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© Illustration: Moki

Anthologie: Im Bann der Endlosschleife

Das Magazin „Orang“ bietet eine Leistungsschau des anspruchsvollen neuen deutschen Comics

Es gibt aus Berliner Sicht eigentlich nur zwei Gründe, auf Hamburg neidisch zu sein: Die Nähe zum Meer und "Orang". Das mit der Meeresferne könnte sich angesichts der drohenden globalen Erwärmung auf mittlere Sicht allerdings für Berlin eher als Segen erweisen. Bleibt "Orang".

Die Hamburger Comic-Anthologie - kürzlich auf dem Münchener Comicfestival mit dem ICOM Independent Comic Preis ausgezeichnet - zeigt in ihrer gerade erschienenen achten Ausgabe ein weiteres Mal, wieso Hamburg zu Recht als Hochburg des anspruchsvollen Autorencomics gilt.

Neben Arbeiten der mittlerweile weit über Hamburg hinaus bekannten "Orang"-Stammbesetzung Sascha Hommer, Line Hoven, Verena Braun und Arne Bellstorf (Tagesspiegel-Lesern durch seine Sonntagsstrips bekannt) gibt es gut eine Handvoll weiterer, weniger etablierter Zeichner (wieder-) zu entdecken, die mit ihren Beiträgen zum Heftthema „Unendliche Geschichten“ fast durchweg den hohen künstlerischen und erzählerischen Anspruch einlösen, der das wie ein Buch daherkommende Magazin auszeichnet.

Einer der Höhepunkte des Heftes ist allerdings die Arbeit einer alten Bekannten, die in den vergangenen Jahren vor allem wegen ihrer autobiographischen Familienerzählung „Liebe schaut weg“, aber auch wegen früherer "Orang"-Veröffentlichungen mehrmals mit höchstem Lob bedacht wurde: Line Hovens Kurzgeschichte „Forever Yours“ ist ein weiteres in Schabekarton gekratztes Meisterwerk, mit dem die Zeichnerin zeigt, dass „Liebe schaut weg“ nur der Auftakt zu einer vielversprechenden Laufbahn als ebenso begnadete Zeichnerin wie Erzählerin war.

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Unsichtbare Verbindung. Szene aus Line Hovens "Forever Yours".

© Illustration: Line Hoven

In „Forever Young“ erzählt Hoven in klaren, eindringlichen Bildern die bewegende Geschichte einer jungen Frau und eines älteren Mannes, deren Wege sich drei Mal auf unglaubliche Weise kreuzen. So entsteht – nur für den Leser sichtbar – eine geheimnisvolle Verbindung zwischen den beiden Lebensgeschichten, die sich wie eine Möbius’sche Endlosschleife – welche in der Geschichte eine wichtige Nebenrolle spielt – umeinander winden.

Auch die anderen Werke alter "Orang"-Bekannter bieten Augenfreude mit Tiefgang: Die Hamburger Zeichnerin Moki – deren fantastische Illustrationen zuvor unter anderem im Buch „Asleep in a Foreign Place“ erschienen sind – steuert eine vierseitige Traumsequenz bei, die man je nach Perspektive als Anspielung auf die Entstehung der Arten, die Schöpfungsgeschichte oder als Metapher für den Kreislauf des Lebens lesen kann und in der ein haariges Fabelwesen ein mysteriöses Ende nimmt – oder ist es ein Anfang? Rätselhaft und wunderbar anzuschauen.

Sascha Hommer – der weiteren Comicleserschaft unter anderem durch das Buch „Insekt“ und den in der Frankfurter Rundschau erscheinenden Strip „Im Museum“ bekannt – erkundet in vier Raumfahrer-Episoden die absurderen Seiten des ebenfalls mit der Unendlichkeit konfrontierten Pilotendaseins, wobei seine an Spielzeugfiguren erinnernden Charaktere auch hier die beunruhigende Mischung aus niedlich und latent bedrohlich verkörpern, wie sie „Insekt“ auszeichnet.

Gastauftritte von außerhalb Hamburgs haben diesmal unter anderem die die koreanische Zeichnerin Ancco mit einer etwas sehr dialoglastigen Momentaufnahme aus dem endlos scheinenden Alltag einiger junger Frauen und Shintaro Kago aus Tokio mit einer großartigen Fantasie über einen Rubik’s-Cube-Zauberwürfel, die spielerische Verwandlungselemente à la „Transformers“ ruckzuck in einen surrealistischen Alptraum verwandelt.

Die stilistische Bandbreite der insgesamt zwölf Beiträge ist enorm: Zur oben genannten Vielfalt bilden die einfach wirkenden, aber eine ungeahnte hypnotische Kraft entwickelnden Bleistiftzeichnungen von Nadine Gerber („Transport“) einen perfekten Kontrapunkt; es gibt doppelbödige, auf den ersten Blick wie Kinderbuchillustrationen daherkommende Sequenzen wie die Science-Fiction-Persiflage „Planet“ von Anouk Ricard zu entdecken.

Und Klaas Neumanns in Quartetten auftretende Figurengruppen sind so angeordnet, dass man die Seiten drehen und wenden und die Bildgeschichte in jeder Richtung endlos weiterlesen kann – eine gelungene Anspielung nicht nur auf das Motto dieses Buches, sondern auch auf die Tatsache, dass man den Sammelband nach dem Eintauchen in die "Orang"-Welt gar nicht mehr aus der Hand legen möchte.

Sascha Hommer (Herausgeber): "Orang" #8, 15 Euro, 120 Seiten, mit Beiträgen von Ancco, Verena Braun, Yan Cong, Nadine Gerber, Line Hoven, Sascha Hommer, Shintaro Kago, Marijpol, Moki, Klaas Neumann, Anouk Ricard und Till Thomas – Umschlagillustration und Layout von Arne Bellstorf. Reprodukt-Verlag.

Die rundum erneuerte Orang-Website findet man über die alte Startseite www.orang-magazin.net, unten auf den Button "Weiter zur Website" klicken. 

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