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Pionierin: Nigar Nazar bei ihrem Potsdam-Besuch.

© Andraeas Klaer

Nigar Nazar in Potsdam: Bilder, die wirken

Nigar Nazar gilt als erste Frau der islamischen Welt, die Comics zeichnet. Ihre überaus beliebte Heldin Gogi ist politisch. Jetzt stellt Nazar in Potsdam aus.

Als die iranischstämmige Zeichnerin Marjane Satrapi im Jahr 2000 ihre Comic-Autobiografie „Persepolis“ veröffentlichte, schlug die ein wie eine Bombe: Eine Comiczeichnerin aus einem muslimischen Land? Allein das war eine Sensation, neben der enormen Qualität ihrer Arbeit. Dabei ist Satrapi keineswegs die erste Frau aus der islamischen Welt, die sich in Panels und Sprechblasen artikuliert und auf diese Art soziale Missstände anspricht. Tatsächlich gebührt dieser Titel Nigar Nazar: Die 62-jährige Pakistanerin zeichnet seit den frühen 70ern Comic- Strips rund um ihre Hauptfigur Gogi, eine junge, moderne Pakistanerin mit gepunktetem Kleid und langen Wimpern, die ihren Kurzhaarschnitt nicht unter einem Kopftuch versteckt.

Ihre Strips erscheinen weltweit, sie ist Gründerin der „Asian Youth Association for Animators and Cartoonists“, die BBC kürte sie zu einer der wichtigsten Frauen des Jahres 2014. Kürzlich war Nazar in Potsdam zu Gast, um eine Ausstellung ihrer Arbeiten bei der Friedrich-Naumann-Stiftung zu eröffnen.

Ihre Figuren zieren Busse in Pakistan

Einer der ausgestellten Comics zeigt Gogi am Flughafen: „Woher kommen sie?“, fragt der Grenzkontrolleur. „Pakistan“, antwortet sie. „Welcher Teil?“ „Alles von mir!“ Auf den Mund gefallen ist Gogi nicht, ebenso wenig wie ihre Schöpferin, die Gogi als ihr Alter Ego bezeichnet. „Gebt mir ein Jahr!“, hatte Nazar ihre Eltern damals angebettelt, um ihr Medizin-Studium zugunsten eines Kunst-Studiums abzubrechen. Ihre Erfolge wischten bald alle Zweifel beiseite: Heute ist Nazar Direktorin der Gogi Studios in Islamabad, etliche Busse in Pakistan werden von ihren Figuren geziert, die Botschaften gegen sexuelle Belästigung oder Umweltverschmutzung transportieren.

Infiziert mit dem Comic-Virus wurde sie nicht in ihrem Heimatland, sondern in den USA, wo sie als Kind wegen der diplomatischen Arbeit ihres Vaters mehrere Jahre gelebt hatte: „Als ich die ganzen amerikanischen Comic-Strips las, fragte ich mich: Warum haben wir keine solchen Comics in Pakistan, über unser Land und unsere Probleme?“, sagt Nazar. Ganz pragmatisch fügt sie hinzu: „Also beschloss ich, sie selbst zu zeichnen.“

Frech, aufklärerisch – aber nie zu provokativ. Gogi, Nigar Nazars Heldin, in einer typischen Szene.
Frech, aufklärerisch – aber nie zu provokativ. Gogi, Nigar Nazars Heldin, in einer typischen Szene.

© Andreas Klaer

Als Siebenjährige hatte sie klassische amerikanische Strips wie „Richie Rich“, „Little Lulu“, „Archie“ oder die „Peanuts“ verschlungen. So kommen auch die Gogi-Strips auf den ersten Blick daher: Heitere Alltagsgeschichten mit hintersinnigem Humor. Doch Nazar verpackt immer wieder kritische Botschaften gegen Missstände wie Sexismus, Korruption oder Extremismus in ihren Comics. Gogi selbst ist unverheiratet, ihr männlicher Widerpart ist ihr Cousin „Butt“, der sie ständig um Geld anpumpt. In einem Strip wollen beide zu einer Party: „Kannst du mir noch das Hemd stärken, die Schuhe polieren und meine Hose nähen?“, weist Butt Gogi allerhand Aufgaben zu, nur um im letzten Panel ungeduldig dazustehen: „Diese Frauen brauchen immer sooo lange!“

„Terroristen verpassen Kindern eine Gehirnwäsche“

Noch deutlicher wird Nazar in den von ihr illustrierten Kinderbüchern: Eines heißt „Stranger Danger“ und warnt Jugendliche davor, sich von Extremisten zu Selbstmordattentaten anwerben zu lassen. „Terroristen verpassen Kindern eine Gehirnwäsche – ich versuche ihnen Konkurrenz zu machen und die Einstellung von Kindern stattdessen mit Fakten zu verändern.“

„Cartoons with a cause“ (Comics mit einer Botschaft) lautet Nazars Motto, sie versteht sich klar als Aktivistin – eine, die erstaunlicherweise breite Unterstützung erhält, sowohl von der pakistanischen Gesellschaft als auch vom Staat: Präsident Mamnoon Hussain ließ sogar verlautbaren, dass Nazars aufklärende Bücher in jeden pakistanischen Haushalt gehörten. Sie sei noch nie für ihre Comics attackiert worden, sagt die Comic-Künstlerin. Und das mit einer selbstbewussten Comic-Heldin, die nicht gerade dem traditionellen muslimischen Frauen-Bild entspricht, sondern optisch beinahe wie eine entschärfte Version von Betty Boop daherkommt?

Ihr Erfolgsgeheimnis: „Sie provoziert nicht“, sagt Olaf Kellerhoff, Leiter des Regionalreferats Asien und Menschenrechte der Friedrich-Naumann-Stiftung, mit dessen Unterstützung Nazar nach Deutschland gekommen ist. Sie zeige nicht mit dem Finger auf konkrete Personen, sagt Nazar, sondern erzähle einfach Geschichten. Und was das Äußere Gogis betrifft: „Wenn die Leute erst einmal sehen, wie sie handelt und was ihre Philosophie ist, dann lieben sie Gogi“, sagt Nazar. Und Gogi wird noch aus einem anderen Grund geliebt: In einem Land mit einer Analphabeten-Rate von 42 Prozent sind Comics enorm wichtig, um Informationen und Bildung zu verbreiten.

Nazars Karriere ist eine Erfolgsstory und ein eindrucksvolles Beispiel weiblicher Emanzipation in einem islamischen Land – doch selbst sie kann vom Comic-Zeichnen alleine nicht leben. Ohne viele Auftragsarbeiten und die Unterstützung ihres Mannes sei dies nicht möglich, so Nazar. Ums Geldverdienen geht es ihr auch nicht in erster Linie: Nazar verteilt viele der von ihr illustrierten Bücher kostenlos, 17.000 Kinder haben bereits Bücherpakete erhalten.

Eines dieser Bücher erreichte auch die Schülerin Tahira, die in einem kleinen Dorf zwei Stunden von Islamabad entfernt lebte. Obwohl sie in ihrer Schule Klassenbeste war und es liebte zu lesen und zu lernen, nahm ihr Vater sie nach der siebten Klasse von der Schule: Tahiras Schulbesuch war für ihn zu teuer. Tahira las ihren Eltern dann Nazars Buch „Fruits of learning“ vor, in dem es darum geht, wie wichtig Bildung für Mädchen ist – und konnte ihren Vater damit umstimmen. Tahira schrieb Nazar daraufhin einen Brief, durch den sie von der Geschichte erfuhr: „Das war für mich die höchste Auszeichnung“, sagt Nazar.

Die Ausstellung in Potsdam ist noch bis zum 28. Februar in der Friedrich-Naumann-Stiftung, Karl-Marx-Straße 2, zu sehen. Der Eintritt ist frei, geöffnet ist Montag bis Freitag von 17 bis 19 Uhr, Samstag und Sonntag von 10 bis 18 Uhr.

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