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Auf dem Weg in die Hölle: Eine Szene aus dem besprochenen Album.

© Splitter

Fantasy-Comic: Der Tod ist auch keine Lösung

Religionskritik, Wortwitz, philosophische Anspielungen: Die Fantasy-Erzählung „Das Schattenreich von Troy“ bedient sich bei der griechischen Mythologie und sprüht vor Themen und Ideen.

Zunächst die schlechte Nachricht: Wer sich mit der seit 1994 von Scotch Arleston und Didier Tarquin beständig erweiterten Fantasy-Welt des Troy-Universums vertraut machen möchte,  sieht sich mit einem gewaltigen Output konfrontiert. Zu den quantitativ opulentesten Hauptserien „Lanfeust von Troy“ und „Troll von Troy“ zählen allein in deutscher Übersetzung noch über ein halbes Dutzend Spin-Offs (erschienen bei Carlsen und Splitter), die Nebenschauplätze und einzelne Figuren fokussieren. Berücksichtigt man dann noch die Reihe „Lanfeust der Sterne“, worin der ganze Spuk durch die Science Fiction Brille neu betrachtet wird, dann wollen vom akribischen Exegeten bislang nicht weniger als rund 40 Alben Troy-Material abgearbeitet werden.

Selbstmord im Aquarium

Die gute Nachricht nun lautet: Nichts davon muss man kennen, um das neueste Spin Off „Das Schattenreich von Troy“ verstehen zu können. Denn als Bezugssystem für diese in sich geschlossene Erzählung dient nicht das Jahr für Jahr immer weiter expandierende Fantasyreich Troy (das nur an einer einzigen Stelle erwähnt wird), sondern die Geschichte des Orpheus aus der griechischen Mythologie, der sich geradewegs in die Hölle begibt, um mittels seiner Sangeskunst seine verstorbene Frau Eurydike vom Gott Hades zurückzugewinnen.

Allerdings wird dieser Urtext parodistisch gegen den Strich gebürstet. Stark genug, dass man dem Ergebnis glatt eine feministische Lesart, mindestens aber eine feminisierte Perspektivverschiebung des Mythos ansieht – zumindest in den Grenzen des frankobelgischen Fantasy-Comics, dessen atavistische Frauenbilder und Gesellschaften wohl nicht grundlos nach wie vor geradezu manische Allianzen eingehen.

Das beginnt bereits mit dem Tod von Dyssery, der Eurydike dieser Erzählung. Ganz freiwillig nämlich wirft sich die junge Frau noch in der Hochzeitsnacht in ein Aquarium voll gefräßiger Fische, nachdem sie mit dem reichen Handwerker Phoree, das Orpheus-Pendant und ein eitler Schmierlappen von besonders machistischem Gemüt, eine Zwangsehe eingehen musste.  Der Grund: Wegen einer Rolle in einem Theaterstück brachte sie Schande über die Familie, denn das Theater ist Männerdomäne.

Feministische Lesart: Eine Seite aus dem Album.

© Splitter

Aber die Flucht ins Jenseits entpuppt sich nicht gerade als Verbesserung, denn was bereits diesseitig  an männlicher Herrschaftssucht ertragen werden musste, setzt sich hier nahtlos fort. Übergriffige Dämonen und gefährliche Werwölfe machen die Erkundung des neuen Reichs zur Tortur, zumal die zunächst verblüfften Männer, zu denen sich die Werwölfe bei Tagesanbruch zurück verwandeln, Dyssery, die auf einem Felsen sicher wie gemächlich die Rückverwandlung abwarten wollte, nicht weniger gierig nachstellen. Wie sich da eine Pointe aus der anderen herausschält, erinnert sehr an die Methoden Lewis Trondheims.

„Diese Idioten!“, sind seine letzten Worte

Aber nicht bloß wegen der Männer ist das Jenseits eine Zumutung. Bereits in ihrer vierbändigen Reihe „Alim der Gerber“ bebilderte Zeichnerin Virginie Augustin ein hier und da etwas ungelenkes Szenario von Wilfried Lupano, in dem der Fanatismus der Religionen eine zentrale Rolle einnahm. In „Das Schattenreich von Troy“ geht es nun gleich ums Ganze. Nicht nur ist das Jenseits ein streng verwalteter Ort, wie man ihn aus Tim Burtons „Beetlejuice“  kennt: Langfristig muss sich Dyssery entscheiden, welche Gestalt sie dauerhaft annehmen will. Ob Zombie, Vampir, Mumie oder Phantom, die Vertreter der jeweiligen Gemeinschaft werben in den Städten penetrant wie Zeugen Jehovas mit Flugblättern für ihre Glaubensrichtung. Als recht riskant erweist sich zudem noch der Umstand, dass jedes Wesen, das die Gläubigen des Diesseits im Jenseits vermuten, dort denn auch tatsächlich Gestalt annimmt. „Es genügt, wenn andere woanders an sie glauben, damit sie existieren ... Diese Idioten!“, lauten die letzten Worte eines alten Mannes, bevor er von einer hochaushohen Drachenkreatur verspeist wird.

Ideenreich: Das Cover des Albums.

© Splitter

Nicht nur die Religionskritik, der Wortwitz, der sarkastische Blick auf die Rollenbilder des Genres, die Pointensicherheit und philosophischen Anspielungen erinnern an Lewis Trondheims ultimative Fantasyparodie „Donjon“. Dieser Umschlagplatz voll obskurer Gestalten, die Dysserys Leben von jenen Tagen oberhalb der Jenseitsgrenze kaum unterscheidbar machen, würde ebenso als Zweig des mittelweile enorm zerfransten Trondheim-Kosmos eine gute Figur abgeben, weil auch hier das Heldentum mehr eine Frage des Krawalls und weniger der tatsächlichen Fähigkeiten ist. Phorees heroisch gedachter Rettungsversuch jedenfalls ist eine Lehrstunde in blindwütigem Männlichkeitsgebaren.

Man könnte der Erzählung allenfalls ankreiden, dass sie ein paar Themen und Ideen zu viel auf 60 Seiten abzudecken versucht. Aber das wäre bloß übellaunig angesichts eines Genrestrangs, in dem oftmals ein Bruchteil dieses Ideenreichtums ausreicht, um gleich mehrere Zyklen zu legitimieren.

Christophe Arleston (Text), Audrey Alwett (Text), Virginie Augustin (Zeichnungen): Das Schattenreich von Troy. Aus dem Französischen von Tanja Krämling. Splitter Verlag, 72 Seiten, 15,80 Euro. Eine Lesprobe gibt es auf der Website des Verlages.

Mehr von unserem Autor Sven Jachmann gibt es auf seinem Blog.

Sven Jachmann

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