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Hintersinniger Humor in Nicolas Mahlers "Alice in Sussex"

© Suhrkamp Verlag Berlin 2013

Nicolas Mahlers "Alice in Sussex": Wo das weiße Kaninchen im Pfeffer liegt

Nicolas Mahlers "Alice in Sussex" glänzt mit verschrobenen Figuren und hintersinnigem Witz. Die Buchausgabe offenbart jedoch auch ein Problem der zuerst als Zeitungs-Strip veröffentlichten Erzählung.

Mit seiner neuen Bildergeschichte in Buchformat erweist Nicolas Mahler diesmal zwei literarischen Klassikern die Ehre: Lewis Carrol und H.C. Artmann („Frankenstein in Sussex“). In „Alice in Sussex“ lässt der österreichische Comiczeichner nämlich kurzerhand Carrols verträumte Alice aus dem Wunderland auf Artmanns, genauer gesagt, auf Frankensteins melancholisches Monster treffen und schafft damit eine poetische Verschränkung der besonderen Art.

Über ein Schornsteinloch in der Erde beginnt Alices im wahrsten Sinne des Wortes, ver-rückte Reise. Stets dem weißen Kaninchen folgend, begegnet sie in diesem labyrinthischen Gewirr aus Treppen und Räumen weit unter der Oberfläche alten Bekannten, wie der Pfeife rauchenden Raupe, der Grinsekatze oder auch dem verrückten Hutmacher. Mit seinem gewohnt reduzierten und mehrfach ausgezeichneten Strich fängt Mahler dabei das verschrobene Figurenpersonal ein. Und auch wenn sie weder Augen, noch Münder, noch Ohren besitzen (bis auf das weiße Kaninchen, bei welchem die Löffel notwendigerweise zum signifikanten Erscheinungsmerkmal gehören), so stattet er seine Charaktere doch immerhin mit dem Notwendigsten aus: einem hintersinnigen Humor. Alices Abenteuer wird so zu einem sukzessiven Vorstoß zum humoresken Kern der Geschichte, und der scheint irgendwo ganz weit unten zu liegen.

Nicolas Mahler: "Alice in Sussex"

© Suhrkamp Verlag Berlin 2013

Mahler gelingt es dabei auch, den marginalen Witz in seinen minimalistischen Zeichnungen auf den Punkt zu bringen, beispielsweise, indem er Alice in einer beliebigen Erzählpassage aus Langeweile einfach einschlafen lässt, und dem Leser so das Gähnen vorwegnimmt. Doch genau hier liegt das weiße Kaninchen im Pfeffer: „Alice in Sussex“ erschien eigentlich als Fortsetzungscomic im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Dort passte er auch wunderbar hin. Als gebündeltes Ganzes verliert die Geschichte sich jedoch Seite um Seite in den unzähligen ironischen Pointen. Vielleicht deshalb, weil es sich bei Mahlers Hommage an die intellektuelle Verrücktheit gerade nicht um eine kunstvolle Verdichtung handelt, sondern um ein eiliges Aneinanderreihen klingender Namen und Zitate, von Jules Verne über Voltaire, Emil Cioran und Nietzsche, bis Alice schließlich völlig sinnfrei auf Frankensteins Monster trifft.

Nicolas Mahler: "Alice in Sussex"

© Suhrkamp Verlag Berlin 2013

„Es ist ein Nachteil für gute Gedanken, wenn sie zu rasch aufeinanderfolgen. Sie verdecken sich gegenseitig“, heißt es an einer Stelle im Text. Hier bringt Mahler die Krux seiner Geschichte selbst auf den Punkt . Sie hätte von ein bisschen weniger Selbstironie und dafür etwas mehr Stringenz profitiert.

Nicolas Mahler: Alice in Sussex, frei nach Lewis Carroll und H.C.Artmann, Suhrkamp, 144 Seiten, 18,99 Euro.

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