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Emotionale Achterbahnfahrt: Eine Panel aus dem ersten Band.

© Schreiber & Leser

Terry Moores „Strangers in Paradise“: Dreiecksbeziehung im Paradies

Vor 20 Jahren startete Terry Moore die epische Comic-Seifenoper „Strangers in Paradise“. Nun gibt es einen neuen Versuch, die turbulente Geschichte einer komplizierten Liebe auf Deutsch zu veröffentlichen.

Eigentlich hätte Terry Moore gerne eine Karriere als Zeitungscomicstrip-Künstler verfolgt. Schließlich wäre er dann in die Cartoonisten-Fußstapften von „Peanuts“-Erfinder Charles M. Schulz getreten, dem großen Vorbild und größten Einfluss des 1954 in Houston geborenen Moore. Allerdings schlugen Moores Versuche, als Autor und Zeichner einen täglich erscheinenden Comicstrip zu lancieren, fehl. Glücklicherweise fielen diese Rückschläge in eine Zeit, da Comic-Schaffende wie Dave Sim („Cerebus“) oder Jeff Smith („Bone“) mit ihren im Eigenverlag herausgegebenen Panel-Epen dem amerikanischen Indie-Comic-Markt einen neuen Aufschwung bescherten. Also schuf Moore seine eigene Serie „Strangers in Paradise“ und brachte sie bis auf die ersten drei US-Hefte beim Verlag Antarctic Press (1993) und später ein paar Hefte beim Image Verlag (1996) in seinem eigenen Verlag Abstract Studio heraus.

Comedy, Action, Thriller

Im Zentrum der epischen, von Filmemacher Kevin Smith und Autor Neil Gaiman gleichermaßen gepriesenen Seifenoper, die es bis 2007 auf insgesamt 106 US-Ausgaben brachte, stehen die beiden jungen, modernen Frauen Francine und Katchoo. Es ist die Geschichte ihrer komplizierten Liebe, die Moore mit der Einführung des sympathischen David rasch zu einer nicht weniger komplizierten Dreiecksbeziehung ausbaut. Doch „Strangers in Paradise“ ist mehr als die typische Sie-kriegen-sich-sie-kriegen-sich-nicht-Nummer, obwohl dieser Aspekt natürlich durchaus eine wichtige und gut funktionierende Spannungsquelle ist.

Das volle Leben: Eine Szene aus dem ersten Band.
Das volle Leben: Eine Szene aus dem ersten Band.

© Schreiber & Leser

Dazu kommen jedoch noch zahlreiche Comedy-Momente, Action-Szenen und Thriller-Elemente, kriminelle Verschwörungen um abgezockte Callgirls und das organisierte Verbrechen sowie Ermittlungen des FBI inklusive. Die dralle Francine und die toughe Katchoo müssen demnach mit allerhand Subplots und Störfeuern klarkommen, derweil sie ihre Gefühle füreinander aussortieren, sie mit persönlichen Erwartungen und Erfahrungen und gesellschaftlichen Konventionen in Einklang zu bringen versuchen – und dabei abwechselnd auseinanderdriften beziehungsweise näher zusammenrücken.

Darüber hinaus nutzt Moore diverse dramaturgische und stilistische Spielereien wie alternative Handlungsverläufe, Zeitsprünge, Prosa-Passagen, Songtexte, Gedichte, Gemälde, Theater-Stücke, Interviews, „Xena“-Parodien, Disney-Schneewittchen-Verballhornungen oder Superhelden-Tagträume im Image-Look der 90er Jahre. Bei all dem vergisst der Texaner – der weite Strecken der Serie in seiner Heimat angesiedelt hat, allerdings auch Abstecher nach Hawaii, Las Vegas oder gegen Ende der Serie sogar kurz nach Berlin macht – zum Glück nie, dass nichts über Figuren geht, die lebendig werden. Figuren, mit denen man lacht und leidet und die einem so richtig ans Herz wachsen.

Komplexes Beziehungsgeflecht: Francine und Katchoo sind die Hauptfiguren der Reihe.
Komplexes Beziehungsgeflecht: Francine und Katchoo sind die Hauptfiguren der Reihe.

© Schreiber & Leser

Den Erfolg von „Strangers in Paradise“ machen am Ende nicht der ständige Beziehungsstress, die charmanten Abschweifungen der packenden Story oder die Mischung aus Romantik und Humor und Spannung und Action aus, sondern die Protagonisten, die siegen und scheitern und sich mit einer hohen Fehlerquote vor den Augen des Lesers genauso entwickeln dürfen wie Terry Moores Artwork, das sowohl witzig als auch sexy und reißerisch sein kann. Der Suchtfaktor der emotionalen und inhaltlichen Achterbahnfahrt in grandiosen Panel-Charakteraufnahmen und vielem anderem ist entsprechend hoch und steigert sich unterwegs sogar noch ein paar Mal.

Erzählung mit Suchtfaktor

Inzwischen hat Moore nicht bloß für die Comic-Großverlage Marvel und DC sowie das „Star Wars“-Universum gearbeitet. Zudem schuf er mit „Echo“ und „Rachel Rising“ zwei weitere eigene Serien, die beide lose in der Welt von „Strangers in Paradise“ angesiedelt sind. Hierzulande machten die deutschen Verlage bisher weitgehend einen Bogen um Moores Material, egal ob um seine Marvel-Auftragsarbeiten wie „Spider-Man Loves Mary Jane“ oder seine neueren Eigenproduktionen. Trotz des Suchtfaktors und der Qualität der Erlebnisse von Katchoo und der Gang veröffentlichte nur der umtriebige, aber inzwischen eingestellte Speed-Verlag von 1995 bis 2003 lediglich einen Bruchteil von „SiP“ in neun Paperbacks.

Nun wagt de Verlag Schreiber & Leser, wo man laut Aussagen von Verleger Philipp Schreiber erst vor Kurzem über dieses Juwel aus dem US-Indie-Bereich stolperte und dafür bereits eine zweite Moore-Serie für 2014 ins Visier genommen hat, einen neuen Anlauf mit den Fremden im Paradies. Vielleicht hat man heute mehr Glück mit diesem Lieblingscomic vieler Leser, der im Grunde eine breite erwachsene Zielgruppe ansprechen und alle weiblichen Leser, Manga-Fans sowie TV-Serien-Enthusiasten mit ins Boot nehmen kann, wenn sie dem Ganzen nur eine Chance geben. Erst recht in der Aufmachung der neuen deutschsprachigen Ausgabe. Die folgt der sechsbändigen schwarzweißen US-Pocket-Edition im handlichen A5-Format mit je um die 340 Seiten pro Band für knapp 17 Euro. Nur die Cover sehen – nach Rücksprache mit Moore – anders aus als beim amerikanischen Pendant. Ob die dicken Taschenbücher mit Moores hinreißendem Schwarzweiß-Artwork und dem fortlaufenden Buchrückenmotiv es schaffen, vielleicht sogar Nichtcomicleser für diese epische Seifenoper zu begeistern?

Es wäre Katchoo und Co. zu wünschen. Wenn neben der potentiell riesigen Leserschaft jetzt noch der Buchhandel mitspielt, könnte „Strangers in Paradise“ endlich auch hierzulande ein Erfolg werden.

Terry Moore, Strangers in Paradise, Band 1, Schreiber und Leser, 344 Seiten, 16,95 Euro.

Der Blog unseres Autors Christian Endres findet sich hier: www.christianendres.de.

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