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Zwischen Liebe und Tyrannei. Gala (Barbara Sukowa) und Salvador Dalí (Ben Kingsley).

© SquareOne Entertainment

„Dalíland“ im Kino : Der Meister und seine Gebieterin

Mary Harron hat das ebenso quirlige wie triste New Yorker Leben des weltberühmten Surrealisten verfilmt

Von Kerstin Decker

1941 malte Dalí sein Porträt „Weiches Selbstbildnis mit gebratenem Speck“. Eine zerfließende gelbliche Masse auf Steinsockel. Das zerrinnende Gesicht wird von seltsamen Gabeln gehalten, die gehen auch durch die leeren Augen, bringen sogar eine Braue in Position. Man kennt die Gabeln schon von anderen Bildern: Das sind die Stützen der Realität. Und neben diesem unmöglichsten aller Selbstbildnisse liegt ein Streifen gebratenen Specks. Damals war Salvador Dalí Ende dreißig und auf dem Höhepunkt seiner Schöpferkraft. Was wird aus einem, der solche Selbstporträts malt? Und wie kommt er von seinem ureigenen Gipfel wieder herunter? Kommt er überhaupt herunter? Welche Fallhöhe!

Leider weiß „Dalíand“ von Mary Harron („American Psycho“, „I shot Andy Warhol“) fast nichts von dieser Fallhöhe. Die Nachwelt hat vor allem den späten Dalí im Erinnerung behalten: den alten Gecken mit den gezwirbelten Phallussymbolen im Gesicht. Dazu kommt das Wissen um das teils gefälschte Spätwerk. „Dalíland“ verstärkt dieses Bild bloß, ist seine Doublette. Braucht es dazu einen Film? Braucht es dazu Ben Kingsley als Daliund Barbara Sukowa als dessen große Liebe Gala?

Beide verschmelzen mit ihren Rollen. Nachher mag man kaum glauben, dass Ben Kingsley („Gandhi“) noch immer Ben Kingsley ist und nicht Dalí. Und mit welcher Schärfe und getriebenen, deplatzierten Sinnlichkeit Barbara Sukowa die Gala spielt, als eine in die Jahre gekommene Tyrannin. Ben Kingsley und Barabara Sukowa hätten den Film mit Bravour getragen.

Aber eben das war von Mary Harron und ihrem Drehbuchautor und Ehemann John Walsh nicht vorgesehen. In gewissem Sinn sind Salvador und Gala Dalí beinahe Nebendarsteller in ihrem eigenen Film; er heißt schließlich auch nicht „Dalí“, sondern „Dalíland“, was aber keineswegs den Eindruck meint, den so viele bezeugten, als sie zum ersten Mal vor den Bildern des Malers standen: als eröffne sich hier ein ganzes Universum, dessen Hauptmerkmal eine irritierende Weite, ja ein Schweben, war. Und diese Weite lag nicht zuletzt im allerkleinsten, präzisen Detail.

In „Dalíland“ ist Dalíland aber lediglich die New Yorker Partyszenerie Mitte der 1970er Jahre, und der eigentliche Hauptdarsteller ist ein Irgendwer: James Linton (Christopher Briney), bis eben Kunststudent, tritt in diese Welt ein, weil er in seiner ersten Anstellung bei Dalis New Yorker Galeristen diesem einen Koffer voller Bargeld bringen soll. Schließlich muss der Maler nicht zuletzt die Partys der jungen Leute finanzieren, die er als Hofstaat um sich versammelt hat.

Leider bleibt das alles bloße Illustration. Zum Dalíland gehören die Muse des Meisters Amanda Lear (damals Model und Barsängerin: Andreja Pejic), der Bürgerschreck Alice Cooper sowie Jeff Fenholt, besser bekannt als Messias in „Jesus Christ Superstar“. Allerdings ist dieser längst auch Galas Messias, bei dem sie Erlösung vom Alter sucht, was Dalí nicht ohne Schmerz sieht.

Schwerer aber wiegt: Der Maler malt nicht mehr, oder nur unter Druck. Der Neuankömmling in Dalíland soll den Meister zur Arbeit anhalten, aber das vermag nur Gala, die Bürgin seiner Schöpferkraft, auch jetzt noch. Nach ihrem Tod wird er die Nahrung verweigern, doch der sehr alte Dalí kommt in „Dalíland“ schon nicht mehr vor, nur in einer allerletzten Szene.

Manche Entscheidungen des Films kann man durchaus mögen: Wir sehen nie ein Dalí-Bild, nur Menschen vor seinen Bildern. Und in den wenigen Rückblicken sind der alte Dalí und sein neuer Assistent persönlich anwesend, Kingsley schiebt den jungen Mann sogar beiseite, damit er seiner Erinnerung Platz mache. Das ist durchaus originell und trotzdem wohl die falsche Entscheidung. „Dalíland“ hat keine Höhen und Tiefen, er macht kaum die Tragik fühlbar, die darin liegt, schon zu Lebzeiten der Hinterbliebene seines eigenen Werks zu sein.

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