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Klassischer Stil, neuer Verlag: Eine Szene aus „Schritte ins Licht“.

© All-Verlag

Comicmarkt: Mutanten, Aussteiger, Weltreisende

Mit dem Renommee von Comics wächst auch die Zahl der Verlage. Jetzt präsentieren gleich drei Newcomer ein vielfältiges aktuelles Programm

Vom Steuerberater zum Verleger: Für Gregor Breitkopf ist die berufliche Transformation, die er derzeit erlebt, eine logische Folge seiner Leidenschaft für gute Literatur und für künstlerische Zeichnungen. Die brachte den Berliner in den vergangenen Jahren zu den Graphic Novels, also den langen, in sich geschlossenen Comic-Erzählungen. Erst als Leser, und seit kurzem auch als Verleger. Zu Jahresbeginn ist in der Verlaggesellschaft Breitkopf Editionen die erste längere Bildgeschichte erschienen, Oliver Grajewskis „Der Tag im Moor“.

Darin erzählt der in Berlin lebenden Zeichner und Autor, der Tagesspiegel-Lesern auch als Illustrator für diese Zeitung bekannt ist, die mysteriöse Geschichte einer Kolonie von mutierten Menschen mit übernatürlichen Begabungen, die unweit eines Atomkraftwerks im Nordwesten Deutschlands leben. Eines Tages entdeckt der ebenfalls in Berlin lebende und Oliver heißende Ich-Erzähler bei einem Besuch in seiner alten Heimat diese versteckte Welt und erfährt, was dahinter steckt. Grajewskis Erzählstil changiert zwischen Plauderton und politischer Deklaration, Persönliches vermischt sich mit Politischem zu einer ungewöhnlichen Mischung – eine ausführlichere Rezension des Titels folgt in Kürze auf den Tagesspiegel-Comicseiten.

Dass sein frisch gegründeter Verlag gerade mit dieser Graphic Novel startet, erwuchs aus der Freundschaft zu Oliver Grajewski, erzählt Gregor Breitkopf. Dessen Arbeit erscheint ihm exemplarisch für das besondere Profil, das der neue Verlag anstrebt: Graphic Novels, die sich von den „üblicherweise als Comics bezeichneten Publikationen durch ihre Art des literarisch-künstlerischen Gehalts unterscheiden“, wie Breitkopf sagt.

Modernes Medium, anspruchsvolle Inhalte

Zwar seien die Übergänge teilweise fließend. „Die verlegerische Herausforderung besteht für mich jedoch gerade darin, speziell dieses in Deutschland noch junge Buchformat zu fördern, da ich es für hochaktuell und zeitgemäß halte, über ein derart modernes Medium sehr anspruchsvolle Inhalte zu transportieren, die sich vom Betrachter und Leser dennoch auf leicht eingängige und überwiegend intuitiv erfassbare Weise erschließen lassen.“ Zwar veröffentlichten die bereits bestehenden Comicverlage schon heute „qualitativ hochwertige Bücher“, wie Breitkopf eingesteht. Aber es gebe noch Entwicklungspotential: „Es ist an der Zeit, den deutschen Markt für dieses moderne und zeitgemäße Medium weiter zu erschließen.“ Es sei nicht einzusehen, „warum er nicht Ausmaße wie die Märkte in England oder Frankreich erreichen sollte“.

Stilistische Vielfalt: Der Debüt-Titel der Breitkopf-Editionen links und einer der neuen Titel aus dem All-Verlag rechts.
Stilistische Vielfalt: Der Debüt-Titel der Breitkopf-Editionen links und einer der neuen Titel aus dem All-Verlag rechts.

© Promo

Das sieht Peter Graf ähnlich. Der Verleger, der seit vielen Jahren in der Buchbranche tätig ist und als Lektor für Kunstverlage ebenso gearbeitet hat wie für Publikumsverlage, ist beim soeben neu gegründeten Verlag „Metrolit“ unter anderem für das Graphic-Novel-Programm zuständig. Dabei kann er auf Erfahrungen in seinem eigenen Verlag Walde + Graf zurückgreifen, in dem in den vergangenen Jahren bereits anspruchvolle Comic-Erzählungen wie Chester Browns Prostitutions-Tagebuch „Ich bezahle für Sex“ erschienen sind. Jetzt will Graf das Comic-Programm in der Verlagsneugründung „Merolit“ weiter ausbauen und setzt dabei auf eine Mischung aus Anspruchsvollem, Relevantem und Unterhaltsamem. „High and low sollen sich wie selbstverständlich begegnen, Ernstes sich zu Humorvollem gesellen, auch Genreliteratur findet Platz“, sagt er. Die Qualität definiere sich „über die Sorgfalt, mit der die Bücher gemacht werden und ob sie, wenn man die Regeln des jeweiligen Genres oder der Textgattung anlegt, zu den handwerklich sehr gut umgesetzten Exemplaren ihrer Gattung zu zählen sind“.

Auf der Suche nach einem eigenen Profil

Im aktuellen Metrolit-Programm sind für die kommenden Monate gleich drei grafische Erzählungen angekündigt, die diesem Anspruch gerecht werden dürften: In der von der US-Kritik sehr positiv aufgenommenen Graphic Novel „Mein Freund Dahmer“ erzählt der US-Autor Derf Backderf von seinem einstigen Schulkameraden Jeffrey Dahmer, der schon als Jugendlicher psychisch auffällig war und in späteren Jahren siebzehn junge Männer ermordete. Das Buch erscheint im April auf Deutsch. In „We are Gypsies now“, das für März angekündigt ist, erzählt die in Berlin lebenden Autorin und Künstlerin Danielle de Picciotto von ihren Weltreisen mit ihrem Mann, dem Musiker Axel Hacke von den Einstürzenden Neubauten. Und in „Der Tod von Adorno“, das im Februar erscheint, erzählt der Filmemacher Helmut Wietz im Stil der Pop-Art von der sexuellen Befreiung in den späten 1960ern und einer Nazi-Parallelgesellschaft, die die Berliner Unterwelt beherrscht. Wietz begann die Arbeit an dem Buch bereits 1967, erst in den vergangenen Jahren beendete er das Werk. Für Verleger Graf stehen die drei Titel exemplarisch für seinen Versuch, sich ein eigenständiges Profil zu erarbeiten, „das sich wiedererkennen lässt und sich von den Programmen der von mir sehr geschätzten Verlage wie Reprodukt, Avant, Edition Moderne, Carlsen unterscheidet“, wie er sagt.

Erscheinen in Kürze: Zwei Titel des neuen Metrolit-Verlages.
Erscheinen in Kürze: Zwei Titel des neuen Metrolit-Verlages.

© Promo

Auf eine andere Nische zielt der neu gegründete All-Verlag, der kürzlich mit einigen neuen Titeln an die Öffentlichkeit ging, die vor allem Freunde franko-belgischer Comic-Alben ansprechen dürften. Darunter ist die als Trilogie angelegte Erzählung „Schritte ins Licht“ von Bruno Marchand, die von einer jungen Frau erzählt, die ein beunruhigendes Geheimnis um ihren verstorbenen Vater aufzuklären versucht und dafür um die Welt reisen muss. Die Texte und Zeichnungen kommen zwar etwas kantig und hölzern daher, aber die merkwürdigen Vorgänge um die junge Frau machen doch neugierig auf die Folgebände.

Verleger Ansgar Lüttgenau ist gelernter Verlagskaufmann und hat bereits Ende der 1980er Jahre, damals noch als BWL-Student, erste Comics verlegt. In diesem Jahr sollen im All-Verlag sechs Bücher erscheinen, der Schwerpunkt liegt dem persönlichen Geschmack des Verlegers entsprechend auf franko-belgischen Abenteuergeschichten.

Dass sie mit ihrem Programm kurzfristig große Profite einfahren, erwarten die neuen Comicverleger allesamt nicht, dafür ist der Markt zu klein – auch wenn Comics im Buchmarkt eines der wenigern Wachstumssegmente sind. Es gebe derzeit ein enorm gesteigertes mediales Interesse und ein größeres Publikum für gute Comics, attestiert Peter Graf. Das Problem sei aber der klassische Buchhandel, der die wachsende Bedeutung anspruchsvoller Bildgeschichten erst langsam erkenne. „In vielen Buchhandlungen fehlt dafür schlicht die Kompetenz und Leidenschaft“, klagt Graf. So werde der Handel mitunter zum Nadelöhr und der Leser nicht erreicht, weil die entsprechenden Titel nicht eingekauft oder falsch – sprich: In der Kinderbuchecke – platziert würden. Sein Fazit, das viele Branchenkollegen ähnlich sehen: „Da ist viel Luft nach oben.“

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