luft fotografiert. Die Bilder zeigen monotone Einfamilienhaussiedlungen und Golfplätze in Las Vegas, Autobahnen und Gewächshäuser im Umland von Venedig. Ein Umdenken ist gefordert – das machen die Schauwände klar, die Geschichte und Gegenwart der Städte dokumentieren. Las Vegas trocknet aus, Venedig droht abzusaufen. Die Ideologie des Wachstums taugt nicht mehr, so die These, klein und bescheiden auf eines der vielen Textfelder geschrieben. Statt mit immer neuen technischen Lösungen Symptome zu bekämpfen, sollte man die Ursache der Probleme anpacken – und die Landnutzung ändern.

Wie das gehen könnte, zeigt der letzte Ausstellungsraum, in dem innovative Projekte für nachhaltigen Städte- und Landschaftsbau präsentiert werden. Ein „grüner Hafen“ in Istrien, eine renaturierte Mülldeponie in Barcelona, ein Unicampus in Shenyang, China. So faszinierend die Ideen sind, so anspruchsvoll sind sie aufbereitet. Architektur-Laien werden in diesem Raum etwas Zeit brauchen.

Das „Akademiegespräch“ am Samstagabend mit Präsident Klaus Staeck, Alex MacLean und dem chinesischen Starkünstler Ai Weiwei hat der Ausstellung kaum etwas hinzuzufügen. Staeck zeigt seine Plakatkunst aus den siebziger und achtziger Jahren: Atomkraft, Ozonloch – alles noch aktuell. Am Beispiel des kritischen Künstlers Ai wurde vor allem deutlich, wie anders die Verhältnisse in China sind. In seinem Land, sagt Ai, gebe es keine Demokratie, kein Interesse an Wissenschaft, keine unabhängige Justiz, keine Pressefreiheit. Nach einem Polizeiangriff 2009 musste der 53-Jährige am Gehirn notoperiert werden.

Klaus Staeck wurde lediglich verklagt – nach eigenen Angaben mehr als 30 Mal. Die Rahmenbedigungen für Kunst seien also „paradiesisch“, so der Präsident. Trotzdem: Was könne eine Institution wie die AdK leisten? „Der politische Beratungsauftrag steht in unserer Satzung“ – nur brauche es eben auch diejenigen, die sich beraten lassen wollen. Applaus im Saal. Doch kommt es nicht immer auch darauf an, wie eine Botschaft transportiert wird? Das Wort „Intervention“ fällt oft an diesem Abend. Da wundert es, dass die AdK mit ihren - relevanten und aktuellen! - Themen und Thesen so wenig im öffentlichen Raum präsent ist. Früher hat Staeck seine Plakate an Litfasssäulen und Baugerüste gehängt. Heute liegt der tote Wal versteckt im Innenhof der Akademie. Müsste er nicht auf dem Alexanderplatz, vor dem Roten Rathaus, vor dem Bundestag liegen?

Ausstellung bis 30. Mai, Akademie der Künste, Hanseatenweg 10 (Tiergarten), Di–So, 11–20 Uhr. Mehr Informationen zum Programm unter diesem Link.

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