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Karin Dreijer alias Fever Ray spielt mit Genderrollen und Alter Egos.

© IMAGO/aal.photo/Essene Hernandez

Berlin-Konzert von Fever Ray: Die Zukunft klingt metallisch-blau

In den Auftritten des nichtbinären Gesamtkunstwerks Fever Ray verschwimmen Pop und Kunst. Die zwei Konzerte im Berliner Theater des Westens könnten auch aus einer anderen Dimension stammen.

Von Andreas Busche

Es kann nie schaden, ein Gespräch – und sei es einen inneren Monolog – mit einer Entschuldigung zu beginnen. Einsicht in die eigenen Grenzen, die persönlichen Unzulänglichkeiten, Fehler der Vergangenheit. „First I’d like to say that I’m sorry / I’ve done all the tricks that I can“, mit diesen Zeilen beginnt das dritte Soloalbum „Radical Romantics“ von Fever Ray.

„What They Call Us“ ist kein Song im strengen Sinne. Es gibt zwar einen Refrain („Did you hear what they call us?“), aber die Synthiewolken wabern amorph, die Melodie schwebt atmosphärisch im Hintergrund, ein einziger musikalischer Stream-of-Consciousness.

Mit dieser Entschuldigung beginnt am Mittwochabend auch das erste von zwei Berlin-Konzerten von Fever Ray im Theater des Westens. Die Worte klingen hinein in eine erhabene, erwartungsvolle Stille, aus der Karin Elisabeth Dreijer in einem dieser inzwischen aus zahlreichen Videos ikonischen Kostümen in den Vordergrund der Bühne tritt. Weißer Anzug, blasses Gespenster-Make-up, die kurzen Haare zu Teufelshörnern gegelt: Dreijer hat sich von der Idee einer Künstlerpersona schon als Mitglied von The Knife, der schwedischen Electropop-Band mit Bruder Olof, veranschiedet.

Als Fever Ray hat die Künstler:in gleich mehrere Alter Egos geschaffen, die Gendergrenzen und Rollenbilder transzendieren. Seit dem zweiten Album „Plunge“ von 2017 identifiziert sich Dreijer als nicht-binär.  

Akustische Kathedrale aus Stimme und Musik

Und so wie Dreijer mit den Mitstreiterinnen zu Beginn des Konzerts aus dem metallisch-blauen Bühnennebel heraustritt, umgibt auch die Konzerte von Fever Ray ein Geheimnis, das sich der Entschlüsselung entzieht. Dreijers Worte werden von schweren Industrial-Beats akzentuiert, Stimme und Musik schichten sich zu einer akustischen Kathedrale auf der weitläufigen Theaterbühne, die wie gemacht zu sein scheint für das Kunstprojekt Fever Ray.

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Denn erst live werden Sound und Visuals von Fever Ray in ein richtiges Verhältnis gesetzt. Auf der Bühne steht eine alte Straßenlaterne, im ersten Moment denkt man an eine Requisite aus der aktuellen „Kudamm 56“-Produktion. Doch sie gehört tatsächlich zum Inventar der aktuellen „There’s No Place I’d Rather Be“-Tour. Sie leuchtet nur schwach, das Licht aber, das später in Hunderten von Strahlen aus allen Ritzen der Bühne zu streben scheint, ist ein außerweltliches. Als würde sich das Tor zu einer anderen Dimension auftun.

Fever-Ray-Shows haben eher Performance-Charakter als eine Konzert-Atmosphäre, aus jedem Song spricht eine andere Persönlichkeit. Dreijer tritt in den gut 75 Minuten nie aus dem Charakter hervor, der eigenwillige Humor der Songs zeigt sich allenfalls in den Tanzverrenkungen am Bühnenrand. Folgerichtig also, dass die aktuelle Tour, ein Jahr nach Veröffentlichung von „Radical Romantics“, kein Album bewirbt, sondern als Immersionsangebot in eines der faszinierendsten Popwerke der Gegenwart zu verstehen ist.

Als würde sich ein Zyklus schließen – „Eras“ heißt das heute im Jargon einer anderen großen zeitgenössischen Künstlerin, die ihre Persönlichkeit zu Marke gemacht hat –, fließen die Songs des selbstbetitelten Debüts, von „Plunge“ sowie dem neuen Album ineinander, sie kommunizieren miteinander.

Zum Beispiel die Kombination aus „To the Moon and Back“, einer hedonistischen Clubnummer von „Plunge“, die sich langsam in die ekstatischen Höhen einer EDM-Hymne hochschraubt, gefolgt vom body-positiven Dreampop „Shiver“, einem der Highlights des aktuellen Albums. Zwei Songs, die musikalisch und emotional kaum weiter auseinanderliegen könnten, schlagen live als Doppel einen logischen Bogen im Œuvre von Fever Ray.

Das „Wir“, mit dem Dreijer in den Songs musikalisch Zwiesprache führt, dockt immer wieder an ein neue Subjekte an, ohne dass von der Bühne plakative Verlautbarungen zu hören sind. Die Kunst von Fever Ray erschließt sich aus ihren schillernden Nuancen heraus; sie bleibt darin keine Behauptung, sondern wird manifest. Das ist so befremdlich wie auf eine kaum zu greifende Weise überwältigend. Eine Botschaft aus der Zukunft der Popmusik.

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