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© Nadia Hafid („El buen padre“)

Bunter, weiblicher, vielfältiger: Comic-Land Spanien? ¡Claro que sí!

Spanien ist in diesem Jahr Ehrengast der Frankfurter Buchmesse. Die dortige Comicszene hat so viel zu bieten wie nie zuvor – und ab 2023 einen nationalen Comictag.

Von André Höchemer

Wer an Comics aus Spanien denkt, dem Ehrengast der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, hat vielleicht erst einmal die Abenteuer der Chaosagenten „Clever & Smart“ vor Augen, die hierzulande seit nunmehr 50 Jahren erscheinen und im Original eigentlich „Mortadelo & Filemón“ heißen. Ihr Schöpfer Francisco Ibáñez erfand die Reihe bereits 1958 und wirkt bis heute aktiv daran mit.

Möglicherweise kommen der einen oder dem anderen noch weitere seiner Comicreihen in den Sinn: „Die Trixer“, „Tom Tiger“ und „Ausgeflippt“ fand - und findet - man nämlich auch in Deutschland. Kaum bekannt dürfte dagegen sein, dass seit Ende der 1960er-Jahre unzählige spanische Comiczeichner:innen auch an beliebten, eigentlich urdeutschen Bildergeschichten beteiligt waren. „Fix und Foxi“, „Felix“, „Gespenster Geschichten“, „Bussi Bär“, „Yps“ und „Knax“ sind nur einige wenige Beispiele mit Panels aus spanischer Feder.

Zudem haben spanische Comicautor:innen die deutschsprachige Leserschaft auch mit eigenen Werken erobert, vor allem seit den 1980er-Jahren, darunter Juan López Fernández alias Jan („Supermeier“), Ana Miralles („Djinn“) und Rubén Pellejero („Dieter Lumpen“). Besonders renommiert ist Francesc Capdevila, besser bekannt als „Max“, der seit den 1970er-Jahren zeichnet und doch aus der aktuellen Comicszene nicht wegzudenken ist.

Comicautorinnen sind auf dem Vormarsch

Max und andere Comicautoren wie Miguelanxo Prado („Ardalén“), Antonio Altarriba („Ich, der Mörder“), Joaquim Puigarnau Aubert alias Kim („Die Kunst zu fliegen“), Miguel Gallardo („Maria und ich“) und Paco Roca („Kopf in den Wolken“) haben in den ersten beiden Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts viele Preise in ihrer Heimat und anderen Ländern erhalten und sich auch in Deutschland einen Namen gemacht. Manche spanische Comicautor:innen erreichen die deutsche Leserschaft allerdings über Umwege: als Zeichner von frankobelgischen Werken, als Freelancer für Marvel, DC oder Disney oder als Mangaka.

Diese Comics wurden kürzlich aus dem Spanischen ins Deutsche übertragen. Mehr dazu und zu anderen Neuerscheinungen am Schluss dieses Artikels.

© Carlsen, Reprodukt, bahoe, Cross Cult, Schreiber & Leser

Besonders bemerkenswert in jüngster Zeit: Die spanischen Comicautorinnen sind - endlich - auf dem Vormarsch. Eigentlich gab es schon immer Künstlerinnen in der Branche, aber noch Anfang dieses Jahrtausends waren sie in der Unterzahl. Nicht nur in Spanien galten Comics vor wenigen Jahren als Männerdomäne, bekannt für exotische Abenteuer und solide Zeichnungen. Wobei „solide“ angesichts der vielen Ausnahmetalente und diversen Zeichenstile ungewollt negativ klingt. Guillem March, Roger Ibáñez und Alfonso Zapico, Pep Domingo alias Nadar, Álvaro Ortiz und andere zählen zu einer jüngeren Generation ebenso begabter wie ideenreicher Comicautoren.

Und doch sind es ihren weiblichen Kolleginnen, die in den vergangenen Jahren mit ihren Werken international Aufmerksamkeit erregen: Núria Tamarit, Ana Penyas, Genie Espinosa, Nadia Hafid und Laura Pérez sind herausragende Namen der spanischen Comicszene mit immer mehr Frauenpower. Sie illustrieren internationale Magazine, räumen Preise ab und überraschen mit Experimentierfreude: Ob Tamarits farbenfrohe Märchen („Vom Wacholderbaum“), Penyas Sozialkritik im Collagenstil („Sonnenseiten“) oder Hafids markanter Minimalismus („Chacales“) - ihre Werke könnten nicht unterschiedlicher sein.

Mit der Gründung des Verbands Colectivo de Autoras de Cómic im Jahr 2013 verfolgen die Autorinnen das Ziel, den Comicmarkt egalitär zu gestalten und zugleich ihre Vorreiterinnen aus dem Vergessen zu holen, um sie gebührend zu würdigen. Sie nutzen mit ausufernder Kreativität Fanzines, Webcomics, soziale Netzwerke und Selfpublishing für Projekte, die neben der Fachkritik auch die Absatzmärkte erobern.

Viel Neues zur Frankfurter Buchmesse

Feminismus und Diversität haben in den vergangenen zehn Jahren die spanische Comiclandschaft revolutioniert und eine beispiellose Vielfalt an Themen, Formaten und Zeichenstilen hervorgebracht. Das spiegelt sich unter anderem in der lebendigen Fanzine-Szene, Festivals und Kongressen, Comics als Lehrmittel im Unterricht, Comic-Ausstellungen in bekannten Museen, Verfilmungen für Kino und Streaming-Plattformen, selbstbewussten Fachverbänden und der unermüdlichen Arbeit von Publizist:innen mit ebenfalls eigenem Verband (ACDComic). Oder ist es umgekehrt, und alle diese Elemente haben die spanische Comicszene erst neu belebt?

Die Reihenfolge ist eigentlich egal, denn eins steht fest: Spanische Comics und ihre Autor:innen sind heute bunter und vielfältiger denn je und finden zunehmend Beachtung im In- und Ausland. Auch zählen sie oft zu den Finalisten oder Preisträgern auf den großen Festivals in Angoulême, Lucca, Erlangen/München oder San Diego. Ob Manga, Fanzine, Comic, Graphic Novel, Fotocomic oder Webcomic, sie experimentieren erfolgreich mit verschiedensten Medien, Zeichenstilen und Ausdrucksformen, um kreative Grenzen zu sprengen.

Geht nicht? ¡Claro que sí! - Selbstverständlich! In den sozialen Netzwerken kann man sich leicht davon überzeugen, denn viele Künstler:innen lassen sich gerne bei ihrer Arbeit von der Idee bis zum Endergebnis über die virtuelle Schulter schauen. Wer sich also für spanische Comics und Illustrationen interessiert, sollte mal mit Hashtags wie #tebeo, #novelagráfica, #ilustración und natürlich #cómic und #comicespañol im Netz auf die Suche gehen.

Das Titelbild der Broschüre „Comic mit Akzent“. Sie wurde von André Höchemer und anderen zur Frankfurter Buchmesse erarbeitet.

© Acción Cultural Española

Und wer nicht suchen will, wird trotzdem fündig: Pünktlich zur diesjährigen Frankfurter Buchmesse (19.-23. 10.), an der Spanien unter dem Motto „Sprühende Kreativität“ teilnimmt, erscheint eine vom Autor dieses Artikels mit herausgegebene Publikation namens „Comic mit Akzent“, die genau diese große Bandbreite des spanischen Comics spiegelt und anhand von Comicstrips und Artikeln etablierte Autor:innen, aber auch vielversprechende Newcomer:innen und aktuelle Trends der Branche vorstellt. Hier kann die Veröffentlichung auf Deutsch, Spanisch und Englisch heruntergeladen werden. Wer drei dieser spanischen Comic-Macher:innen persönlich kennen lernen möchte, ist herzlich zur Gesprächsrunde „Comic mit Akzent“ am 23. Oktober auf der Buchmesse eingeladen.

Um die Bedeutung der neunten Kunst in Spanien zu verdeutlichen, hat das Kulturministerium, das schon seit 2007 den Nationalen Comicpreis vergibt, auf Initiative des Interessenverbands Sectorial del Cómic jüngst beschlossen, ab 2023 den 17. März zum „Día del Cómic y del Tebeo“ zu erklären. Día del Cómic ist klar, aber Tebeo ...? Dieser Begriff bezeichnet traditionell ein Comicheft und leitet sich von „TBO“ ab, einem in Spanien sehr bekannten Comicmagazin für Kinder, das zwischen 1917 und 1998 erschien und viele Generationen bis heute geprägt hat.

In diesem Sinne will soll der künftige „Tag des Comics und des Comichefts“, so das Kulturministerium, „den Wert von Comics und Comicheften, das Gewicht ihrer Geschichte und ihre Bedeutung im aktuellen Kontext, ihre Vielfalt, Kreativität und Qualität anerkennen. Diese Entscheidung zielt darauf ab, eine wirksame Unterstützung für den Sektor zu zeigen, die Rolle der Fachleute im sozialen und kulturellen Leben anzuerkennen und neue Leser zu gewinnen“. Im Zuge des Booms des spanischen Comics könnte diese Initiative von offizieller Seite Erfolg haben und noch viel „Sprühende Kreativität“ aus Spanien verheißen.

Unser Autor lebt seit mehr als 20 Jahren in Spanien und arbeitet dort als Übersetzer. Er hat zahlreiche der im Artikel genannten Comics ins Deutsche übertragen. Hier eine von ihm zusammengestellte Liste aktueller spanischer Comics, die kürzlich auf Deutsch übersetzt wurden:

© Zusammenstellung: André Höchemer

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