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Blut und Blei: Eine Seite aus dem besprochenen Buch.

© Schreiber & Leser

Manga: Blut, Blei und Bilderraub

Der japanische Manga-Star Jiro Taniguchi wird für seine introspektiven Comicerzählungen geschätzt. Nun zeigt ein Frühwerk: Der ruhige Japaner konnte auch mal anders - und bediente sich zudem großzügig bei anderen Künstlern.

Nach der nur bedingt überzeugenden Kampfsportmär „Wie hungrige Wölfe“ präsentiert Schreiber & Leser ein weiteres Frühwerk von Jiro Taniguchi auf Deutsch, das so gar nichts mit dessen viel gepriesenen, gefühlvollen Bildergeschichten wie „Vertraute Fremde“, „Die Sicht der Dinge“ oder „Der spazierende Mann“ gemein hat und auch weit von der intensiven Bergsteiger-Saga „Gipfel der Götter“ entfernt ist. Ironischerweise sagt sogar eine der Figuren in „Enemigo“ etwas ähnliches und gibt damit die Devise für diesen frühen Taniguchi aus: „Wir sind Dschungelkämpfer, keine Bergsteiger.“ Laute Action geht diesmal also klar vor leise Gefühle, und anstelle von Gebirgspanoramen satt gibt es Dschungelkrieg ohne Ende, sodass einem die Kugeln aus den Maschinengewehren nur so um die Ohren fliegen.

Zur ungewohnte Gewalt kommt die Frage der Originalität, die das Buch aufwirft. Denn in „Enemigo“, das ursprünglich 1984/85 erschien, zitierten und kopierten der schon damals auf zeichnerischen Realismus bedachte Taniguchi und die bis heute hinter dem Pseudonym M.A.T. verborgenen Szenaristen fleißig und unverfroren. Sowohl das Hollywood-Action-Kino der 80er, als auch die Noir- und Hardboiled-Helden des westlichen Buchmarktes gehören neben den ganz Großen der europäischen Comic-Szene zu den offenkundigen Inspirationsquellen von „Enemigo“ – sozusagen einmal von Rambo über Apocalyse Now bis Schuiten.

Plakative Popcorn-Action

Der Manga erzählt vom New Yorker Privatdetektiv Kenichi Seshimo, der in den fiktiven lateinamerikanischen Staat Nascencio reist. Nach einem Staatsstreich sollen weite Teile des dortigen Urwalds für Landwirtschaft und ferner das globale Exportgeschäft genutzt werden, betrieben vom japanischen Konzern, den Kenichis Bruder Yuji leitet und den die amerikanische Agrargesellschaft in Chicago äußerst kritisch beäugt. Als Yuji von Guerillakriegern in den Dschungel verschleppt wird, ist der wackere Vietnam-Veteran Ken fest entschlossen, seinen Bruder zu befreien. Dabei kann er auf ein paar nicht allzu oft durch das Innovationen-Entwickler-Bad gezogene Verbündete zählen: die schöne Unbekannte, den alten Kameraden und den riesenhaften Hund seines Bruders.

Was folgt, ist eine Aneinanderreihung von Messerkämpfen und Feuergefechten im Urwald und am Ende sogar noch in New York City – filmreife Überhelden-Action also, auf die auch ein Sylvester Stallone und ein Arnold Schwarzenegger in ihren besten Tagen als unbesiegbare Action-Heroes in der Traumfabrik stolz gewesen wären. Allerdings funktioniert das antike Unterhaltungs-Konzept aus Blut und Blei als geradlinige Popcorn-Action-Kost noch immer ziemlich gut, obwohl die Macher doch ein gutes Stück von ihrer ursprünglichen Idee des klassischen, lakonischen Privatermittlers weggedriftet sind. Der allemal unterhaltsamen Story selbst hat das genauso wenig geschadet wie der typische Aufbau und die schwachen Wendungen.

Zitiert oder kopiert?

Nichtsdestotrotz hat sich Taniguchi lange Zeit geweigert, „Enemigo“ neu auflegen zu lassen. Nicht unbedingt wegen der Story, die dem sympathischen Comic-Star aus Fernost noch immer ziemlich gut gefällt, wie er im Vorwort schreibt. Sondern vor allem wegen der vielen Anleihen und – höflich ausgedrückt – direkten Bildzitate. Dass Taniguchi, der aus seiner Bewunderung für die Riege der europäischen Meister um Moebius oder Bilal nie ein Geheimnis gemacht hat, schließlich doch einer Wiederveröffentlichung des Action-Feuerwerks aus einer anderen Periode seines Schaffens zugestimmt hat, liegt daran, dass die „Zitierten“ Baru, Schuiten und Giardino in der französischen Ausgabe von 2007 in kleinen Nachworten zu Wort kamen und den früher von ausreichend Distanz verborgenen Raubbau quasi verspätet legitimieren – und sich aus heutiger Sicht eher geschmeichelt fühlen, dass sich Taniguchi als einer der ersten Mangaka schon vor so langer Zeit offensichtlich der westlichen Comic-Kunst geöffnet und explizit ihren Werken als Quelle der Inspiration zugewandt hat. Es braucht freilich nicht viel Zynismus, um sich zu fragen, was Schuiten und Co. hätten anderes tun können, als ihrem zwischenzeitlich selbst in den Meisterrang aufgestiegenen Zunftkollegen nun rückwirkend ihren Segen zu geben und ihm respektvoll zuzunicken.

Lakonischer Privatermittler: Das Buchcover.
Lakonischer Privatermittler: Das Buchcover.

© Schreiber & Leser

Davon abgesehen, schmeichelt „Enemigo“ auch Taniguchi, und zwar weit mehr als „Wie hungrige Wölfe“, das ungefähr zur selben Zeit wie „Enemigo“ entstanden ist. Immerhin ist es ebenso interessant wie beeindruckend, Taniguchis Weg zu verfolgen und sich auch mit diesen frühen Action-Etappen zu beschäftigen, zeigen sie doch, dass Taniguchi die richtigen Abzweigungen genommen hat, wenn sie sich ihm boten. Schließlich hätte der Zeichner, wäre er dem Pfad seiner deftigen Frühwerke gefolgt, vermutlich nie zu seinem Ruf als europäischster aller Mangaka gelangt, und in die Literatursendung „Druckfrisch“, für die ihn kürzlich Denis Scheck in Japan besuchte, hätte er es höchstwahrscheinlich auch nicht geschafft.

Die Fans seines feinfühligen Hauptwerks, das ihm in den vergangenen Jahren auch in Deutschland viel Ruhm und Anerkennung eingebracht hat, werden von „Enemigo“ vermutlich trotzdem eiskalt erwischt werden – alle anderen können eine Menge Spaß mit diesem schnörkellosen, hervorragend aufgemachten Action-Kracher aus einer anderen Ära haben.

Jiro Taniguchi & M.A.T.: Enemigo, Klappenbroschur, 296 Seiten, 16,95 Euro.

Der Blog unseres Autors Christian Endres findet sich hier: www.christianendres.de.

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