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Detailreich: Ein Panel aus „Verrückt. Der Comic zum Berliner Schloss“.

© Urbanophil

Stadtgeschichte in Bildern: Wie ein Architekt die Historie des Berliner Schlosses als Comic erzählt

Sebastian Strombach lässt in seinem Comic „Verrückt“ die Geschichte Berlins lebendig werden. Ein Spaziergang rund ums Humboldt-Forum.

Wenn Sebastian Strombach durch Berlins historisches Zentrum läuft, werden klassizistische Statuen zu Comicfiguren und Museumssäulen zu Bilderrahmen, die den Panels in sequenziellen Bildgeschichten ähneln. „Experimentelle Spaziergänge“ nennt der Architekt und Comiczeichner seinen speziellen Zugang zur Stadt.

Was er damit meint, demonstriert Strombach, dessen neues Buch „Verrückt. Der Comic zum Berliner Schloss“ (Urbanophil-Verlag, 136 S., 19,90 €), soeben erschienen ist, auf einem Rundgang um den kürzlich offiziell eröffneten Neubau in Mitte. Und führt damit vor Augen, wieso „Verrückt“ kein Comic über die Stadt sei, sondern die Stadt quasi als Comic interpretiere.

Erste Station ist der Säulengang des Alten Museums mit Blick auf das Schloss. Tatsächlich fungieren die Pfeiler im Vorbeigehen wie die Abgrenzungen zwischen den Panels eines Comics. Um hier vor dem Museumseingang eine narrative Sequenz zu entdecken, muss man als Betrachter allerdings selbst kreativ werden, ansonsten sieht man zwischen den Säulen bestenfalls zufälliges Stadtleben.

So auch bei dem Spaß, den sich Strombach mit den Kriegern und Siegesgöttinnen auf der Schloßbrücke macht. Mittels Papp-Sprechblasen lässt er sie bei diesem Ortsbesuch im Vorbeigehen eine Art Asterix-Geschichte erzählen, statt allegorisch den preußischen Sieg über Frankreich zu feiern. Das ist so überladen, sagt er, das muss man auf die Schippe nehmen.

Das Konzept seines Buches ist so simpel wie überzeugend. In immer wieder anders erzählten und ästhetisch konzipierten Episoden wirft Strombach in einem an den französischen Zeichner Jacques Tardi erinnernden, satten Schwarz-Weiß Schlaglichter auf Geschichte und Geschichten rund um den Ort, an dem heute der umstrittene Neubau des Berliner Schlosses steht, das Humboldt-Forum mit den ebenso umstrittenen kolonialen Sammlungen.

Stadtbilderklärer: Sebastian Strombach vor dem Humboldt-Forum in Berlins historischer Mitte.

© Kitty Kleist-Heinrich

Strombach führt dies mit großformatigen Überblicksbildern ein, welche diesen Schauplatz wichtiger historischer Ereignisse aus der Vogelperspektive zeigen. Es beginnt im Jahr 20.000 vor unserer Zeitrechnung und endet mit der Einladung, das Berlin der Zukunft selbst in einer topografischen Vorlage zu entwerfen, die nur die unbebaute Spreeinsel zeigt.

Die Pandemie-Beschränkungen verhindern beim Spaziergang einen Besuch der Innenhöfe des Schlosses, wo eine bewegende Episode des Comics spielt. Nach der gescheiterten Märzrevolution von 1848 verlangten die Bürger von ihrem König, den Hut vor den aufgebahrten Toten zu ziehen, die kurz zuvor auf sein Geheiß auf dem Schloßplatz niedergemetzelt worden waren. Immerhin, sagt Strombach, inzwischen sieht man diesen wieder als tatsächlichen Platz.

[Tagesspiegel-Fotografin Kitty Kleist-Heinrich hat den Wiederaufbau des Schlosses von Anfang an begleitet. Hier gibt es ihre Langzeitdokumentation als Bilderstrecke.]

Nach anfänglicher Skepsis wurde er zum Befürworter des Wiederaufbaus, will aber in seinem Buch dessen architektonische Ambivalenzen zeigen und auch die Tiefpunkte der preußischen Geschichte. Die „preußischen“ Episoden im Comic sind allerdings nicht leicht zu entschlüsseln, da hapert es etwas bei der narrativen Konstruktion, auch weil alles immer mit den städtebaulichen Veränderungen verknüpft wird und mit der Erweiterung der Insel inmitten der Spree.

Gedankenspiel: In einer Szene von „Verrückt“ kombiniert der Zeichner Szenen mit Walt Disney und Walter Ulbricht.

© Urbanophil

Insgesamt ist dies aber schlüssig, denn die Bauten verkörpern ja auch Machtansprüche. So ist die Kunstkammer des Königs über dem Rittersaal als Ausdruck von Geld und Macht Ausgangspunkt aller Berliner Sammlungen, und die Museumsinsel entsprechend auf das Schloss bezogen. Dessen Durchgänge wirken wie Bilderrahmen für die Museen.

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Nächste Station beim Rundgang: Der Balkon, von dem Karl Liebknecht im November 1918 die sozialistische Republik ausgerufen hat – oder doch nicht? Tatsächlich ist das Portal nicht Teil des wiederaufgebauten Schlosses, sondern war schon in der DDR für die Fassade des Staatsratsgebäudes gegenüber aus Trümmern zusammengesetzt und damit im wahrsten Sinne „verrückt“ worden.

Aus der Vogelperspektive: Eine Doppelseite aus „Verrückt. Der Comic zum Berliner Schloss“.

© Urbanophil-Verlag

Dort ist es heute noch zu sehen. Allerdings ist es das falsche Portal, weil man das richtige versehentlich gesprengt hatte.

Dies zeige, so Strombach, dass Rekonstruktion immer bedeute, Entscheidungen zu treffen für bestimmte Zustände in der Vergangenheit. Der Bundestagesbeschluss, die barocke Phase zu rekonstruieren, bezog sich auf nur einen von fünf Zuständen dieser Phase. Spreeseitig sollte es „etwas Zeitgenössisches“ werden, dabei hatte man etwas Zeitgenössisches ja gerade zerstört – den Palast der Republik.

[Neuer Schwung für Alte Meister: Die Staatlichen Museen zu Berlin haben gemeinsam mit dem Comiczeichner Felix Pestemer einen ungewöhnlichen Comic erarbeitet, mehr dazu hier.]

Diesen interpretiert Strombach als eine Art realsozialistisches Disneyland, mit seinem Jugendtreff mit rotierender Tanzfläche, und konstruiert daraus in fließenden Übergängen von Fakt und Fiktion einen Bezug zwischen Walt Disney und „Walt“ Ulbricht.

Zeitreise: Eine weitere Doppelseite aus „Verrückt. Der Comic zum Berliner Schloss“.

© Urbanophil

Der zeichnete als ranghöchster DDR-Politiker für die „Ausstellungsarchitektur“ rund um den an ein sowjetisches Raumschiff gemahnenden Fernsehturm verantwortlich und, so erzählt Strombach nebenbei, mit der Genehmigung der Zeitschrift „Mosaik“ auch für die Entstehung der DDR-Comics.

Strombach spielt in seinem Buch fantasievoll mit Formen und Anachronismen, springt von Ort zu Ort, von Zeit zu Zeit, und erzählt seine Geschichten philosophisch untermalt und angeleitet, mal als flanierende „Lektüre der Straße“ mit Walter Benjamin und Franz Hessel, mal als Stadtrundfahrt. Ein großer Spaß, der durch wiederholtes und aufmerksames Lesen gewinnt. Man entdeckt immer wieder neue Facetten und Details.

Das Titelbild des besprochenen Bandes.

© Urbanophil

Es ist konsequent, dass sich ein Architekturverlag dieses Comics angenommen hat. Mit der großen Herausforderung für naturalistisch arbeitende Zeichner, die Protagonisten ohne Rückgriff auf Cartoonisierung in immer wieder anderen Positionen zeigen zu müssen, hat Strombach – wie Tardi – eher Schwierigkeiten als mit der eindrucksvollen Präsentation der Stadt.

Diese wird, auch weil durchgängige Protagonisten (mit Ausnahme des Künstlers selbst) fehlen, gewissermaßen selbst zum Hauptakteur des Comics.

Thomas Greven

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