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© promo

Interview: "Ich hasse es, für die Schublade zu produzieren"

Der Kasseler Zeichner und Illustrator Michael Meier über sein Comic "Die Menschenfabrik", seinen Verlag Rotopolpress und die Zukunft der deutschen Comiclandschaft.

"Wir machen Menschen, wie man Brot macht." Dieser Satz aus dem düsteren Original von Oskar Panizza ist mir am deutlichsten in Erinnerung geblieben. Was fasziniert dich persönlich an der Geschichte?

Das ist auch mein Lieblingssatz, der mich von Anfang an für die Geschichte begeistert hat (hier geht es zur Tagesspiegel-Rezension). Er ist wahrscheinlich deswegen so einprägsam, weil er die ganze Geschichte auf den Punkt bringt. Ich behaupte jetzt einfach mal, dass es sogar Panizzas "Was-Wäre-Wenn-Frage" war, die ihn zum Schreiben der "Menschenfabrik" motiviert hatte. Mich fasziniert an der Geschichte ihr Alter, sie ist 1890 erschienen, ihre Aktualität, und zugleich, dass Panizza weit über die "Was-Wäre-Wenn"-Frage hinausgeht. Bei all den technischen Neuerungen zum Ende des 19. Jahrhunderts war die Frage: "Was wäre, wenn man Menschen künstlich herstellte?" durchaus nachvollziehbar. Aber das Ganze dahingehend weiterzuspinnen, nach der moralischen Vertretbarkeit und den Folgen für die Gesellschaft zu fragen, finde ich sehr faszinierend. Ich finde, er schafft das, auch ohne den moralischen Zeigefinger auszupacken, da die Argumente des Fabrikbesitzers durchaus nachvollziehbar sind. Es ist mehr wie der innere Disput: "Wie finde ich das denn jetzt?" Die Person Panizza spielte für mich auf jeden Fall auch eine Rolle und kommt als Nervenarzt im Comic selbst vor. Seine Familie hatte sämtliche seiner Aufzeichnungen nach seinem Tod vernichtet, das sagt ja schon alles! Ich glaube, ich habe einfach ein Faible für Verrückte.

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"Obey". -

© Illustration: Michael Meier


Es gibt nicht allzu viele Comics, die sich mit Literaturvorlagen auseinandersetzen, um sie für den Comic zu adaptieren. Einer der bekanntesten ist vielleicht „City of Glass“ von Paul Karasik und David Mazzucchelli. Inwieweit hast du versucht, dicht am Original zu bleiben, aber dennoch den Comic als Medium wirklich zu nutzen?

Ich muss gestehen, dass ich "City of Glass" nie gelesen habe, weder als Comic, noch die Vorlage von Paul Auster. Ich bin aber auch nicht jemand, der sich erstmal 1000 Comics nach Literaturvorlagen kauft, nur weil man ein ähnliches Projekt im Sinn hat. Ich glaube, das tut dem Endergebnis auch nicht gut. Man sollte einen eigenen Weg finden, um seine Geschichte zu erzählen. Natürlich soll man das Rad nicht neu erfinden, das wäre ja albern. Man soll ruhig gucken: Wie haben es die anderen gemacht? Aber wenn man die Grundlagen des Geschichten- und Bildererzählens kennt, hat man so eine Art Schweizer Taschenmesser parat, mit dem man ziemlich weit kommt. Ich wollte "Die Menschenfabrik" so nah wie möglich am Original halten, da mir die Stimmung gut gefiel. Außerdem wollte ich, das, was mich an der Geschichte so fasziniert, an den Leser weitergeben. Deshalb habe ich lediglich eine Rahmenhandlung um die eigentliche Geschichte herum geschrieben. Vor allem wollte ich ein spannenderes Ende haben. Darüber hinaus habe ich nur hier und da für die Handlung nebensächliche Passagen rausgeworfen.

 

"Die Menschenfabrik" ist dein erster großer Comic und war gleichzeitig deine Diplomarbeit an der Kunsthochschule in Kassel. Comic-Zeichner sind bekannt dafür, dass ihr Arbeitstempo extrem unterschiedlich ausfällt. Wie lange hast du dich mit „Die Menschenfabrik“ beschäftigt, bis es endlich in den Druck gehen konnte?

Es kommt darauf an. Manchmal funktioniert eine Zeichnung auf Anhieb und manchmal grüble ich lange rum, bevor auch nur ein Strich

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Der Verlagskatalog. -

© Illustration: Michael Meier

aufs Papier kommt. Aber wenn man erstmal in der Materie drin ist, kann man ein gutes Durchschnittstempo halten. Ich fand mich am Anfang unglaublich langsam. Ich habe im Frühjahr 2006 angefangen und druckreif war der ganze Comic im Oktober 2008. Aber wenn ich die reine Arbeitszeit zusammenrechne, komme ich auf ca. ein Jahr. Ich habe mittendrin, 2007, zusammen mit Lisa Röper und Rita Fürstenau den Verlag Rotopolpress gegründet. Da musste die Arbeit am Comic kurzfristig etwas zurückgestellt werden.

Von der fertigen Diplomarbeit bis zur größeren Auflage bei Rotopolpress war es sicherlich auch noch ein kleiner Weg. Du bist dort selbst einer der drei Verleger. War eine größere Veröffentlichung auch schon zu Beginn der Arbeit abzusehen und geplant?

Definitiv! Ich hasse es, für die Schublade zu produzieren und wollte auf jeden Fall am Ende ein "richtiges" Comicheft in den Händen halten. Darum hatte ich "Die Menschenfabrik" in einem früheren Stadium auch einigen bekannteren Verlagen geschickt. Allerdings ohne Erfolg.

"Die Menschenfabrik" ist dein erster größerer Comic, und ein Comic, der wirklich überzeugen konnte. Neben der Verlagsarbeit bist du allerdings hauptsächlich als freier Illustrator tätig, weil durch Comics in Kleinauflage kaum viel Geld zu verdienen ist. Ist „Die Menschenfabrik“ also dein erster und vielleicht auch gleichzeitig letzter Comic? Oder arbeitest du schon an etwas Neuem?

Erstmal muss ich alle enttäuschen, die auf ein Comic hoffen sollten, das genauso wird wie die Menschenfabrik. Es war mein allererster Comic und erzählerisch wie stilistisch habe ich mich weiter entwickelt. Aktuell arbeite ich mit meinem Zeichnerkollegen Sebastian Stamm an einer Serie, über die ich an dieser Stelle aber noch nicht viel verraten kann. Darüber hinaus liegen noch weitere Ideen in der Schublade. Im Grunde habe ich gerade erst angefangen.

Euer Verlag Rotopolpress existiert nun schon seit zwei Jahren. Wie hat sich die Situation dort entwickelt?

Wenn mir vor zwei Jahren jemand erzählt hätte, dass Menschen aus fast allen Teilen der Welt unsere Sachen kaufen und wir im Ausland Ausstellungen haben werden, hätte ich mich über seine blühende Fantasie wohl sehr amüsiert. Wir bekommen von allen Seiten jede Menge Zuspruch und den Leuten scheint zu gefallen, was wir machen.

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"Vladimir Bologov". -

© Illustration: Michael Meier

Ich bin immer noch ganz begeistert, wenn ich sehe, dass vier Illustratoren, aus einem gemeinsamen, sehr kleinen Atelier heraus, mit ihrer Leidenschaft für Gedrucktes, so etwas erreichen können.

Werdet ihr auch in Zukunft auf avancierte Projekte setzen wie zuletzt, die die Gratwanderung zwischen Comic, Illustration und Design versuchen?

Auf jeden Fall! Wir haben Rotopolpress vor zwei Jahren gegründet, weil uns die illustrative Vielfalt und deren Verbreitung am Herzen liegen. Leider hört bei vielen Menschen Illustration immer noch beim Kinderbuch auf. Bei den Comics hat man dank Filme wie "From Hell“, "300“ und zuletzt "Watchmen“ nun auch endlich festgestellt, dass es zwischen Werner und Superman noch eine Menge mehr gibt. Im Gegensatz zur Fotografie scheint man sich im Bereich der Illustration jedoch mit einem "normalen“ Umgang immer noch schwer zu tun. Aber zum Glück erlebt die Illustration ja seit einigen Jahren eine Renaissance, die dabei hilft, die Grenzen zwischen Kunst, Design und Comic verschmelzen zu lassen. Wir hoffen, mit unserem Verlag und unserem Laden das ganze Potential, dass in der Illustration steckt, einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Ich hoffe, dass wir in Zukunft weiter an der Frage forschen können, wo Illustration anfängt und wo sie aufhört. Deswegen haben wir u. a. ein Papierspielzeug (Pepastar CP) verlegt und sind eine Kooperation mit dem schwedischen Singer/Songwriter Björn Kleinhenz eingegangen, der im September ein Konzert in unserem Laden geben wird.

Graphic Novel ist mittlerweile ja zu einem geflügelten Wort geworden und hat dem Erzählen in Bildern einen gewissen Stellenwert in den Feuilletons erkämpft. Wie siehst du die Comic-Landschaft in Deutschland im Moment?

Ich bin gerade durch mein Bücherregal gekrochen, um mal nachzugucken, welche deutschen Comics ich eigentlich besitze. Die ganze Prozedur habe ich dann gleich nochmal wiederholt, weil ich es nicht ganz glauben konnte. Ich besitze ein einziges "deutsches“ Comic: "Hector Umbra“ von Uli Oesterle (hier geht es zur Tagesspiegel-Rezension). Wenn wir „deutschsprachige“ Comics nehmen, kommen noch ein paar von Nicolas Mahler dazu. Das war mir selber gar nicht so bewusst und soll jetzt nicht bedeuten, dass ich deutsche Comics nicht mag oder schlecht fände. Ich persönlich kann mit Coming-of-Age-Geschichten, die in den letzten Jahren ja ziemlich beliebt waren, nicht viel anfangen. Vielleicht ist das ein Grund für mein unvollständiges Bücherregal.

Eine Ausnahme bildet allerdings "Der kleine Christian von Blutch. Den mag ich sehr, wobei das auch wieder kein deutscher Comic

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"Vorratsdatenspeicherung". -

© Illustration: Michael Meier

ist. Ich scheine wohl eher Vorlieben für amerikanische und französische Comics zu haben. In puncto deutsche Zeichner kenne ich ein paar, die ihre Karriere gleich in den USA gestartet haben, weil es für sie hierzulande nichts zu holen gab. Wenn ich mir aber allein den „Nachwuchs“ hier in Kassel anschaue, zu dem ich ja auch irgendwie gehöre, glaube ich, dass in Zukunft die deutsche Comiclandschaft erheblich bunter wird. Das Potential und die Ideen sind auf jeden Fall da. Man muss nur zugreifen.


Das Interview führte Christopher Pramstaller. Es ist ursprünglich erschienen bei satt.org am 23.8.09. Zur Internetseite von Michael Meier geht es unter diesem Link.

Christopher Pramstaller

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