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© Pöhlein, Comicsalon/Promo

Comic-Biografie Martin Luther Kings: Freiheitskampf in Schwarz-Weiß

In diesem Jahr jährte sich das Attentat auf den schwarzen US-Bürgerrechtler Martin Luther King zum 40. Mal. Die Umstände wurden nie ganz aufgeklärt. Ho Che Anderson hat Kings Leben nachgezeichnet - in einem Comic.

Der Wetterbericht hatte vor einem Tornado gewarnt. Ein kalter Wind fegt durch die Straßen von Memphis. Als Martin Luther King auf den Balkon seines Hotels tritt, erfasst ihn das Zielfernrohr eines Gewehrs. Dann färbt sich alles rot.

40 Jahre ist es her, dass Martin Luther King unter nie ganz geklärten Umständen von einem weißen Rassisten erschossen wurde. 40 Jahre, in denen der schon zu Lebzeiten zur Symbolfigur erhobene schwarze US-Bürgerrechtler vollends zum Mythos wurde. Er ist verewigt in Geschichtsbüchern und durch einen nach ihm benannten Feiertag in den USA. Seine prophetische Rede beim Marsch auf Washington 1963, in der der Prediger von seinem Traum einer Gesellschaft ohne Rassendiskriminierung sprach, gilt bis heute als eine der wichtigsten Reden der amerikanischen Geschichte.

So einem Monument mit einem Buch gerecht werden zu wollen, einem Comic zumal, erfordert Respekt und eine gehörige Portion Selbstvertrauen. Beides hat der schwarze Autor Ho Che Anderson in großer Menge. Seine Biografie „Martin Luther King“, die jetzt auf Deutsch erschienen ist, ist ein provokatives, beeindruckendes Werk. Zugleich ist es ein gewagtes Unterfangen voller Bruchstellen, das den Leser herausfordert und gelegentlich ratlos zurücklässt. Das liegt unter anderem daran, dass der 1969 geborene und im kanadischen Toronto lebende Anderson es ablehnt, sich einer der vorherrschenden Meinungen über King anzuschließen. Er will seine Hauptfigur weder glorifizieren noch verurteilen, sondern als komplexe Persönlichkeit in einer Epoche voller Widersprüche beschreiben. Das schlägt sich in einer stilistischen und erzählerischen Ambivalenz nieder, die auch dem Umstand geschuldet ist, dass Anderson zehn Jahre an dem Projekt schrieb und zeichnete. Erst während der Arbeit fand er einen Stil, mit dem er zufrieden war, erzählt Anderson beim Gespräch in seiner Stammkneipe im Torontoer Stadtteil Parkdale, einem heruntergekommenen Einwandererviertel, in dem nach und nach schicke Galerien und Geschäfte Einzug halten.

Der Autor, der als Jugendlicher die Schule vorzeitig abbrach und als Autodidakt zum Schreiben und Zeichnen kam, macht keinen Hehl daraus, dass er zu Beginn des Projektes alles andere als ein Anhänger von King und seiner Strategie des gewaltlosen Kampfes war. Stattdessen verehrte der junge Ho Che – von seinem politisch links stehenden Vater nach Ho Chi Minh und Che Guevara benannt – in seiner Jugend den militanten Schwarzenführer Malcolm X, einen Gegenspieler Kings im Kampf gegen die Unterdrückung der schwarzen US-Bevölkerung. Zugleich entwickelte Anderson während der Arbeit an seiner Comic-Biografie große Begeisterung für Kings kompromisslose Ablehnung von Gewalt. So ist sein Buch neben einer ungewöhnlichen Annäherung an eine zentrale Figur der US-Geschichte auch eine Reflexion darüber geworden, welches der richtige Weg zu Freiheit und Gleichberechtigung ist.

Die Ruhelosigkeit, die Kings kurzes Leben vor allem gegen Ende prägte, findet ihren Ausdruck in Andersons oft unruhig und gehetzt wirkendem Erzähl- und Zeichenstil. Als könnte eine Form allein der widersprüchlichen Vielschichtigkeit von Kings Charakter und der Ereignisse um ihn herum nicht gerecht werden, wechselt der Autor mehrfach Formen und Erzählstruktur. Den Aufstieg des schwarzen Theologiestudenten zum charismatischen Prediger gegen die Rassentrennung reflektiert er in kantigen Schwarz-WeißBildern. Detailliertere Zeichnungen, teils durch Fotocollagen ergänzt, sowie zunehmend farbige Tusche- und Acrylbilder beschreiben spätere Schlüsselereignisse. King wird dabei von Anderson keinesfalls als makelloses Idol inszeniert, sondern als von sich selbst eingenommener Frauenheld, der ein großes Ego und ein großes Redetalent mit einem großen Ziel zu verbinden weiß.

Diese Annäherung an King wirkt angesichts der aktuellen Erfolge von Barack Obama im US-Wahlkampf bemerkenswert aktuell. Was es für die politische Kultur der USA bedeutet, dass möglicherweise bald ein Schwarzer ins Weiße Haus einzieht – dieses Buch vermittelt ein Gefühl dafür. „Wenn wir beide vor 40 Jahren in einer Bar in den Südstaaten zusammengesessen hätten, hätten sie dich als Nigger-Lover beschimpft – und ich hätte einen Strick um den Hals“, sagt Anderson. Dass Obamas Aufstieg den endgültigen Abschied vom amerikanischen Rassismus der King-Jahre bedeutet, glaubt er allerdings nicht. „Niemand lässt Obama auch nur eine Minute lang vergessen, dass er schwarz ist“, sagt Anderson. Das größte Problem der Schwarzen sei inzwischen jedoch nicht mehr der weiße Rassismus, findet der Autor. Sondern die bei Teilen der schwarzen Bevölkerung Nordamerikas verbreitete Einstellung, dass Erfolg, Leistung oder eine gute Schulbildung „weiße Werte“ und deswegen nicht erstrebenswert seien: „Wir Schwarzen sind heute unser größter Feind.“

Ho Che Anderson: Martin Luther King, Carlsen-Verlag, 230 Seiten, 29,90 Euro

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