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Willy Brandt im Comic: Von Berlin gezeichnet

Das Leben von Willy Brandt, der an diesem Mittwoch 100 Jahre geworden wäre, war eng mit der Stadt verbunden. Zwei neue Comic-Biografien würdigen den Jahrhundertpolitiker. Jede hat ihre Stärken - und Schwächen.

Am Roten Rathaus wehen die Hakenkreuzfahnen. Das macht dem jungen Sozialdemokraten, der Berlin unter falschem Namen besucht, wenig Hoffnung. „Sieht nicht so aus, als wenn hier gleich die Revolution ausbricht“, denkt er sich, bevor er seine Erkundungen fortsetzt. Es ist das Jahr 1936, und der junge Mann, der sich als norwegischer Germanistikstudent ausgibt, wird gut 20 Jahre später unter dem Namen Willy Brandt zum Regierenden Bürgermeister Berlins gewählt. Seinen Lebensweg davor und danach zeichnen zwei illustrierte Biografien nach, die jetzt zum bevorstehenden 100. Geburtstag des Politikers am 18. Dezember erschienen sind und die am Donnerstagabend bei einer Veranstaltung im Alliiertenmuseum vorgestellt werden.

Der Autor Heiner Lünstedt, bekannt unter anderem als Organisator des Münchener Comicfestivals, hat sich von dem berühmten Foto des Politikers im Jeanshemd mit Mandoline und lässiger Kippe im Mund inspirieren lassen, das Projekt zu wagen. Ingrid Sabisch („Mythos Mutti“) hat die Illustration des jetzt bei Knesebeck veröffentlichten Albums „Willy Brandt – Sein Leben als Comic“ übernommen. Die beiden schildern seinen Lebensweg, angefangen mit dem frühen politischen Engagement gegen den Nationalsozialismus über die Differenzen innerhalb der SPD und 1933 die Flucht nach Norwegen auf einem Fischkutter, wo er sich vom solidarischen Geist der norwegischen Sozialdemokraten beeindruckt zeigt.

Vom Kennedy-Besuch bis zum Mauerfall

Immer wieder gibt Berlin die Kulisse für dieses dramatische Leben ab, von der bisher kaum bekannten geheimen Mission im Jahr 1936 bis zu Willy Brandts politischem Aufstieg nach dem Krieg, der eng mit der Stadtgeschichte verbunden ist. Dabei werden neben vielfach geschilderten Szenen auch weniger bekannte Episoden zu Papier gebracht, so Brandts erfolgreiches Bemühen im Jahr 1956, die aufgebrachte Menge davon abzuhalten, aus Protest gegen den Ungarnaufstand vor die russische Botschaft Unter den Linden zu ziehen. An der Grenze am Brandenburger Tor sprach er zu den Protestierern und stimmte die Nationalhymne an. So wirkte er erstmals deeskalierend.

Die Wahl zum Regierenden Bürgermeister 1957 wird erwähnt, das Treffen mit Kennedy im März 1961. Dort schenkt Brandt im Comic dem amerikanischen Präsidenten eine „Friedensglocke“, in Wirklichkeit war es aber eine Nachbildung der Freiheitsglocke. Solche Ungenauigkeiten sind ärgerlich. Der Kennedy-Besuch 1963 macht Berlin wieder zur Bühne, ganz groß natürlich die Szene vor dem Schöneberger Rathaus.

Breiten Raum geben die Autoren Brandts Affären und Beziehungen, dies wohl der Versuch, eine andere Seite des sozialdemokratischen Idols zu zeigen. Die Gewichtung ist allerdings nicht immer nachvollziehbar. So widmen die Autoren der Einfädelung der Großen Koalition fast zwei Seiten, die entscheidende Wahl 1969 muss mit vier Bildern auskommen, die den politisch nicht Vorgebildeten ratlos lassen. Die Studentenbewegung mit ihrem kritischen Potenzial als gesellschaftlicher Hintergrund einer Reformzeit fehlt völlig. Gelungen in Szene gesetzt sind hingegen der Kniefall in Warschau, die Affäre Guillaume und die damit verbundene persönliche Krise Brandts. Berlin wird wieder Kulisse, als die Mauer fällt: „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört.“

Pop-Art. Gründlichere historische Informationen, aber weniger Comic bietet der Schwarz-Weiß- Band von Helga Grebing und Ansgar Lorenz.
Pop-Art. Gründlichere historische Informationen, aber weniger Comic bietet der Schwarz-Weiß- Band von Helga Grebing und Ansgar Lorenz.

© Promo

Vom Aufbau her geht der Comic sparsam mit großen Bildern um, reserviert sie für die historischen Momente. Die Wiedererkennbarkeit der handelnden Personen fällt nicht immer leicht. Es wird auch mal eine Sprechblase falsch zugeordnet. Dass in der im Anhang abgedruckten Rede von Felipe Gonzalez auf Willy Brandt eine Willy-Zeichnung in Knickerbockerhosen mit der Unterschrift „Porträtstudie des betagteren Willy Brandt“ beschrieben ist, deutet leider wieder auf Unachtsamkeit der Redaktion.

Historische Figuren in der Kochshow

Wer auf gründlichere historische Informationen Wert legt, dem sei das Buch „Willy Brandt – Eine Comic-Biografie“ der Historikerin Helga Grebing (Text) und des Illustrators Ansgar Lorenz empfohlen, der für die üppige Illustration verantwortlich ist. Allerdings ist dieses interessante Buch kein Comic im klassischen Sinn. Grebing erzählt historisch fundiert in knappen Worten Brandts Leben, stellt Querverbindungen her, erläutert Zusammenhänge, und Lorenz versteht es mit Schwarz-Weiß-Illustrationen im Popart-Stil eigene Akzente zu setzen. Er kopiert dabei nicht nur historische Pressefotos, sondern arbeitet mit uns vertrauten Formaten wie einer Expertenrunde bei Anne Will oder einer Kochshow im Fernsehen, in der historische Figuren dann auftreten. Das ist sehr gekonnt in Szene gesetzt, klärt auf und lässt einen schmunzeln.

Ingrid Sabisch/Heiner Lünstedt: Willy Brandt. Sein Leben als Comic, Knesebeck, 112 Seiten. 22 Euro.
Helga Grebing/Ansgar Lorenz: Willy Brandt. Eine Comic-Biografie. vorwärts buch, 80 Seiten, 15 Euro.

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