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Und wenn die Polizei böse ist? Eine Episode aus dem Strip „What a World“ von Au Wah Yan.

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Comicszene Hongkong: Monster, Mythen, Menschenrechte

Angesichts des wachsenden Drucks aus China nutzen viele Comiczeichner in Hongkong ihre Kunst für politische Botschaften. Ein Reisebericht

Immer wieder der Regenschirm. Er findet sich am Anfang der apokalyptischen Monstergeschichte „Hong Kong Infected“ des Zeichners Sam Tse, in der gefräßige Albtraumwesen die Sieben-Millionen-Metropole terrorisieren. Er taucht in dem Comicstrip „What a World“ auf, mit dem die Zeichnerin Au Wah Yan in der Zeitschrift „Ming Pao Weekly“ alle zwei Wochen soziale und politische Entwicklungen in der einstigen britischen Kolonie kommentiert. Und er spielt eine Rolle in der Erzählung „Travel to Hong Kong with Blur“, in der der Zeichner Kongkee einen Asien-Besuch der britischen Band als Ausgangspunkt einer surrealistischen Actiongeschichte mit politischen Untertönen wählt.

„Ich haben meinen Comicstrip gestartet, um ein Ventil zu haben“

In Hongkong versteht das Symbol jeder Leser sofort: Der Regenschirm steht für das „Umbrella Movement“, die Demokratiebewegung, die aus den Bürgerrechtsprotesten des Jahres 2014 hervorgegangen ist. Zehntausende gingen damals auf die Straße, um ihren Unmut über die wachsende chinesische Einflussnahme auf die Sonderverwaltungszone auszudrücken, die seit 20 Jahren wieder zur Volksrepublik gehört. Ihr Hauptanliegen war es, für freie Wahlen zu demonstrieren. Die hatte die chinesische Regierung zuvor erneut verweigert. Die Polizei ging brutal gegen die Protestierer vor. Der Regenschirm – in Hongkong mit seinem feuchten, subtropischen Klima ein täglicher Begleiter – diente vielen Demonstranten als Schutz gegen das großflächig eingesetzte Tränengas.

„Ich bin damals auch auf der Straße gewesen und habe kurz danach meinen Comicstrip gestartet, um ein Ventil zu haben“, erzählt Au Wah Yan. Die Zeichnerin war kürzlich unter den Besuchern einer Ausstellung mit deutschen Comics, die derzeit unter anderem im Hongkonger Goethe-Institut gezeigt wird. Au Wah Yan verdient ihren Lebensunterhalt als Kunstlehrerin, wie sie beim Gespräch im Hong Kong Arts Centre erzählt, einem gemeinnützigen Kunstzentrum in der Innenstadt, in dem auch das Goethe-Institut sitzt. In ihrem Strip „What a World“ lässt Au Wah Yan eine Gruppe von Kindern die oft befremdliche Welt der Erwachsenen kommentieren. Das erinnert zeichnerisch an US-Strips wie die „Peanuts“, wie auch das Vier-Panel-Format eher Assoziationen an westliche Comics als an japanische Manga weckt, die in Hongkong seit Jahrzehnten den Großteil des Comic-Massenmarkts ausmachen.

Meinungsfreiheit? „Ja – aber wer weiß, wie lange noch.“

Hinter der vermeintlichen Naivität der Hauptfiguren von „What a World“ steckt eine große Portion sarkastischer Humor. So wenn ein Kind einen Polizisten fragt, ob es stimme, dass die Polizei die bösen Menschen fange. Das habe ihr Großvater ihr gesagt – „Großvater“ ist hier eine Metapher für die allmächtige Volksrepublik China. Die Antwort des Ordnungshüters: Natürlich, wenn du dich ordentlich benimmst, brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Worauf sie mit ihrer Gegenfrage den Polizisten sprachlos macht: Und wenn die Polizei böse ist?

Kräftemessen. Au Wah Yan kritisiert in ihrem Comicstrip „What a World“ unter anderem das rigide Vorgehen der Hongkonger Sicherheitskräfte.
Kräftemessen. Au Wah Yan kritisiert in ihrem Comicstrip „What a World“ unter anderem das rigide Vorgehen der Hongkonger Sicherheitskräfte.

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„Damals schlugen Polizisten auf Demonstranten ein, ohne dass es irgendwelche Konsequenzen hatte“, erzählt Au Wah Yan. Und seitdem werde die Demokratie in Hongkong Stück für Stück weiter eingeschränkt. Gefragt, ob man trotzdem noch seine Meinung sagen und sich ohne gravierende Konsequenzen chinakritisch engagieren dürfe, sagt sie: „Ja – aber wer weiß, wie lange noch.“

Gefräßige Monster als Metapher für die Volksrepublik China

Ähnliche Sätze hört man öfter, wenn man sich in Hongkong mit Autoren und Künstlern unterhält. Noch gibt es hier vergleichsweise viele Freiräume und Foren, in denen die Bürger – im Gegensatz zur Volksrepublik China – ihre kritische Sicht ausdrücken und sich politisch zusammenschließen dürfen. Aber die Einflussnahme Pekings auf Politik und Alltag wird immer größer. Zeitgleich zur Ausstellungseröffnung im Goethe-Institut war ein symbolisch bedeutsamer Besuch aus China ein dominierendes Thema in Hongkong: Die Volksrepublik ließ eine Woche nach einem Besuch von Staatspräsident Xi Jinping ihren einzigen Flugzeugträger in Hongkong einlaufen, von vielen wurde das als Machtdemonstration der Führung verstanden, die zunehmend die Autonomievereinbarungen verletzt.

Der Künstler Kongkee verbindet Popkultur und Politik in surrealistischen Bilderfolgen.
Der Künstler Kongkee verbindet Popkultur und Politik in surrealistischen Bilderfolgen.

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Sam Tse hat dafür besonders drastische Bilder gefunden: Der apokalyptische Comic „Hong Kong Infected“, den der Zeichner zusammen mit einem Autorenteam des Verlages YYY Industry geschrieben hat, beginnt mit den Protesten der Regenschirm-Bewegung. Doch als die Polizei ihre Tränengasgranaten in die Menge feuert, hat das andere Folgen als in der Realität: Etliche Menschen werden zu Monstern, die mit weit aufgerissenen Mäulern andere Menschen attackieren und sich einverleiben. So wuchern sie zu immer größeren Monstern, denen sich friedliche Demonstranten ebenso in den Weg stellen wie eine Miliz von Guerilla-Kämpfern. Die Invasion aufhalten können sie aber nicht – eine offensichtliche politische Metapher.

„Ja, wer will, kann hier eine politische Botschaft finden“, sagt Sam Tse beim Gespräch in der Comix Home Base, einem gut 100 Jahre alten dreigeschossigen Gebäude im Szeneviertel Wan Chai. Der Mittvierziger mit der Schirmmütze und dem Kinnbart sitzt in einem Arbeitszimmer des Künstlertreffpunkts, dessen europäisch-asiatische Architekturmischung die vielschichtige Geschichte der Stadt reflektiert. Hier gibt es Comic-Ausstellungen, Workshops, einen Buchladen und eine Bücherei mit Fokus auf Hongkong-Comics. Für fünf Jahre hat das Hong Kong Arts Centre dieses Haus gepachtet, den Innenhof schmücken Wandbilder von lokalen Comicfiguren.

In Sam Tses Horror-Serie „Hong Kong Infected“ endet eine Kundgebung der Demokratiebewegung in einem Blutbad.
In Sam Tses Horror-Serie „Hong Kong Infected“ endet eine Kundgebung der Demokratiebewegung in einem Blutbad.

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„Eine Lesart meiner Comics kann sein, dass die Monster die Regierung Chinas verkörpern“, sagt Sam Tse. Man könne „Hong Kong Infected“, das stilistisch an japanische Mangaserien wie „Gantz“ erinnert, aber auch einfach nur als gruseligen Actionthriller konsumieren: „Zombie- und Monstergeschichten sind ein relativ neues Genre für Hongkong“, sagt Sam Tse. Er ist seit Kindertagen Fan derartiger Genre-Stoffe. Auch seine zweite aktuelle Serie „BodieZ“ verbindet opulente Monsterbilder, die er im traditionellen Stil mit chinesischen Pinseln zeichnet, mit knallharter Action. Seine mit klarem, fast steril wirkendem Strich gezeichneten menschlichen Hauptfiguren bilden dabei schon optisch einen starken Kontrast zu den detailliert ausgestalteten Albtraumkreaturen, was seine Comics auch für Nicht-Horror-Fans ästhetisch faszinierend macht. Kürzlich waren seine Monster auch in einer Kunstgalerie zu sehen.

„Wir wollen dem Mainstream etwas entgegensetzen“

Weit weniger drastisch sind die Bilder der Künstlergruppe „Ping Pong“, aber soziale und politische Botschaften sind auch einigen dieser Zeichner wichtig. So Leumas To, einem Kunsthochschulabsolventen, der die Gruppe vor vier Jahren gegründet und seitdem im Selbstverlag drei Sammelbände veröffentlicht hat, in denen die Arbeiten von Independent-Comiczeichnern neben sequenziellen Bildern von Malern, Illustratoren und Grafikern stehen. Manche dieser Arbeiten, die kürzlich auch in einer Ausstellung im Berliner Museum für Kommunikation zu sehen waren, sind eher introspektiv.

Vor allem Leumas Tos Bilderstrecken aber nehmen explizit Bezug zu aktuellen politischen Vorgängen. So verbindet er in einer Bilderzählung Motive aus der religiösen Mythologie und Bibelzitate mit Zeichnungen, die Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea anprangern – dessen Regime mit China enge wirtschaftliche Beziehungen pflegt. „Wir wollen dem Mainstream etwas entgegensetzen“, sagt Leumas To bei einem Gespräch in der Comix Home Base.

Der Zeichner Leumas To unterlegt die fiktive Begegnung einer chinafreundlichen Hongkonger Politikerin und eines vorübergehend in China inhaftierten kritischen Buchhändlers mit einem Filmzitat.
Der Zeichner Leumas To unterlegt die fiktive Begegnung einer chinafreundlichen Hongkonger Politikerin und eines vorübergehend in China inhaftierten kritischen Buchhändlers mit einem Filmzitat.

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In seinem Beitrag für den jüngsten „Ping Pong“- Sammelband kontrastiert er Zeichnungen von Hongkonger Politikern und wichtigen gesellschaftlichen Akteuren mit Zitaten aus den Filmen des Hongkonger Regisseurs Wong Kar-Wai. So steht auf einem Bild die chinafreundliche Politikerin Regina Ip Lau Suk-yee neben dem Buchhändler Lee Bo, der wie mehrere seiner chinakritischen Kollegen unter mysteriösen Umständen vorübergehend in der Volksrepublik China inhaftiert und zu einer Symbolfigur der Bürgerrechtsbewegung in Hongkong wurde. Daneben ein Zitat aus dem tragischen Liebesfilm „In the Mood for Love“: „Wirst du mit mir kommen, falls es noch eine Fahrkarte gibt?“

„Comics in Hongkong zu machen, wird immer schwieriger“

Manche Vertreter der traditionelleren Hongkonger Comicszene können mit den neuen Entwicklungen der vergangenen Jahre nur wenig anfangen. Andy Seto zum Beispiel. Der Endvierziger zeichnet seit mehr als zwei Jahrzehnten Actioncomics, die immer wieder neue Variationen des wohl wichtigsten Genres jener Stadt sind, in der einst auch Bruce Lee aufwuchs: Kung-Fu. Seit den 1990er Jahren hat Andy Seto ungezählte Actioncomics zu Papier gebracht, zuletzt die in Hongkong spielende Gangster-Thriller-Serie „City of Darkness“. Seine Science-Fiction-Serie „Cyber Weapon Z“ war auch international erfolgreich und wurde auf Französisch übersetzt. Andy Setos Bewegungslinien und die schwungvolle Zeichnung seiner Figuren und ihrer meist langen Haarpracht strahlen eine fast surrealistisch anmutende Dynamik aus, die japanischen Manga ähnelt, wenngleich seine Zeichnungen noch mehr Körperlichkeit und Details vermitteln. Dieser Stil ist typisch für die Hongkonger Actioncomics der 1980er und ’90er Jahre, wie man sie auch heute noch an den vielen Kiosken der Stadt in Heftform findet.

Aus der Sicht von Andy Seto befindet sich die Comic-Szene seiner Stadt allerdings im Niedergang: „Es gibt keine herausragenden Künstler mehr“, sagt er beim Gespräch in der Comix Home Base. Wegen der Konkurrenz der elektronischen Medien schrumpfe der Markt rapide. „Comics in Hongkong zu machen, wird immer schwieriger.“ Daher arbeite er zunehmend auch für Verlage in der Volksrepublik China. „Das ist ein Wachstumsmarkt dort, vor allem im Bereich der Onlinecomics.“ Ein Schritt, der für viele andere Hongkonger Zeichner nicht infrage kommt – zumindest noch nicht.

West-östlicher Comic-Austausch: „A House United“: Unter diesem Titel ist derzeit eine Wanderausstellung über deutsche Comics auf internationaler Tournee. Kuratiert wurde sie für die Auslandsarbeit der Frankfurter Buchmesse von Tagesspiegel-Redakteur Lars von Törne - hier gibt es den Katalog als PDF zum Herunterladen. Der Kurator war kürzlich auf Einladung des Goethe-Instituts zusammen mit dem Berliner Comiczeichner Hamed Eshrat („Venustransit“) in Hongkong und in der südchinesischen Metropole Kunming zu Gast, um die Ausstellung zu präsentieren. Hier gibt es einen Videorundgang durch die Ausstellung in Hongkong, hier ein Video aus Kunming. Der oben stehende Artikel entstand aber unabhängig vom Goethe-Institut.

Manhua für Anfänger - Comics aus China und Taiwan: Da gibt es noch viel zu entdecken. Während japanische Comics (Manga) hierzulande seit zwei Jahrzehnten vor allem bei jüngeren Lesern enorm populär sind, gelten Comics (Manhua) aus Hongkong, Taiwan und der Volksrepublik China im deutschsprachigen Raum noch als ein Geheimtipp.

Aus Taiwan gibt es derzeit besonders viele interessante Werke zu entdecken: Der Schweizer Verlag Chinabooks hat mehrere Bücher aus der ostasiatischen Inselrepublik im Programm. So die Biografie „Meine 80er Jahre. Eine Jugend in Taiwan“ von Sean Chuang, dessen Stil von westlichen Comics inspiriert ist. Eine faszinierende Lektüre ist auch die Trilogie „Helden der östlichen Zhou-Zeit“ des kürzlich verstorbenen Zeichners Chen Uen, der Porträts historischer Figuren in einem Stil erzählt, der traditionelle chinesische Zeichentechnik mit moderner Manga-Ästhetik kombiniert.

Tiefe Einblicke vor allem in die Geschichte der Volksrepublik China geben die Comics von Li Kunwu aus Südchina, dessen Erzählungen die Edition Moderne auf Deutsch veröffentlicht. Der Alltag chinesischer Jugendlicher ist das Thema des Pekinger Zeichners Pinyin Zhang Bin alias Benjamin, dessen Werke auf Deutsch bei Tokyopop erschienen sind. Hier gibt es ein längeres Tagesspiegel-Interview mit ihm. Bücher beider Zeichner sind in gut sortierten Buchläden auch in der Volksrepublik China zu finden.

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