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Die Berliner Musikerin Christin Nichols beim Konzert im Frannz Club. Fotos: Nadine Lange

© Nadine Lange

Christin Nichols im Frannz Club: Rettung ist nah

Rockiger als auf Platte, aber genauso mitreißend: Die Berliner Musikerin Christin Nichols stellte mit Band ihr zweites Album live vor.

Mentale Gesundheit ist mittlerweile ein gut etabliertes Thema in Popsongs. Dass ein Antidepressivum besungen wird, ist allerdings eher selten. Christin Nichols füllte diese Lücke im vergangenen Sommer mit der Single „Citalopram“ und dürfte damit die Bekanntheit des Mittels beträchtlich gesteigert haben. Bei ihrem Konzert im knallvollen Berliner Frannz Club gibt sie den Refrainbeginn jedenfalls direkt mal ans Publikum ab, das inbrünstig den Markennamen singt.

In den Zeilen „Citalopram du kleiner Schatz/ In der Therapie ist immer noch kein Platz“ bringt Nichols ihre typische Mischung aus bitterer Wahrheit und witziger Widerständigkeit auf den Punkt. Auch ihr gerade erschienenes zweites Album „Rette sich, wer kann!“ ist davon geprägt und so beginnt sie ihr 90-minütiges Set mit „Totgelacht“, in dem sie zu einer Four-to-the-Floor-Bassdrum von einem Typen erzählt, der sich für cool hält, aber einfach nur nicht freundlich ist, dafür jedoch jeden Indie-Song von 1997 kennt.

Citalopram du kleiner Schatz/ In der Therapie ist immer noch kein Platz.

Christin Nichols im Song „Citalopram“

Nichols legt vom ersten Takt an mit voller Show-Power los, springt herum, klatscht, wirft sich in Pose. Die Lederjacke, die sie zu roten Cowboystiefeletten und Minikleid mit Leoparden-Print trägt, zieht sie schon nach einem Song wieder aus – zu heiß. Ihre vierköpfige Band sorgt für einen knackigen Sound, der vor allem zu Beginn deutlich rockiger ist als ihre Alben. Das fantastische „Sieben Euro vier“ vom Debütalbum „I’m Fine“ gerät durch den dreifachen E-Gitarren-Einsatz allerdings etwas zu lärmig und undifferenziert.

Die Berliner Musikerin Christin Nichols beim Auftritt im Frannz Club.

© Nadine Lange

Als Bassistin Sinem Kılıç an den kleinen Synthie wechselt wird das Klangbild etwas transparenter, Nichols’ New Wave- und Post Punk-Einflüsse wahrnehmbarer, wenn auch nicht so stark wie auf den Platten. Einen schönen „Siouxsie and the Banshees“-Vibe hat der englische Refrain von „Neon“, dessen Strophen Nichols auf Deutsch singt. Dieser Sprachmix ist charakteristisch für die in Berlin lebende deutsch-britische Musikerin, die zudem als Schauspielerin arbeitet und gerade in der „Tartuff“-Inszenierung des Renaissance-Theaters zu sehen war.

Als Millennial von der Gen Z überholt

Auf dem neuen Album zeigt sich die 38-Jährige wieder als präzise Beobachterin ihrer Generation, die unter anderem damit zu kämpfen hat, dass die Gen Z von hinten nachdrängt. In „Kein Anschluss“ skizziert sie zu einer halligen New Order-Gitarre die eigene Social-Media-Überforderung, während sich ein 20-jähriger Influencer dank seiner millionenstarken Followerschaft eine Yacht leisten kann. Vor dem Song fordert Christin Nichols das Publikum auf, die Handys rauszuholen und Videos für TikTok und Co. aufzunehmen, freut sich anschließend aber, dass nur zwei, drei Leute ihre gefilmt haben – die Fans im Saal sind eher Gen X und Y und offenbar noch an Live-Erlebnissen ohne Bildschirmbeteiligung interessiert. Im vorderen Drittel wird auch immer mal wieder getanzt, da stören hochgehaltene Telefone ohnehin nur.

Mit Gast-Rapper Fatoni gegen die Angst ansingen

„Eine kleine Weltpremiere“ kündigt Christin Nichols am Ende des Hauptsets an: Für den Titelsong von „Rette sich, wer kann!“ kommt der Münchner Gast-Rapper Fatoni – die beiden sind seit Schauspielschul-Tagen befreundet – auf die Bühne und sprechsingt mit ihr zum treibenden Achtel-Bass gegen die Angst und nervige Welterklärer an. Feine Fatoni-Zeile: „Ne, ich denk’ nicht, ich hab immer recht/ Seh’ ich aus wie Richard David Precht?“

Mit dem feministischen Doppelschlag bestehend aus „Bodycount“ und „Violence“ geht die Band in die Zugaben. Es sind zwei der besten Songs gegen Sexismus, die die deutsche Popszene in jüngster Zeit hervorgebracht hat. Und Christin Nichols knallt sie bei ihrem Heimspiel im Frannz so energisch auf die Bretter, dass sie noch lange durch den Kopf hallen in dieser Frühlingsnacht.

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